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Mein Freund Hugo

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Wir gehen immer auseinander wie das Liebespaar in einem Zeitungsroman, ein angefangenes Gespräch auf den Lippen, die Fäden für morgen geknüpft, und darunter: Fortsetzung folgt.'“ Derart beurteilte 1891 der junge Hugo von Hofmannsthal seine angehende Freundschaft zu Hermann Bahr, den er nach einer Rezension des frivolen Theaterstücks ,J)ie Mutter“ wenig zuvor kennengelernt hatte.

Hofmannsthal, dessen doppelte Existenz als Dichter und kritischer Philosoph Bahr in einem Artikel über ,JDas junge Österreich“ 1894 feststellte, hatte in diesem einen entschiedenen Mentor und publizistischen Förderer gefunden. Nach der Jahrhundertwende konzipierten die beiden Schriftsteller gemeinsam mit Max Reinhardt die Salzburger Festspiele, standen Schulter an Schulter “im letzten Ringen der Donaumonarchie und bauten nach dem Zusammenbruch an einem positiven Kulturbild des neuen Österreich.

Die Geschichte dieser wechselvollen, jahrzehntelangen Beziehung im Kern der sich herausbildenden Moderne ist noch nicht geschrieben. Doch wirft die erstmalige Veröffentlichung von Tagebüchern Hermann Bahrs einiges Licht auf jenes eigentümliche Verhältnis, das von einer parallelen Annäherung der Dichter an den Katholizismus gekennzeichnet war. Die FURCHE veröffentlicht einige Auszüge aus den Tagebuchnotizen Bahrs, die in diesem Herbst in Buchform erscheinen werden.

Aus dem Jahr 1891 . Hugo: 1. Seine Dominante ist das Wilhelm Meisterliche. Ruhiger Empfang der Dinge ist nicht seine Sache; er ist immer bekümmert, sie sich zu deuten. Alles soll geordnet, verbunden werden. Diese bunten, hastenden Verse fragen immer das Leben um seinen Sinn.

2. regret, melancholisches Bedauern unwiederbringlicher Verluste. Was ihm fehlt: das „Tropische“, wie Nietzsche sagt. Er gehört zuletzt doch zu den geschmeidigen Renanisten.

Aus dem Jahr 1894

Es mag ja sein, daß ich selber noch einmal in einer guten Stunde ein paar Sächelchen schaffe, die vielleicht einige Zeit bleiben. Aber das ist nicht mein Amt. Als mein Amt betrachte ich es, diese zwei Künstler, Hof mannsthal und Andrian, zu verstehen, zu kommentieren, kritisch tapfer fechtend zu begleiten, aus ihren Werken die Gesetze der ewigen Kunst abzulesen und der Menge zu verkünden, bis sie dankbar fühlen wird, was sie an ihnen hat.

1. Februar 1897

Meine „Renaissance“ erscheint; Schnitzler, Herzl, Christomanos, Poldi und Hugo danken mir in warmen Worten.

12. März 1902

Hugo bei mir. Gespräch über die Kraftlosigkeit der Worte und das Unvermögen des Menschen, sich durch Worte einem anderen mitzuteilen.

13. September 1903

Regnerisch. Anderthalb Stunden am Meister. Zum Hugo nach Rodaun. „Elektra“ fertig. Liest daraus vor. Der wilde Tanz am Ende herrlich. Auch durchaus meine Griechen, hysterisch, abgehetzt, ins Ruhlose getrieben. Diskutiere den mir für die musikalische Stimmung zu advokatisch zugespitzten Schluß mit dem: die Pythia haf'nur Worte und Elektra hat den Tanz.

29. November 1903 _ Nachmittag nach Rodaun zum Hugo. Gespräch über „Elektra“ und „Gerettetes Venedig“, ich ziehe jene vor, weil hier ausreicht, was Hugo bisher allein vollkommen kann und hat: der Ausdruck extremer Erregungen, während er, um Ruhe darzustellen, immer irgend einen fremden Nachton hat.

