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Stifter fur heute

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Während der 1. Internationalen Tagung des Adalbert-Stifter-Instituts des Landes Oberösterreich, die zwischen dem 10. und 17. Mai in Bad Hall stattfand, wurde offenbar, daß die Zeit der „verlängerten Seminare“ vorbei ist. Die Wissenschaft sieht sich auch in der Literatur wie in der Medizin, in den Naturwissenschaften und der Rechtskunde verpflichtet, die Ergebnisse ihres Forschens offen und klar darzulegen, sie ist bedacht, diese Erkenntnisse der Allgemeinheit, dem Volke, der Erziehung zum Schönen und Wahren, zu vermitteln. Kein Dichter ist dazu geeigneter als Schirmherr denn Adalbert Stifter, „ein helfender Dichter“, wie ihn Landeshauptmann Dr. Gleißner in seiner Begrüßungsrede vor den Tagungsteilnehmern in Bad Ischl nannte. Der Chef der Landesregierung, selber ein begeisterter Stifter-Freund, der dann am gleichen Tag mit seinen Besuchern (sie waren von ihrer Ankunft an schon Gäste des Landes Oberösierreich) über den „Waldsteig“ wanderte, hob weiter hervor, daß Stifter gerade in diesem Lande den benediktinischen Geist und die Weite seines Horizonts empfing. „Die internationale Stifter-Familie ist ins Vaterhaus eingeladen worden“, und dies zu einer Zeit, da „Stifter mehr denn früher erkannt werde, wie seine Ratschläge dem Baue einer neuen Welt dienen“.

Es bleibt immer erstaunlich, wie es einem Bundesland gelingen konnte, fünf Jahre nach dem größten Kriege das erste und bis heute einzige Institut binnen acht Tagen aufzubauen, das in Oesterreich literarischer Wissenschaft dient; daß das gleiche Institut schon von Anbeginn eine Vierteljahresschrift von sehr beachtlichem Range und im dritten Jahre des Bestandes eine eigene Schriftenreihe (Buchveröffentlichungen) herausgeben konnte; und nun, nach fünf Jahren des Bestehens, vor internationalem Forum eine Bewährungsprobe ablegte, die bei den ausländischen Gästen Bewunderung erregte. Denn wir müssen uns immer gegenwärtig halten, daß fortdauernd von der Krise der Kultur, vom Niedergang der literarischen Bestrebungen geredet und geschrieben wird, und daß diese Tagung in einem Lande stattfand, das bis zum Zeitpunkte der Eröffnung um seine Freiheit rang und sie, schier symbolhaft, während der Tagung erkämpfte.

Als greifbare Ergebnisse der sechs Arbeitssitzungen, von denen jede mehrere Stunden währte, können die vier Resolutionen angesehen werden, die am 13. Mai, nachmittags, unterzeichnet wurden. Sie betreffen: 1. Die endliche Fertigstellung der 1901 begonnenen Prager Ausgabe der Sämtlichen Werke Stifters, von der immer noch drei Bände, und zwar XII1/I, XIII/2 sowie XXV, der Schlußband, fehlen; 2. die Aufnahme der „Witiko“-Handschrift, die sich in Schweizer Privatbesitz befindet, auf Mikrofilm für textkritische Arbeiten; 3. damit ideenmäßig verbunden die Aufnahme aller Handschriften des Dichters auf Mikrofilm und die Hinterlegung im Institut zu Forschungszwecken, damit sich allmählich für die ganze Welt ein sichtbares Zentrum germanistischer Studien bildet; 4. Initiative, betreffend die Bereitstellung des Wohn- und Sterbehauses Stifters, Linz, Untere Donaulände 6, beziehungsweise des zweiten Stockes als Forschung- und Musealstätte. Zu diesem Punkte hat ja der Bürgermeister von Linz, Doktor Koref, gelegentlich der Begrüßung der Tagungsteilnehmer am 10. Mai seine feste Unterstützung zugesagt. (Das Haus ist augenblicklich bewohnt.)

