Mit Stifter ins neue Schuljahr
Es muss nicht immer Hesse sein, wenn etwas Neues beginnt. Wie wäre es einmal mit einer Relecture Adalbert Stifters? Warum der als verschroben geltende Dichter zum Thema Schule Wesentliches zu sagen hatte.
Es muss nicht immer Hesse sein, wenn etwas Neues beginnt. Wie wäre es einmal mit einer Relecture Adalbert Stifters? Warum der als verschroben geltende Dichter zum Thema Schule Wesentliches zu sagen hatte.
Hermann Hesse ist in dieser Woche wahrscheinlich der meistzitierte Dichter. Denn ohne den Zauberer aller Anfänge geht es auch zu Schulbeginn nicht. „Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“. Dieser Vers aus Hesses Gedicht „Stufen“ geistert im frühen September durch Begrüßungsreden und Zeitungskommentare, und falsch ist er ja auch nicht. Hören kann man ihn halt nicht mehr, weil er leider immer passt, wenn irgendwo irgendwas anfängt: Schule, Ehe, Geburt, Firmengründung, zweite Ehe, Pension – jedem Anfang wohnt halt auch ein Zauber inne. Ja, eh.
Als Alternative zu Hermann Hesse biete ich Adalbert Stifter an. Dieser Mann wird zu Unrecht hoffnungsloser Verschrobenheit verdächtigt. Er hat nicht nur einige gute Erzählungen geschrieben, die für Pädagogen auch heute noch lesenswert sind, er war in seinen Wiener Jahren ein gesuchter Hauslehrer – unter anderem unterrichtete er den Sohn des Fürsten Metternich in Mathematik und Physik – und ab 1850 war er als k.k. Schulrat zuständig für die ober-österreichischen Volksschulen. Im Unterschied zu manchem „Bildungsexperten“ der Gegenwart kannte Stifter die Welt, über die er schrieb.
Zweifellos waren Stifter und seine Frau Amalie, die chronisch unter Geldnot litten, auch aus materiellen Gründen froh über Stifters Beamtengehalt. Unabhängig davon trat er aber sein Amt mit großer Motivation an. Mit Sorge hatte er in Wien das Revolutionsjahr 1848 erlebt und war fest davon überzeugt, dass nur gebildete Staatsbürger mit Freiheit so umgehen können, dass nicht Willkür, Gewalt und Chaos die Folgen sind. Stifter war kein Reaktionär, aber ein vorsichtiger Liberaler. Die Freiheit, die er meinte, muss auf Vernunft gegründet sein, und Vernunft ist erlernbar. Stifter stand da ganz in der Tradition des aufgeklärten Humanismus.
Klage über unfähige Lehrer
Auf seinen Inspektionsreisen durch Oberösterreich sah der k.k. Schulrat Adalbert Stifter die vielen Mängel des öffentlichen Schulwesens und regte zu umfassenden Reformen an. Manche Schulen waren baulich in katastrophalem Zustand. Die Volksschullehrer waren schlecht besoldet und noch schlechter ausgebildet. „Leider sind im Lehrstande auch Individuen der mittelmäßigsten Art, die auf einen engen Standpunkt befangen, in ihm einen blinden Mechanismus huldigend, umso anmaßender sind, als ihnen die menschlichen Faktoren unbekannt sind, die sie bedürfen. Meist ist ihnen gutes Aufsagen die größte Tugend des Schülers, und das Innehaben eines Lehrbuches ihre größte Kenntnis. Manche sind auf Befehl durch eine konkursartige Prüfung Professoren geworden, und tun die Arbeit ungern. Daher wird sie mechanisch, daher sind sie jeder Neuerung abhold, die ihr bisheriges Tun ändert.“
Stifters Amtsschriften kann man entnehmen, dass er immer wieder die mangelnde Fähigkeit der Lehrer beklagte, ihren Unterricht auf die Perspektive der Kinder einzustellen. „Durch Unfähigkeit der Lehrer, in die Seele ihrer Kinder einzugehen, durch die Unfähigkeit, über den Kreis ihres eingelernten Stoffes hinauszusehen und ihn daher zweckmäßig anzugreifen, und endlich durch die Hartnäckigkeit, von ihrem und nicht von der Kinder Standpunkte zu lehren und den Schülern unverstandene Formeln zu geben, ist schon sehr viel an Zeit, Lernfähigkeit und Erfolg zugrunde gerichtet worden.“ Daher sei es auch kein Wunder, wenn der Lehrer in Romanen und Theaterstücken aller Völker als lächerliche Figur dargestellt werde.
Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.
In Kürze startet hier der FURCHE-Navigator.
Steigen Sie ein in die Diskurse der Vergangenheit und entdecken Sie das Wesentliche für die Gegenwart. Zu jedem Artikel finden Sie weitere Beiträge, die den Blickwinkel inhaltlich erweitern und historisch vertiefen. Dafür digitalisieren wir die FURCHE zurück bis zum Gründungsjahr 1945 - wir beginnen mit dem gesamten Content der letzten 20 Jahre Entdecken Sie hier in Kürze Texte von FURCHE-Autorinnen und -Autoren wie Friedrich Heer, Thomas Bernhard, Hilde Spiel, Kardinal König, Hubert Feichtlbauer, Elfriede Jelinek oder Josef Hader!