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DAS WIRKEN DES GESETZES

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Als Adalbert Stifter während der Revolution des Jahres 1848 schmerzlich den Mißbrauch des Wortes empfand, schrieb er an seinen Verleger:

„So lange die Leidenschaft forthastet und nie genug gegen den Gegner getan zu haben meint, ist meine Stimme nicht vernehmlich, und sind Gründe nicht zugänglich. Deshalb bin Ich stumm, bis man Meinungen überhaupt sucht, nicht mehr bloß Meinungsgenossen.“ Dennoch verschloß sich der Dichter weder ins Schweigen, noch findet man in seinen Dichtungen Resignation aus dem Gefühl, daß es unmöglich sei, sich mit-

zuteilen. Die Dichtungen Stifters wurden vielmehr über seine Zeit hinaus als höchste Kunst der Gestaltung einer sinnhaften Welt bedeutsam.

Dennoch hatte sich Stifter, als er am 28. Jänner 1868 starb, ln den Augen vieler Kritiker überlebt. Das Unverständnis der Kritik an den späteren Werken ist aus Stifters Eigenart und Weg gegenüber den Ereignissen und der Literatur seiner Zeit zu verstehen.

Mit den frühen Werken in der Manier eines J. Paul oder E. T. A. Hofmann hatte Stifter noch den Geschmack und das Verständnis seiner Leser und Kritiker finden können. Aber Erfahrungen und folgerichtiges Denken führten den Dichter bald aus aller äußeren Manier und der Subjektivität phantastischer Wunschträume zur formalen und gehaltlichen Objektivität seiner reinen, durchdachten dichterischen Welt. Er sah diese Objektivität nicht einfach in der Verallgemeinerung seiner subjektiven Eindrücke, sondern er suchte sie in der Erforschung von Ursachen und Folgen unter dem Aspekt eines höheren Gesetzes, dem alles untergeordnet ist. Die Klärung der Gedanken entspricht dabei einem Akt der Reinigung und Vertiefung in einer klareren Aussage durch die Sprache.

Oft wurde Stifter als Naturdichter empfunden, da er die Natur in seinen Werken so vorzüglich gestaltet hat. Aber nie sind die Natur- und Landschaftsgestaltungen Stifters Selbstzweck, sondern sie dienen immer dem Geschehen als Mittel zur Darstellung, als symbolischer Raum, als Bilder der Vorgänge. Natur und Menschen heben sich voneinander ab und entsprechen einander. „Wie in der Natur die allgemeinen Gesetze still und unaufhörlich wirken, und das Auffällige nur eine einzelne Äußerung dieser Gesetze ist“, so ist das „Gesetz der Gerechtigkeit und Sitte“ in den gewöhnlichen Handlungen und Geschehnissen die erhaltende Gewalt aller Ordnung für das menschliche Leben und für die Geschichte der Völker.

Das Wirken des „Gesetzes“ ist das Wesentliche in Stifters Werken, es bestimmt ebenso sein Welt- und Menschenbild wie seine Kunstanschauung. In ihm erweist sich Stifter ganz als österreichischer Dichter im Sinne der Idee des „Welttheaters“.

Die Ordnung durch das welterhaltende Gesetz offenbart sich in der Natur am reinsten, sogar in den für die Menschen erschreckenden Erscheinungen wie etwa in der „Sonnenfinsternis des Jahres 1842“. Schönheit des Furchtbaren allein, aber auch die künstlerische Funktion der „furchtbaren Schönheiten“1 an einzelnen Stellen in Stifters Werken werden hier verständlich. Was der Mensch als bedrohend empfindet, kann ebenso erhebend sein. Es kommt nur darauf an, wie der einzelne den Bedrohungen begegnet. Groß ist er nur in ihrer Überwindung.

