Stifter, wie er lebte ...

Werbung
Werbung
Werbung

Durch die neuen Stifter-Biografien von Peter Becher, Leopold Federmair und Lutz Holzinger hat sich Evelyne Polt-Heinzl gelesen.

Nicht ganz unerwartet bescherte uns der 200. Geburtstag Adalbert Stifters in diesem Jahr eine Fülle an neuen Büchern über den Autor und sein Werk. Gediegen wie das Porträt des behäbigen Herrn Schulinspektors, das am Cover prangt, geht Peter Becher zu Werke. Chronologisch erzählt der Geschäftsführer des Münchner Adalbert Stifter-Vereins von Stifters Kindheit in Oberplan / Horniplana, dem frühen Tod des Vaters und der intellektuellen Förderung im Benediktiner-Stift Kremsmünster, die dem eifrigen Schüler neue Welten erschließt. In Wien dann die Jahre der Unentschiedenheit und des Scheiterns: Stifter als ewiger Student und Hauslehrer, der zu Prüfungen und entscheidenden Terminen nie erscheint, während die einstigen Mitschüler schon an ihren Karrieren basteln; 1839 die erste Ausstellung, ein Jahr vor Veröffentlichung der ersten Erzählung "Der Condor".

In der Provinz

Dann die überraschenden Erfolge als Schriftsteller, die sich auch dem biedermeierlichen Interesse an Almanachen und Kalenderliteratur verdanken. Schließlich die Erschütterung durch die Revolution 1848, die Stifter von der Wichtigkeit pädagogischer Arbeit überzeugt. Es folgt die kurze Phase des Enthusiasmus als Schulinspektor, die Freude am endlich erreichten Honoratioren-Status, und sei es nur in der provinziellen Enge von Linz.

Doch die Restauration setzt seinem Handlungsspielraum rasch Grenzen. Sein "Lesebuch zur Förderung humaner Bildung" wird nicht approbiert; nach Stifters Tod bemühte sich Peter Rosegger vergeblich darum, in Bayern wird es dann 1946 anerkannt. Stifters letzte Lebensjahre stehen im Zeichen von diesen und anderen Enttäuschungen, familiären Katastrophen und den beginnenden Krankheiten, die Becher als Burn-out-Syndrom interpretiert.

Bemerkenswert ist Bechers Sicht auf Stifters Verhältnis zu Fanny, der unerreichbaren Jugendgeliebten, und Amalie, der ungebildeten Putzmacherin, die Stifter als "Notlösung" heiratet. Aus Briefzitaten liest Becher heraus, dass auch Fanny intellektuell eher einfach und zudem nicht besonders schön war, während Amaliens Erscheinung die Zeitgenossen ins Schwärmen geraten ließ. Könnte es sein, so deutet Becher an, dass die Stifter-Exegese Stifters eigener Lesart aufgesessen ist, der im Rückblick seine unerreichte Jugendliebe dem romantischen Zeitgeschmack entsprechend gehörig idealisierte, auch wenn sie ihm eigentlich vielleicht einfach nicht genug gefallen hat?

Becher versteht sein Buch als "populärwissenschaftliche Biografie" und verzichtet auf Nachweise, man kann jedoch beim "Verlag eine Zusammenstellung der genauen Quellenangaben" bestellen. Das ist unorthodox und auch überraschend, denn der Ton des Buches wirkt doch eher akademisch.

Bekannte Landschaft

Essayistisch angelegt ist der Band "Adalbert Stifter und die Freuden der Bigotterie" von Leopold Federmair. Er kennt die Landschaften, die bäuerlichen Traditionen, die sprachlichen Besonderheiten und die Typen, die in viele Texte Stifters hineinverwoben sind. Konflikte und Verhaltensweisen Stifterscher Figuren unterfüttert er mit den Alltagserfahrungen seiner Kindheit, die er zum Teil - wie Stifter - als Zögling im Stift Kremsmünster verbrachte. Gerade hier sind die Überschneidungen allerdings eher klein: was Stifter als weltoffen erlebte, hat sich 150 Jahre später in schwerfällige Enge verkehrt.

Totale und Zoom

Federmairs Buch entfaltet sich im ständigen Wechsel von Totale und Zoomeffekten. Wo der geschärfte Blick aufs Detail entdeckt, was Stifter "gegen alle Widerstände und Zensuren aus der eigenen Lebensgeschichte in die Erzählung einfließen" lässt, stellt der Blick ins Weite Zusammenhänge und Kontinuitäten her, die auch in unsere Gegenwart weisen. Ohne den Texten Gewalt anzutun ergeben sich da Verbindungen von den ländlichen Netzwerken der agrarreformerisch engagierten Stifterschen Gutsherrn ("Brigitta", "Nachsommer") zur Permakultur des Sepp Holzer. Wie viele Aussteiger unserer Tage sind wie Stifters Grundherrn Stadtflüchtlinge; vom gängigen Mechanismus "Ausgrenzung, üble Nachrede und späte Berühmtheit" diesen zugereisten Sonderlingen gegenüber erfahren wir bei Stifter nichts. Einem Ortskundigen wie Federmair fällt das als Leerstelle ins Auge. "Abdias" wird in dieser Lektüre nicht nur zu einem Selbstporträt Stifters, sondern auch zu einer Illustration aus dem Irakkrieg.

