"Bis das Licht hervorbricht"

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Über das Sterben - und Leben - des abstrakten Malers Mark Rothko (1903-1970).

Es gibt nur eine Methode, um Bilder zu verstehen - nicht versuchen, sie zu interpretieren, sondern sie solange anschauen, bis das Licht hervorbricht." Dieses Wort der französischen Mystikerin Simone Weil gilt besonders für die Bilder von Mark Rothko. 1903 wurde er als Kind einer gebildeten jüdischen Familie in der russischen Stadt Dwinsk geboren, die heute wieder zu Litauen gehört. Sein Vater, ein Apotheker, war nach einer religiös liberalen Lebensphase zur jüdischen Orthodoxie zurückgekehrt, und der Sohn Markus besuchte eine religiöse Schule. Als Zehnjähriger übersiedelte er mit der Familie in die usa, wohin der Vater sich als Wegbereiter schon vorher begeben hatte. Fast zufällig geriet der vielseitig begabte Markus in eine Ausbildung zum Künstler. Sein Schaffen als Maler dauerte 45 Jahre und führte ihn durch Phasen von Realismus und Surrealismus nach Jahren des suchenden Übergangs zu einem Abstrakten Expressionismus in der Zeit von 1949 bis zu seinem Tod durch Selbstmord am 25. Februar 1970.

Die Künstler dieses Abstrakten Expressionismus, unter ihnen neben Rothko vor allem Barnett Newman, verschafften der amerikanischen Malerei erstmals und für Jahrzehnte eine führende Rolle in der Welt. Vorher hatte seit dem Ende des 19. Jahrhunderts Paris dominiert. Diese amerikanischen Maler und zumal Rothko forderten die Sehgewohnheiten des Publikums auf in Amerika nie dagewesene Weise heraus. Jacob Baal-Teshuva zitiert in seinem Buch "Mark Rothko, 1903-1970. Bilder als Dramen" den jungen Maler William Seitz, der das Anliegen der Maler des Abstrakten Expressionismus folgendermaßen beschrieben hat: "Ihnen geht Ausdruck über Perfektion, Vitalität über Vollendung, das Fließende über das Ruhende, das Unbekannte über das Bekannte, das Verschleierte über das klar zu Tage Tretende, das Individuelle über das Gesellschaftliche und das Innere über das Äußere."

Rothko war ein profilierter Intellektueller, ein sehr gebildeter Mann. Eine der Quellen seiner Inspiration war Musik, besonders die Musik Mozarts, die ihn häufig beim Malen begleitete. Die Malerei wollte er auf jene Stufe heben, die der Musik eigen ist, und wurde dazu vielleicht auch durch die Befassung mit Nietzsche und dessen Werk "Die Geburt der Tragödie" bewegt. Er verehrte große europäische Kunst. Paris enttäuschte, aber die Fresken des seligen Malermönchs Fra Angelico im Kloster San Marco in Florenz beeindruckten ihn - so schreibt Jacob Baal-Teshuva - "mit ihrem überirdischen Licht und ihrer meditativen Ruhe". Dennoch vollzog er einen radikalen Bruch mit der Kunst der Vergangenheit und ihren Techniken und Motiven. In seinen Bildern wollte er Tragödie und Ekstase erfahrbar machen.

Mystik und Erhabenheit, ja Heiligkeit dominieren nach Auffassung vieler Kunstkenner im Spätwerk Rothkos. Er hatte vorher das gesamte Farbspektrum ausgeschöpft. In frühen Phasen wählte er vor allem strahlend leuchtende Farben, zumal Gelb und Rot. Später werden die Bilder zunehmend dunkler und geheimnisvoller. "Leute, die vor meinen Bildern weinen, machen dieselbe religiöse Erfahrung, die ich gemacht habe, als ich sie malte, ... wenn sie nur durch ihre Farbbeziehungen angesprochen werden, dann entgeht ihnen das Entscheidende", sagte Rothko, der nicht mehr als "abstrakter Künstler" verstanden werden wollte, weil es ihm auch um Inhalte ging.

Die letzte Zeit seines Lebens war überschattet von Depressionen. Er war melancholisch und einsam, schien seine Inspiration und Leidenschaft verloren zu haben und nahm sich schließlich das Leben. Erst nach seinem Tod wurde im Campus einer katholischen Universität in Houston eine Rothko-Kapelle eröffnet: ein fensterloser Raum mit fast nachtschwarzen großen Bildern. Bei der Einweihung dieses interreligiösen Sakralraumes sagte der Stifter des Werkes: "Wir werden mit Bildern überschüttet, und nur die abstrakte Kunst kann uns an die Schwelle zum Göttlichen führen. Es erforderte großen Mut von Rothko, so nachtschwarze Bilder zu malen." Und die Kunsthistorikerin Barbara Rose sagte: "Die Gemälde scheinen auf mysteriöse Weise von innen zu glühen." Das eingangs zitierte Wort der Mystikerin Simone Weil trifft wohl auf alle Bilder Rothkos zu: Es bricht viel Licht aus ihnen hervor, wenn man sie lange betrachtet.

Zum Buch

Spätestens mit dem öffentlichen Sterben von Papst Johannes Paul ii. ist "Sterben" wieder öffentliches Thema geworden. In dieser Gesellschafts-Lage kommt das neue Buch des Grazer Bischofs mehr als zupass: "Und dann der Tod ..." setzt sich mit der Ars moriendi, der Kunst des Sterbens, die eine Kunst des Lebens darstellt, auseinander. 80 kurze "Sterbe-Bilder" von exzeptionellen Persönlichkeiten hat Egon Kapellari zusammengestellt: Einmal mehr beweist er, dass ein "katholischer" Blick aufs Lebens- und Todes-Zeugnis anderer beileibe kein enger sein muss. Neben erwarteten, aber durch des Bischofs Feder einfühlsam näher gebrachten Gestalten (Johannes Paul ii., Kardinal König) finden sich überraschende literarisch-spirituelle Kleinodien über Persönlichkeiten, die einem humanistisch interessierten Zeitgenossen interessieren sollten - von Simone de Beauvoir bis Napoleon, von Dostojewskij bis Judas, von Nietzsche bis Edith Stein, von Mark Rothko (s. unten) bis Marie Luise Kaschnitz. Weit mehr als ein Allerseelen-Buch! O. Friedrich

UND DANN DER TOD ... - Sterbe-Bilder

Von Egon Kapellari. Verlag Styria, Graz 2005. 232 S., zahlr. Abb., geb., e 22,-

(Der Autor stellt sein Honorar der Hospizbewegung zur Verfügung.)

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