Vergänglichkeit und Tod haben vor dem Dauernden des Gesetzes nur geringe Bedeutung. Diese Ansicht gilt nicht nur für Natur und Mensch, sondern ebenso für die Geschichte:

„Das Geschick fährt in einem goldenen Wagen. Was durch die Räder niedergedrückt wird, daran liegt nichts. Wenn auf einen Mann ein Felsen fällt oder der Blitz ihn tötet, und wenn er nun das alles nicht mehr wirken kann, was er sonst gewirkt hätte, so wird es ein anderer tun. Wenn ein Volk dahingeht und zerstreut wird, und das nicht erreichen kann, was es sonst erreicht hätte, so wird ein anderes Volk ein Mehreres erreichen. Und wenn ganze Ströme von Völkern dahingegangen sind, die Unsägliches und Unzähliges getragen haben, so werden wieder neue Ströme kommen, und Unsägliches und Unzähliges tragen, und wieder neue, und wieder neue, und kein sterblicher Mensch kann sagen, wann das enden wird.“

Gesetz und Schicksal stehen in enger Verbindung zueinander. Aber Stifters Schicksalsglaube ist nicht dumpf, wie sehr auch etwa die Geschichte des „Abdias“ erschüttert. Dem „homo absurdus“ unserer Zeit steht ln Stifters Werken der ethisch-rationale Mensch gegenüber, der über sich selbst bestimmt und so im tiefsten Sinn des Wortes „frei“ ist. Darin liegt seine Größe. Freilich ist diese Freiheit „der Probestein der Charaktere“, denn Selbstbestimmung erfordert „Selbstbeherrschung bis zur Opferung des Lebens“ und „Maß bis zur Verleugnung der heißesten Triebe“. Deshalb ist erst „ein ganzes Leben voll Gerechtigkeit, Einfachheit, Bezwingung seiner selbst, Verstandesgemäßheit, Wirksamkeit in seinem Kreise, Bewunderung des Schönen verbunden mit einem heiteren gelassenen Sterben“ groß. Das Gesetz der Gerechtigkeit und Sitte will außerdem, „daß jeder geachtet, geehrt, ungefährdet neben dem anderen bestehe, daß er seine höhere menschliche Laufbahn gehen könne (und) sich Liebe und Bewunderung seiner Mitmenschen erwerbe“. Der einzelne fühlt sich schließlich in der ganzen Menschheit verallgemeinert und erhoben, „wo durch unmeßbar große Kräfte in der Zeit oder im Raume auf ein gestaltvolles Ganzes zusammengewirkt wird“1.

Egoistische Getriebenheit und Leidenschaft dagegen sind nur einseitige Kräfte, die nicht auf die Erhaltung des Ganzen zielen, sondern das „Bedingte über das Allgemeine“ setzen, sosehr sie sich als Realismus geben.

Freilich sind Stifters Menschen nicht leidenschaftslos. Stifter kannte die Gewalt der Leidenschaft aus seinem eigenen Leben und er hat ihre dämonischen und zerstörerischen Kräfte mit seinem hohen künstlerischen Vermögen in seinen Dichtungen anschaulich gestaltet. In Verhärtung und Maßlosigkeit, im Bruch des Vertrauens, im Verstoß gegen die innere Notwendigkeit und gegen die natürliche Ordnung des Seins werden die Menschen schuldig. Dies kann sogar in einer scheinbar so paradoxen Situation wie im „Alten Siegel“ geschehen, wo die Sünde als menschlicher erkannt wird als die harte Tugend der Ehre. Jede Schuld kann nur durch Schmerz überwunden werden. Solche Überwindung, Läuterung und Beherrschung der Leidenschaften sind sinnfällig in „Brigitta“, im Risach des „Nachsommer“ oder im Alten Obrist in der „Mappe meines Urgroßvaters“ dargestellt. Symbol für die Überwindung alles Unheils und Schlüsselgestalt für das ganze Werk Stifters aber ist der Arzt Augustin in der „Mappe“.

Wo es keine Überwindung gibt, weisen Stifters Werke ins Tragische. Die Züge des „Welttheaters“ bei Stifter zeigen sich hier besonders deutlich. Denn nicht die Unabänderlichkeit eines Schicksals wird als tragisch empfunden, die in ihrer Art nur in die Absurdität des Lebens weisen würde, sondern die Gewalt der Umstände, die die leidenschaftlichen Anlagen des Menschen erst wecken und zur Zerstörung führen. Das Tragische droht aus dem Untergrund, wird aber überwölbt vom „Sittengesetz“, dessen man so mit Schaudern bewußt wird. Am besten wird diese Tragik durch die Aufführung des „König Lear“ im „Nachsommer“ erklärt. Die Bedrohung aus dem Untergrund aber wirkt wohl am intensivsten in der kurzen Erzählung „Zuversicht“ gerade durch die Knappheit, mit der hier das Geschehen und die Menschen in doppelter Verdichtung als Biedermänner und Schrek- kensmänner einander konfrontiert sind, und die Unmoral der Lüge in der „Moral“ der Scheinheiligkeit entlarvt wird.

