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Seid wachsam!
Ein Verlag in Deutschland, der sich seit Jahrzehnten um die Vermittlung französischen und italienischen Kulturguts bemüht hat, unternahm es, das Buch „Europäische Künstlerbriefe“ neu aufzulegen. In ihm stehen-auch Briefe Adalbert Stifters. Zu allgemeinen Fragen seiner Zeit, die, wie uns die Erfahrung lehrte, auch solche der Zukunft waren, hat der Dichter besonders in Briefen an seinen Pester Verleger Heckenast 1848/49 immer wieder Stellung genommen. Nunmehr hat zu allgemeiner Überraschung die kulturelle Sektion der Ostzonenverwaltung die Tilgung dieser Briefe verlangt. Stifter wurde dabei des „Individualismus“ sowie der Predigt von Gewalt und Volksfeindlichkeit bezichtigt.
Ein grober Vorwurf. Sehen wir einmal näher zu. Stifter beklagt sich beispielsweise am 25. Mai 1848, daß eine Gewalt gebraucht wird, „die nur noch mehr verwirrt, die Gemüter von jeder Seite mißtrauischer macht, Verzagtheit, Ohnmacht, Zügellosigkeit, Despotie und Reaktion hervorruft“. Seine Freiheitsfeindlichkeit nimmt sich so aus: „Ich bin ein Mann des Maßes und der Freiheit — beides ist jetzt leider gefährdet. Nicht in der Alleingewalt, sondern in der Verteilung liegt sie.“ Der Individualismus wieder ergibt sich aus der bewegten Teilnahme an den öffentlichen Ereignissen: „Ich folge den Ereignissen mit einer Aufmerksamkeit und Ergriffenheit, die ich selber nie an mir vermutet hätte.“ Die Begeisterung für Gewalt kündigt sich so an: „Wie der Kampf in Ungarn in mein Gemüt schnitt, können Sie nicht glauben — ein jeder Kanonenschuß ging ja eigentlich in Österreichs Herz selber.“ (4. September 1849 an Heckenast.) In dem Nachruf für den Bahnbrecher der Volkskunde in Österreich, Anton Ritter von Spaun, unterstrich Stifter zustimmend Spauns Ansicht, „daß kein Heil von gewaltsamen Umstürzen zu erwarten sei, sondern nur von gesetzlichem Fortschritt“. Und die „Volksfeindlichkeit“: Stifter war der Reorganisator des heimatlichen Schulwesens; die Volksbildung war ihm die Voraussetzung für die Konstituierung eines breiten Forums im Parlament; er trat für die ausreichende Besoldung der Lehrerschaft ein und für die Förderung und Vermehrung der Mittel, die es auch ärmeren Volksschichten erlauben sollten, am Bildungsgänge teilzuhaben.
Stifter befindet sich — wie einst auf der Proskriptionsliste des Blattes „Constitution“ der Achtundvierzigerjahre — auch jetzt in guter Gesellschaft. Da ist Grillparzer, dem man schon lange die Gedichte an Erzherzog Karl und Radetzky verübelte, da sind Racine, Mallarme, Paul Valery, Antoine de Saint-Exupery, Tolstoi mit seinen christlich fundierten Äußerungen. Seltsam aber ist, daß der jetzt Verworfene der gleiche Stifter ist, der vor dem Krieg auch in slawisdien Ländern viel gelesen wurde und der selber die gründlichsten Studien in der Slawistik — man denke an die Arbeiten zum „Witiko“-Roman — getrieben hat. Allerdings hat Stifter 1867 dafür vom Großherzog von Sachsen-Weimar das Ritterkreuz erster Klasse des Ordens vom weißen Falken erhalten, das Carl August, Goethes Freund, erneuert hat; und dieser Goethe gab-der Stiftung den Wahlspruch: „Seid wachsam.“ Das ist wirklich verdächtig.
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