An kommenden Veröffentlichungen wurden genannt: zunächst die von Dr. Vancsa, dem Direktor der Bundesstaatlichen Studienbibliothek, Linz, herausgegebenen Schulakten Stifters — ein für die Pädagogik höchst bedeutsames Ereignis; ferner ein Diarium von Stifters Wirken in Linz — ein Buch des bekannten Stifer-Forschers Otto Jungmair —, eine Publikation von besonderem Quellenwert; später ist daran gedacht, die Aufsätze Wilhelms über Stifter wieder herauszugeben (Dr. Stefl, München). Hervorzuheben ist die mit Unterstützung der steiermärkischen Landesregierung herauskommende Festschrift, die im Briefwechsel Rosegger—Heckenast (Stifters Verleger in Pest) über hundert wichtige Stellen, Stifter betreffend, aufweist. Der Nachlaß des Stifter-Biographen A. R. Hein ist, wie der Institutsleiter Dr. Schiffkorn bekanntgab, für das Institut gesichert worden. Es trifft sich glücklich, daß der Leiter des Instituts zugleich jenes für Landeskunde und Heimatpflege dirigiert: hier vereinigt sich die eingangs berührte wissenschaftliche Leistung mit Weitergabe ans Volk.

Von nicht zu unterschätzender Bedeutung ist aber auch die Stimme des Staates, des Unterrichtsministeriums, das am 16. Mai als persönlichen Vertreter ' des Ministers Sektionschef Dr. Musil nach Bad Hall entsandte, der die Schaffung des Instituts als Gewinn für die österreichische Literaturwissenschaft und darüber hinaus für die ganze Welt bezeichnete und volle Unterstützung zusagte.

Es ist in diesem engen Rahmen ganz unmöglich, auch nur andeutungsweise den Inhalt der Referate und Wechselreden zu geben. Es war wohl erst ein Vortrag, dann aber entwickelte sich ein Zueinander-sprechen, ein Beraten miteinander, hier sprang ein Gedanke auf, wurde dort abgewandelt. Die wissenschaftlichen Ergebnisse werden die nächsten Monate bringen — und oft wird solch ein Buch mit Oesterreich, mit den Tagen ob der Enns in Verbindung gebracht werden. Man hat ja keine Mühe gescheut, den Gästen Geographie, Geologie, Bevölkerungskunde, Volkstum (DDr. Kriechbaum) und Kunstgeschichte (Dr. Wutzel) in Wort und Lichtbild vor jeder der vielen Exkursionen zu bringen. Hier, an den Mienen, den Fragen, Meinungen der Frauen und Männer war etwas abzuschauen und abzuhören, das fühlen ließ, wie weit diese Tagung über ähnliche Veranstaltungen hinausging: hier wurde den Ausländern offenbar, was österreichisches Wesen bedeutet. Viele der Gäste sprachen es offen aus. Sie erkannten aber noch weiter in den literarischen Lesungen (aus Werken von Arthur Fischer-Colbrie, dessen lyrische Melodie auch seine Prosa unnachahmlich durchschwebt; und in den ergreifenden Schlußworten, die Hanns Gottschalk in Kefermarkt aus seinem Roman „Meister Dominus“ sprach), daß eine lebendige Verbindung vom Gestern ins Heute auch in der Kunst besteht. Zu den Berichten von Dr. Alker (Fribourg), Dr. Augustin (Basel), Dr. Bar-dachzi und Dr. Enzinger (Wien), Dr. Hüller (dem letzten noch lebenden Editor der Prager Ausgabe — Prien), Dr. Kunisch (München), Dr. Mühlher (Graz), Dr. Seidler (Innsbruck), Dr. Requadt (Mainz), Doktor Steffen (Luzern) gesellte sich der Dank des Dichters Dr. Felix Braun für die Wiener Teilnehmer, der die Hoffnung aussprach, diese Tagung werde nicht die letzte gewesen sein. Den Dank der deutschen Gäste drückte Dr. Kunisch mit besonderer Wärme aus, Dr. Augustin den Dank der Schweiz und den Dank Italiens Dr. Ines Badino-Chiriotti, Genua. Ihnen allen, die auf der Höhe von Kirchschlag standen, erging es wie dem Wanderer in Stifters „Waldgänger“: es „war eine Wehmut über das Scheiden“.

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