Von Beginn seines schriftstellerischen Arbeitens an hat Stifter an der „Mappe meines Urgroßvaters“ gearbeitet, in der die Grundzüge seines Schaffens vielleicht am anschaulichsten gestaltet sind, und deren letzte, unvollendete Fassung uns der Dichter gewissermaßen als sein Testament hinterlassen hat:

„Wenn du deinem Herzen wehe getan hast, daß es zucket und vergehen will, oder daß es sich ermannt und größer wird, so kümmert sich die Allheit nicht darum, und dränget ihrem Ziel zu, das die Herrlichkeit ist. Du aber hättest es vermeiden können, oder kannst es ändern, und die Änderung wird dir vergolten; denn es entsteht nun das Außerordentliche daraus.“

Adalbert Stifter war ein Dichter, der nicht einfach nach dem allgemeinen Geschmack zu schreiben gewillt war, sondern um den Wert der Aussage gerungen hat. Genaue Kenntnis des Stoffs, Selbsterforschung und Menschenbeobachtung, Kenntnis der Natur und Erfahrung in den Wissenschaften waren ihm das Rüstzeug, ohne das jede schriftstellerisch« Arbeit nur „Schwulst und Redensarten“ erzeuge. Um Schein und Wesen klar zu unterscheiden, suchte er die Dinge wechselseitig zu beleuchten. Das Wissen um die „objektive Gültigkeit“ in den Gesetzen der Natur, den Grundlagen menschlichen Handelns und Zusammenlebens, den Erfahrungen aus der Geschichte ermöglichten ihm auch den Blick in die Zukunft:

„Wie wird es sein, wenn wir mit der Schnelligkeit des Blitzes Nachrichten über die ganze Erde werden verbreiten können, wenn wir selber mit großer Geschwindigkeit und in kurzer Zeit an die verschiedenen Stellen der Erde werden gelangen, und wenn wir mit gleicher Geschwindigkeit große Lasten werden befördern können? Werden die Güter der Erde da nicht durch die Möglichkeit des leichten Austausches gemeinsam werden, daß allen alles zugänglich ist?... Die Übermacht des Stoffes wird vor dem Geiste, der endlich siegen wird, eine bloße Macht werden, die er gebraucht, und weil er einen neuen menschlichen Gewinn gemacht hat, wird eine Zeit der Größe kommen... Das scheint mir sicher, andere Zeiten und andere Fassungen des Lebens werden kommen, wie sehr auch das, was dem Geist und Körper des Menschen als letzter Grund innewohnt, beharren mag.“

Stifter hat weit über den Aktualismus seiner Zeit hinaus gedacht und das Allgemeingültige durch gründliches Erforschen und folgerichtiges Denken zu erkennen und dichterisch darzustellen versucht Er wollte den Menschen so den Weg zu ihrer „objektiven Höhe“ zeigen und warnte sie gleichzeitig vor dem drohenden Unheil aus der Verblendung in Leidenschaften und Irrtum. Entschieden hat er sich daher auch gegen die Tages- und Geschmacksliteraten und gegen jede Einseitigkeit vor den individuellen und sozialen Problemen der Menschen gewandt und den bloßen „Materialismus“ in der Dichtung ohne sittliche Verankerung als „verkröpfte Wirklichkeit“ verurteilt. Da er wußte, worin sich seine Anliegen und ihre nach dem eigenen Maß gültige künstlerisch« Gestaltung von der Literatur und dem Geschmack seiner Zeit unterschied, konnte ihn die allgemeine Kritik nicht mehr berühren.

Briefe und Aufsätze geben uns reichen Aufschluß über seine Ansichten und Bemühungen. Letztlich ist freilich allein das dichterische Werk entscheidend. In der Zeitlosigkeit von Stifters Dichtungen liegt auch die Kraft ihrer steten Vergegenwärtigung.

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