Aus der Zeremonialität, die rund um Stifters Rosenhaus herrscht - der "Nachsommer" ist übrigens soeben als preiswerter gelber Reclam-Klassiker erschienen -, liest Federmair das lange Register der Mühen heraus, die "die beste Welt ihren Akteuren abverlangt". Mag sich diese Attitüde in der westlichen Welt auch verloren haben, Federmair findet sie in der Alltagskultur Japans wieder, wo er zur Zeit als Lektor lebt. Von der großen Geste des Sammelns und Systematisierens, die viele Stiftersche Figuren teilen, zieht Federmair eine Verbindungslinie zu Gerhard Roths Fotoreportagen als Ausgangsmaterial seiner großen Romanserien, von Stifters Ritualität zu Yasunari Kawabata, er liest "Kalkstein" als praekafkaesken Text und den "Witiko" als Popliteratur.

Den genialen Buchumschlag ziert ein weißes Tischtuch mit Häkelspitze - in der rechten Ecke ein schmaler, aber deutlicher Kaffeerand. Federmairs Buch, so könnte man assoziieren, forscht mit subtilen (Sprach)Mitteln und den richtigen Fragen nach den Ursachen und Verursachern dieser Flecken und Ränder in Stifters Weltbild wie in der Rezeptionsgeschichte.

Fühlt man sich nach Federmairs Buch Stifter in seiner ganzen Abgründigkeit und Zwiespältigkeit ein kleines Stück näher gerückt, lässt Lutz Holzingers "Adalbert Stifter. Seine Welt" den Leser eher ratlos zurück. Das Vorwort hebt mit dem schrillen Gestus des Jahrmarktsausrufers an: "Hereinspaziert! Nur hereinspaziert! Hier sehen Sie, was Sie noch nie gesehen haben! Eine Welt, aus der das Böse verbannt scheint." Was folgt, sind in ordentlich chronologischer Manier reichlich blasse Inhaltsangaben, in die sprachlich eher unbeholfen zahllose (über)lange Zitate einmontiert sind. Das ist ermüdend zu lesen und verfehlt den Autor mitunter völlig, denn gerade Stifter bekommt man an der Text-Oberfläche schwer zu fassen.

Ratloser Leser

Besonders daneben gerät so etwa die Inhaltsangabe zu "Abdias" - bei Ruth Klüger wäre nachzulesen gewesen, worin das Beunruhigende der Erzählung zu suchen ist. Radikal verfehlt ist auch die Darstellung zu "Turmalin" aus der Sammlung "Bunte Steine"; für Holzinger ist sie einfach "schwer entzifferbar", ein "wahrhaft dunkles Steinchen, das der Autor da fand". Hier hat es sich einer, der vor vielen Jahren über Stifters "Witiko" dissertiert hat, offensichtlich zu leicht gemacht. Wie das schmale Literaturverzeichnis zeigt, hat er jüngere Publikationen kaum wahrgenommen. Doch auch bloße Nacherzählungen sollten aktuellere Erkenntnisse nicht vollständig ignorieren. Beim "Hochwald" etwa beharrt Holzinger auf dem Bild des Vaters, "der sich rührend" um seine Töchter kümmert, obwohl er eine der zentralen Textpassagen, auf die sich neuere Lesarten des nicht unproblematischen Vater-Töchter-Verhältnisses stützen, auf der vorangegangen Seite - zufällig - selbst zitiert hat.

Entschleunigung

Richtig ist jedoch zweifellos Holzingers Ausgangsüberlegung, dass im Zeichen wachsender Bedürfnisse nach Entschleunigung, Stifters Werk eigentlich ein ideales Angebot darstellt, und dass Stifter heute gerade für Intellektuelle, die von der Auflösung der tradierten Wertesysteme wie den Folgen der Globalisierungsprozesse nicht weniger verunsichert sind wie Stifter von der Revolution 1848, eine eigene Anziehungskraft besitzt.

Adalbert Stifter

Sehnsucht nach Harmonie

Eine Biografie. Von Peter Becher

Friedrich Pustet Verlag, Regensburg 2005. 253 Seiten, geb, e 25,60

Adalbert Stifter und die Freuden der Bigotterie

Von Leopold Federmair

Otto Müller Verlag, Salzburg 2005

334 Seiten, geb., e 24,-

Adalbert Stifter

Seine Welt

Von Lutz Holzinger

Holzhausen Verlag, Wien 2004

241 Seiten, kart., e 28,80

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung