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Das Werk als sittliche Offenbarung

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„Kein Weltgeist, kein Dämon regiert die Welt; was je Gutes oder Böses über die Menschen gekommen ist, haben die Menschen gemacht. Gott hat ihnen den freien Willen und die Vernunft gegeben und hat ihr Schicksal in ihre Hand gelegt. Dies ist unser Rang, dies ist unsere Größe. Daher müssen wir Vernunft und freien Willen, die uns nur als Keime gegeben werden, ausbilden; es gibt keinen anderen Weg zum Glück der Menschheit.”

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„Kein Weltgeist, kein Dämon regiert die Welt; was je Gutes oder Böses über die Menschen gekommen ist, haben die Menschen gemacht. Gott hat ihnen den freien Willen und die Vernunft gegeben und hat ihr Schicksal in ihre Hand gelegt. Dies ist unser Rang, dies ist unsere Größe. Daher müssen wir Vernunft und freien Willen, die uns nur als Keime gegeben werden, ausbilden; es gibt keinen anderen Weg zum Glück der Menschheit.”

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Wer hätte gedacht, daß diese Worte von Adalbert Stifter stammen? Man sieht, daß Stifter der Bildung zur verantwortlich handelnden Persönlichkeit entscheidende Bedeutung zumißt. Alle Bildung, so der Dichter, ist ein lange andauernder Prozeß, ein Werden, eine Entwicklung. Er umgreift neben Vernunft und Willen auch das Gemüt, ja den ganzen Menschen und begleitet uns ein Leben lang. Um eine solche Bildung wachsen und reifen zu lassen, muß man ohne Wenn und Aber neu versuchen, der Stille Raum und Zeit zu geben. Unsere Zeit ist so sehr von Sensationslust und Unruhe erfüllt, daß es die Weisen und Stillen im Lande schwer haben, sich Gehör zu verschaffen. Die Gegenwart, in der wir leben, ist einer Kultur der Stille anscheinend entgegengesetzt. Und doch waren die Menschen vielleicht noch nie so wie heute von einer Sehnsucht nach Stille erfüllt.

Stifters Werke haben deshalb eine hohe Aktualität. Und der Dichter for-mufiert in seinem Werk „Hochwald” überzeugend: „Die großen Taten der Menschen sind nicht die, welche lärmen... Das Große geschieht so schlicht wie das Rieseln des Wassers, das Fließen der Luft, das Wachsen des Getreides.”

Wie können Christen zum Beispiel das Gleichnis vom Samenkorn in der Bibel verstehen, wenn ihnen nicht die Größe des Kleinen aufgegangen ist? Aus kleinem Anfang läßt Gott Großes erstehen. Stifter weist darauf hin, daß gerade das Unscheinbare das Wunderbare darstellt. Wir müssen das gängige Denkschema von dem, was groß ist oder klein - umdrehen: Das Große geschieht eben still - nicht lärmend. Wer fragt, was denn „das Große” sei, von dem der Dichter spricht, geht nicht fehl, dahinter die tiefere Sinn-Mitte, den Seinsgrund, das Geheimnis, das Göttliche zu ahnen.

Für viele seiner Zeitgenossen ist Stifter der verläßliche Dolmetscher der Natur, deren notwendige Pflege allen vor Augen steht. Ihm gelingt es in seinen Werken meisterhaft, die Vorgänge und Geschehnisse der Natur verstehbar zu machen und sie lebendig werden zu lassen. In seiner Schrift „Hochwald” findet sich ein solcher Hinweis:'„Da fing ich an, allgemach die Reden des Waldes zu hören, und ich horchte ihnen auch, und der Sinn ward mir aufgetan, seine

Anzeichen zu verstehen, und das war lauter Prachtvolles und Geheimnisvolles und Liebevolles von dem großen Gärtner.”

Stifter ist zum anderen der Künder eines edlen Menschentums, das sich durch seine Verhaltenheit, und doch auch starke Ausdruckskraft in allen Novellen und Romanen ausweist. Er ist schließlich der Dichter der Ehrfurcht. Dies ist wohl die treffendste Bezeichnung des Strebens im Werke des großen Sohnes aus dem Böhmerwald. Die Grundhaltung der Ehrfurcht durchzieht das ganze Schaffen. Sie ist jene innere Einstellung, die ihn schon als Kind beseelt und die in seiner Ausbildung ihre Ausformung erhalten hat. Eine bezeichnende Stelle aus dem „Hochwald” sei angeführt: „Es liegt ein Anstand, ich möchte sagen ein Ausdruck von Tugend in dem von Menschenhänden noch nicht berührten Antlitze der Natur, dem sich die Seele beugen muß, als etwas Keuschem und Göttlichem, und doch ist es zuletzt wieder die Seele allein, die all ihre innere Größe hinaus in das Gleichnis der Natur legt.”

Wenn man zum Schluß die Frage stellt, was Stifters zentrales Anliegen gewesen ist, so läßt man ihn am besten selbst antworten. In einem Brief an Grillparzer schreibt er: „Mit Menschen menschlich sein, mit Höheren das Höhere lieben, an Gottes Schöpfung sich freuen, die festgegründete Erde nicht verachten, sich im praktischem Handeln hingeben, es nicht verachten, selbst Gemüse zu pflanzen und Gartenbeete zu düngen und doch ein höherer opferfreudiger Mensch zu sein, endlich mit fühlenden geistigen Menschen gleichsam einen unsichtbaren Umgang zu haben, das war ungefähr die Grundlage meiner Schriften.” Sie können nicht der billigen Unterhaltung dienen. Er wollte sie in hoher Verantwortung als „sittlicheOf-fenbarung” verstanden wissen.

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