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Österreichische und tschechische Autorinnen und Autoren schreiben Stifter neu.

Stifter reloaded" - schon der Titel macht darauf aufmerksam, dass Paraphrasen und Remix-Varianten im Zeitalter der dj-Kultur gut im Trend liegen. 2004 legte der Gerstenberg Verlag "24 melancholische Geschichten" zu Wilhelm Müllers Gedichtzyklus "Die Winterreise" vor, an der das Verblüffendste die große Zahl an Mordgeschichten war. Die starken Emotionen der Müllerschen Gedichte sind für Autoren und Autorinnen zu Beginn des 21. Jahrhunderts offenbar nicht mehr begreifbar als bloße Folgen simplen Liebesleids.

Paraphrasen

Im multimedial gut bedachten Stifterjahr präsentiert nun die oberösterreichische Autorengruppe Rudolf Habringer, Walter Kohl und Andreas Weber, die sich den starken Namen "Netzwerk Memoria" zugelegt hat, Paraphrasen auf die sechs Erzählungen aus Stifters "Bunte Steine", und zwar jeweils im Doppelpack eine österreichische und eine tschechische. Nicht nur die Herangehensweise, auch Stifters "Bunte Steine" selbst passen eigentlich gut in unsere Zeit, sind sie doch ein literarisches Dokument seiner gesellschaftspolitischen Enttäuschung und Resignation im Gefolge des raschen "Rechtsrucks" nach 1848. Darauf nehmen die Autorinnen und Autoren des Bandes allerdings kaum Bezug. Trotzdem finden viele der Texte einen originellen Zugang, wobei zwischen der thematischen Überzeugungskraft und der sprachlichen Durchführung mitunter - namentlich bei den tschechischen Beiträgen - ein gewisse Diskrepanz klafft.

Unterschiedlich originell

Zum einfältigen, selbstlosen Landpfarrer aus Stifters "Kalkstein", der sein Leben lang für eine Dorfschule spart, ist Hanka Hosnedlovás Erzählung von einer Drogentherapiestation motivlich origineller als Hans Eichhorns Geschichte über ein Preisausschreiben zur Frage "Wie viel Begabung braucht der Mensch", die auch mit ständigen Bezügen auf gekalkte Wände Stifters "Kalkstein" nicht näher kommt. Trotzdem ist Eichhorns Erzählung literarisch unbestritten besser.

Sprachlich wie motivlich verunglückt ist Vlasta Duskovás Paraphrase auf "Turmalin"; eine stärkere Bearbeitung hätte verhindern können, dass ein "vollwangiger Rohrsessel" auf einem gemähten Rasenstück stehen bleibt und ein Schmerz "mit wurmhafter Geduld" nagen muss. Durchaus überzeugend hingegen Margit Schreiners "Turmalin"-Geschichte mit der Verknüpfung bekannter Motive aus ihrem Werk, angeordnet entlang der Themen Kopfweh, verschwundene Familienmitglieder und dem väterlichen Bastelkeller.

Die gelungenste Anverwandlung stammt von Adelheid Dahimène. In der Geschichte vom gütigen Großvater, der den über seine mit Pech beschmierten Füße todunglücklichen Enkel auf einen Spaziergang mitnimmt und ihm eine Geschichte erzählt ("Granit"), verwandelt sie den Pechverkäufer in asphaltierende Straßenarbeiter und den Großvater in ein Radio. Das ist ein subtiler Kommentar der zu Zeiten des Pädagogen Stifter stets schrägen Kommunikationssituation zwischen den Generationen, denn auch wohlwollende Autoritätspersonen waren immer noch in erster Linie Autoritätspersonen.

Aktualisierungen

Eine organische Aktualisierung gelingt Walter Kohl zu "Katzensilber": aus dem dunklen Waldmädchen macht er dunkle Männer in einem Asylantenheim und stellt die alte Frage nach dem Umgang mit dem Fremden, nicht Integrierbaren neu. "Bergmilch", Stifters Erzählung aus den napoleonischen Kriegen, wird von beiden Autoren in den Nationalsozialismus transponiert, bei Andreas Weber handelt es sich dabei um Auszüge aus seinem letzten Roman "Lanz", was die Herausgeber allerdings unerwähnt lassen.

Die Winterreise

24 melancholische Geschichten

zu Franz Schuberts Liederzyklus nach den Gedichten v. Wilhelm Müller

Gerstenberg Verlag, Hildesheim 2004

367 S. m. zahlr. Farbillustr. v. Stefanie Roth, geb., e 40,10

Stifter reloaded

Ein Dutzend bunter Steine

Hg. vom Netzwerk Memoria

Picus Verlag, Wien 2005

192 Seiten, geb., e 17,40

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