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STIFTER ALS MALER

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Das Wesen der malerischen Tätigkeit Adalbert Stifters läßt sich nicht mit einem einzigen Werk repräsentieren. Dazu ist es zu vielschichtig, von einer Ungleichartigkeit, welche eine weite Spanne von kindlichem Dilettantismus zu einer in der Zeitumgebung erstaunlich fortschrittlichen Unmittelbarkeit der Landschaftsschilderung und weiter zu grüblerischen, sinnbildhaften, nie zur Vollendung gelangten Stimmungslandschaften umfaßt.

Das hier abgebildete Gemälde gehört in den Abschnitt von Stifters malerischer Entwicklung, aus welchem Landschafts- Studien von einem an Blechen, Dahl und Menzel erinnernden Frühimpressionismus erhalten sind. Das Bild muß Studien solcher Art zur Voraussetzung haben. Ihre Frische ist in dem detailreichen Naturalismus des Gemäldes unversehrt geblieben. Es ist ein Bild der Alpenlandschaft geworden, das wie eine Illustration zu einer der Bergschilderungen in den frü-hen Dichtungen wirkt: „Der Wald hatte sich auseinander gerissen, der See lag dem Jünglinge zu Füßen, und alle Berge... standen nun um das Wasser herum, so stille, klar und nahe, daß er danach langen zu können vermeinte — aber dennoch waren ihre Wände nicht grau, sondern ihre Schluchten und Spalten waren von einem luftigen Blau umhüllt, und die Bäume standen wie kleine Hölzlein darauf, oder waren an anderen gar nicht sichtbar, die schier mit einem ganz geglätteten Rande an dem Himmel hinstrichen“; links der dunkle Waldberg, „hinter dem eben eine Wolke zwei schneeweiße Taubenflügel heraufschlägt“. Freilich zeigt schon der Vergleich mit kurzen Stellen wie diesen — aus dem „Hagestolz“ und den „Feldblumen“ —, daß die malende Naturschilderung hinter der dichterischen zurückbleibt.

In keinem seiner Bilder hat Stifter die Kraft seiner sprach- künstlerischen Veranschaulichung erreicht, trotz der Einheit der Persönlichkeit; bei aller Verwandtschaft zwischen der malerischen und der dichterischen Ausdrucksform offenbart diese nicht nur ihren höheren Rang, sondern auch ihre grundsätzliche Andersartigkeit.

Der Vergleich des vorliegenden Bildes mit der benachbarten Malerei seiner Zeit aber zeigt, daß das Werk sich als vollwertig in die zeitgenössische Landschaftsmalerei einfügt. Es besteht enge Verwandtschaft mit Landschaften der beiden bedeutendsten österreichischen Naturalisten der Jahrhundertmitte, Waldmüllers und Rudolf Alts. Von den verschiedenen offensichtlichen Ähnlichkeiten, im Farbenaufbau in der Malweise, in der bisweilen bis an die Grenze des Kleinlichen gehenden Detailformung, sei nur eine besonders hervorgehoben: die große Rolle, die der Wiedergabe der Atmosphäre zukommt und die verwandte Art von Sachlichkeit, mit welcher sie als malerisches Problem behandelt ist. (Übrigens steht hinter der Ähnlichkeit dieser Landschaft Stifters mit Werken der beiden Zeitgenossen kaum eine Abhängigkeitsbeziehung, denn weder Waldmüller noch Alt ge hören in die Reihe der von dem Dichter besonders hoch geschätzten Maler; außerdem steht die Königseelandschaft fast vereinzelt im erhaltenen Werk Stifters.)

Dieses Problem war für Stifter, für den Maler wie für den Dichter, immer von ganz außerordentlicher Wichtigkeit, besonders häufig in der schwer zu bewältigenden Form der Mondbeleuchtung.

Das Licht und die atmosphärische Stimmung in dem Bild mit dem Königsee sind aber doch auch wieder verschieden von der Atmosphäre in den Landschaften Waldmüllers und Alts, sie sind mit beträchtlicherem künstlerischen Eigenwert ausgestattet als bei Alt, gegenüber der glänzenden Formel Waldmüllers für strahlendes Sonnenlicht, aber wieder von einer bescheideneren Sachlichkeit.

Hier wird die Richtung deutlich, in welcher sich die Schätzung der Kunst Stifters von rein künstlerischen Gestaltungsproblemen entfernt, notwendigerweise entfernen muß, um diesem Maler gerecht zu werden: es ist auch in diesem, von allen durchgeführten Werken am besten gemalten Bild Stifters etwas von dem Dilettantismus enthalten, der zum Wesen seiner Malerei gehört. Dieser war nicht immer hemmend, sondern in den glücklichen Augenblicken seiner Kunst spricht sich in ihm ein Wert aus. Um wieviel anspruchsloser die malerischen Formmittel der Königseelandschaft zum Beispiel als diejenigen Alts oder Waldmüllers sind, um soviel selbstverständlicher naturhaft wirkt das Landschaftsbild als Ganzes. Es erscheint dies wie ein Vorrang des Menschlichen vor dem Künstlerischen. Diese Wirkung, nicht das malerische Können, nimmt weiterhin zu und macht aus den Landschaftsbildern der letzten Jahre Stifters sehr seltsame Zeugnisse künstlerischer Tätigkeit, mit einem Nebeneinander von pedantischer Biedermeiermalerei und einer Größe der Landschaftserfassung, in welcher der Geist Caspar David Friedrichs weiterlebt.

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