Hugo erzählt von einem Briefe Peter Altenbergs, in dem er die „Elektra“ (übrigens ganz unartistisch, vielmehr um ihres Gerechtigkeitshanges willen) feiert, Goldmann für sein albernes Feuületon beschimpft und fortfährt: „Ein Jude kann dies eben niemals verstehen!“ Ich komme doch über die furchtbare innere Verlogenheit solcher Menschen nicht hinweg, nicht etwa moralisch verletzt, sondern psychologisch befremdet, weil ich mir durchaus vorstellen kann, was in solchen Gehirnen vorgehen mag.

22. April 1904

Nach Rodaun. Treffe bei Hugo den Dr. Epstein aus Paris. Dann erzählt er mir seinen Plan des englischen Mysteriums „Jedermann“. Darüber ausführlich in Kleins „Geschichte des Dramas“. Hugo ist durch Clemens Frankenstein aufmerksam gemacht worden. Es wird alles davon abhängen, ob er den Dürerstil trifft, ohne in einen Butzenscheibenton zu geraten.

16. Juli 1904

Nach Rodaun. Mit Hugo und Gerty zum Jägerhaus. ““In seinen Plänen zeichnen sich deutlich zwei Gruppen ab: 1. „Elektra“ - „Jedermann“ -, Juen-theus“ in der Eysoldt-Technik; das ganze Leben in eine einzige große Gebärde zu pressen, die in der Elektra nur von Szene zu Szene immer stärker, immer greller beleuchtet erscheint, während er jetzt anstrebt, sie im Verlauf der Handlungen aufzurollen, 2. „Bergwerk zu Falun“ - „Venedig“ - „Leben ein Traum“ (das er vorläufig aufgegeben hat, weil er es nicht zu Ende denken kann) -„Pompilia“; wo er, während dort, wie einfach das Leben, das Vielfache des Lebens und eben seine Verwirrung zeigen will, die ihm dort auf ein Element zurückzubringen ist.

Was an ihm so wunderschön ist, ist das Lebensleid eines sehr lebenslustigen Menschen. Das Dasein, jede Erscheinung des Lebens, macht ihm eine ungeheure

Freude, die aber der Verstand, indem er sie reduziert und ihre Illusion durchschaut, sogleich wieder zerstört. Immer wieder zu empfinden, was zu empfinden er doch als Unsinn erkennt, sodaß er sich beständig bewußt ist, düpiert zu werden, was er doch nicht entbehren kann, ja worin er vielleicht den einzigen Reiz des Lebens fin-' det, macht den Grund seines Humors aus, der sich am liebsten im Unverhältnis desjenigen, was einer zu sein glaubt, zu demjenigen, was er ist, mit bitterem Lachen und doch gutmütig ergeht.

2. Oktober 1904

Vormittag Holzer und Stra-kosch bei mir. Nachmittag in Rodaun, wo ich mit Hugo unerquicklich streite, ob er Saiten nicht „unterschätze“, eigentlich aber meinend, ob er überhaupt einen Menschen menschlich schätzen kann, nicht bloß nach seinem Talent, worüber er übrigens auch nur insofern Urteil hat, als es ihm selbst etwas gibt. Ob er überhaupt „lebt“? Er lebt in Österreich, ohne an diesem Staat zu leiden. Er liebt seine Frau und reist vor ihrer Entbindung ab. Er hat Kinder und kann sie Monate lang entbehren. -Ich werfe ihm vor, daß er die Ey-soldt, die bei ihrer großen Ehrlichkeit ein menschliches Verhältnis zu ihm sucht, zurückgestoßen hat. Er antwortet: Ich habe ihr doch eine Rolle geschrieben! Darin ist der ganze Mensch, für den die anderen alle nur in Beziehung auf sein Schaffen existieren: der eine als der Freund, dem man ein Stück vorliest, der andere, der einen durch Gespräch produktiv macht, der dritte, der einem eine Atmosphäre zur Arbeit schaffen fühlt.

HERMANN BAHR. PROPHET DER MODERNE. TAGEBUCHER 1888-1904. Ausge-w«Ilt und kommentiert von Reinhard Far-kas. Böhlau Verlag, Wien.

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