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Stifter und die Moderne

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Es ist faszinierend, zu erfahren, daß den zahlreichen Facetten der Adalbert-Stifter-Forschung immer wieder neue hinzugefügt werden können. Stifter, der als "Idylliker" oft gehörig mißverstanden wird, ist stets für Überraschungen gut. Nach wie vor wird er von bedeutenden

Autoren der jüngeren Vergangenheit, wie Thomas Mann, Arno Schmidt, Herbert Eisenreich und Thomas Bernhard, sowie der Gegenwart, wie Gertrud Fussenegger, Peter Handke, Hermann Lenz und Jutta Schütting, lebendig erhalten. Stifters Modernität ist unbestritten. Dieser Schluß läßt sich aus den

Vorträgen und Diskussionen des "Adalbert-Stifter-Kolloquiums Linz" ziehen, das sich mit den Wandlungen des Stifter-Büdes seit 1930 beschäftigte. Als Veranstalter zeichnete das Adalbert-Stifter-In-stitut des Landes Oberösterreich; federführend war dessen Leiter Johann Lachinger.

Der Autorin Gertrud Fussenegger sowie neunzehn Germanisten aus sechs Ländern - der BRD, Frankreich, Italien, Japan, der Schweiz und Österreidi - gelang es, ein zahlreiches, fachlich wie literarisch interessiertes Publikum zu versammeln. Die Summe der Vorträge fügte sich zum eindrucksvollen Mosaik.

Als besondere Akzente seien genannt: Stifter als kulturpolitischer Faktor in Österreich nach 1945, Aspekte der deutsch-böhmischen Stifter-Rezeption 1918-1938, Stifter im Nationalsozialismus und in der marxistischen Kritik, Arbeit an Stifter im Exü, Stifter-Forschung und -Übersetzungen in Italien, Japan und den USA, Stif ter-Büder im Werk bekannter Autoren von Thomas Mann bis Thomas Bernhard.

Ebenso originell wie reizvoU gestaltete sich die Doppelinterpretation der Erzählung "Die Narrenburg" , die von Gertrud Fussenegger imd Erika Tunner, Universität Lille, bestritten wurde. In einer poetisch kommentierten Nacherzählung ging die Autorin den Spuren des Historismus und des Mythischen in der Dichtung nach und deckte so zwei wesentliche, widersprüchliche Arten von Vergangenheitsbewältigung auf. Erika Tunner untersuchte dagegen das Verhältnis "von aufgezeichnetem und gelebtem Leben… im Sinne von Wahrheit in der Dichtung". Ihr Thema: "Verfehlte Vorbilder - Über Nutzen und Schaden der Autobiographie". In ethchen Beispielen dieser literarischen Gattung, die als literarische Fiktion wieder in Mode gekommen ist, sah die Germanistin, die gegenwärtige Flut von Autobiographien und Tagebuchaufzeichnungen im Visier, "einen Ersatz für den Beichtstuhl oder eine Ergänzung zur Couch". Sie gelangte zur Erkenntnis, daß der Gefahr der autobiographischen Aufzeichnung - für den Schreiber wie für den Leser - als Nutzen eine Ordnungsform des Erlebens gegenüberstehe.

Ein weiterer Höhepunkt der Vortragsreihe war der "wechselseitigen Erhellung: Adalbert Stifter -Thomas Bernhard" gewidmet, in der Alfred Doppler, Universität Innsbruck, Bernhards gebrochene Stifter-Rezeption mit Beispielen belegte. Eizaburo Onagi, Universität Yokohama, wies in seinem Vortrag darauf hin, daß Thomas Mann zwar nie einen größeren Essay über Stifter geschrieben, daß sich aber dessen Lektüre ("Witiko") in einer kritischen Anverwandlung im eigenen Werk niedergeschlagen habe. Josef Huerkamp, Gütersloh/BRD, wartete mit neuen, nach der Eröffnung des Bergfelder Amo-Schmi dt-Ar-chivs gewonnenen Erkenntnissen auf, die offenlegen, daß Stifter "als eine Art Orientierungsfigur" für Arno Schmidt gesehen werden müsse.

Anläßlich der Eröffnung des Kolloquiums erklärte der Leiter der Kiüturabteüung der oberösterreichischen Landesregierung, Manfred Mohr, daß Stifters Wohn- und Sterbehaus zur Gänze der Forschung und Pflege des Dichters sowie der oberösterreichischen Literatur insgesamt dienen werde. Endlich, nahezu vierzig Jahre nach der Gründung des Adalbert-Stifter-Instituts, ist es amtlich: in etwa zwei Jahren, sobald der notwendige Umbau beendet sein wird, wird dieses Haus ein Haus der Literatur sein.

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