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Respektvolle Freundschaft

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Ein Kenner Hofmannsthals hat gesagt, daß es des Dichters besondere Gabe gewesen ist, in seinen Freunden die besten Anlagen zu voller Entfaltung zu bringen. Auch die Korrespondenz zwischen Hofmannsthal und Joseph Redlich bestätigt diesen Ausspruch. Sie beginnt mit eher konventionellen kurzen Schreiben aus der zweiten Hälfte der neunziger Jahre und steigert sich zu den großen Briefen der späteren Zeit des ersten Weltkrieges, beginnend mit den Zeilen Hofmannsthals von April 1917: „Wie jedes Individuum ist auch jede menschliche Bekanntschaft und Freundschaft etwas Unendliches, Unerschöpfliches;“ sie könnten dem Folgenden als Motto vorausgesetzt sein bis zu dem letzten Schreiben Redlichs, in dem dieser den Dank für Hofmannsthals Gruß zum 60. Geburtstag des Gelehrten mit den Worten beginnt: „Die unbeschreiblich schönen Rosen, die Sie mir zum

18. Juni (1929) sandten, stehn in dem schönsten Glase, das ich habe, vor mir.“ Einen Monat später ist Hofmannsthal plötzlich gestorben.

Den höchsten Preis des Aufwachsens dieser Freundschaft „durch eine lange Reihe von Jahren“ hat Redlich in dem Briefe gefunden, den er im Oktober 1926 aus Amerika an Hofmannsthal gesandt hat. Da der Gelehrte darin auch charakteristische Seiten seines eigenen Wesens formuliert, seien einige Sätze hier wiedergegeben: „Ihre Teilnahme an meinem Sein, die zu meiner innigsten Befriedigung sich zu dauernder Freundschaft entfaltet hat, bedeutet für mich höchsten Lebenswert…Ich…habe mir immer die reinste und höchste Idee von Freundschaft gebildet. Daß mir in der Freundschaft mit Ihnen die Erfüllung dieses Ideals gewährt worden ist, fasse ich als Gnade der Gottheit auf, an deren Walten zu glauben mich nicht vererbte Kinderlehre, sondern die Erfahrung eines reichen Lebens hinaufgeführt hat“ (S. 71).

Während die bekanntesten Briefwechsel Hofmannsthals Dichtern, Männer der Phantasie, gelten — der wichtige mit Carl Burckhardt mag ein Grenzfall sein —, stellt die Kor- erspondenz mit Joseph Redlich dessen Beziehungen zum Gelehrten und Politiker dar, und auch da ergeben sich wichtige thematische Gemeinsamkeiten: zunächst die seit den Jahren der Entscheidung sich ständig vertiefenden Beziehungen zu Österreich gipfelnd in der Klage Hofmannsthals beim Empfang des Manuskripts Red- lis über Kaiser Franz Joseph im Mai 1928: „Und so haben wir ein Vaterland und eine Aufgabe — und eine Geschichte — gehabt und müssen weiterleben!“ (Gleicherweise unglaublich und charakteristisch die hier zu lesende Geschichte der Schwierigkeiten Redlichs, für seine Biographie des Monarchen einen Verleger zu finden, und noch um einen Grad unglaublicher das Ergebnis der Überlegung, welche Biographien Franz Josephs in jener Zeit publiziert wurden.)

Aber darüber hinaus entfalten sich bald zwei Themen: das allgemein Politische, in Redlichs Worten „die großen Probleme des Staatenseins und ihrer Verkörperung durch die historisch ausgebildeten Gestalten der Führer der Völker“ (S. 61), die Hofmannsthal in diesen Jahren durch das unausgesetze Arbeiten und Überarbeiten am „Turm“ brennend gegenwärtig waren; schon 1907 hatte er geschrieben, daß er bestrebt sei, „eine Klasse zu repärsentieren, welche in keinem Land ungestraft fehlen darf, in Österreich aber, wenn ich nicht irre, allzulange gefehlt hat: die Klasse der zugleich politisch interessierten und desinteressierten, das heißt in bezug auf das nächste Ziel, unabhängigen Menschen“ (S. 7).

Und dann kommen die Betrachtungen über Geschichtschreibung, angeregt durch die Publikationen Redlichs, „des Historikers unseres verschwundenen Vaterlandes“ (S. 58), vor allem „Das österreichische Reichs- und Staatsproblem“. (Wo bleibt die Neuauflage des längst vergriffenen Werkes, das an Bedeutung immer mehr wächst, je mehr man sich damit beschäftigt?) Sie haben in Redlichs Brief vom 14. Jänner 1926 ihre bezeichnende, wenn auch gewiß nicht endgültige Fassung gefunden, in der dieser, sich seiner rationalistischen Grundeinstellung klar bewußt, sich überraschend der Auffassung des deutschen Idealismus annähert, wie sie von Wilhelm Humboldt kommend auf Ranke und von diesem auf Srbik überging. „Was in historischem Raum und in der historischen Zeit in Erscheinung tritt“, schreibt Redlich, „wird dadurch zur Geschichte, daß es fortschreitend als

Emanation der wenigen alles Menschendasein beherrscheden fundamentalen Probleme des Lebens der Menschheit und der aus diesen erwachsenen Ideen erfaßt wird“ (S.67).

Wenn Redlich, solche Gedanken fortsetzend, ausruft: „Eine wirkliche Einsicht in die Entwicklung der konservativen Ideen im Europa des 19. Jahrhunderts täte unserer Zeit not“, so ist dazu lediglich zu bemerken, daß die Erfüllung dieses Wunsches im Jahre 1971 kaum näher gerückt ist als ein halbes Jahrhundert früher zur Zeit, da der Satz niedergeschrieben wurde.

Die Briefe Redlichs aus Amerika, an und für sich charakteristisch für die Einstellung eines aufgeschlossenen sehr wohl informierten Mitteleuropäers in den Jahren nach dem Ende des ersten Weltkrieges, gewinnen noch an Bedeutung dadurch, daß der entsprechende Teil des Tagebuches leider nicht publiziert ist. Aber noch ist von diesen Schreiben ein weiter Weg zurückzulegen bis zu dem Augenblicke, da Marcuse den Ausspruch Hegels zitierte, daß Amerika „das einzige Land der Zukunft sei“.

Frau Dr. Helga Fussgänger hat die sorgfältige Ausgabe des Briefwechsels mit eingehenden Anmerkungen versehen, die oft noch über den Bereich der Korrespondenz hinausgehen und erwünschtes Licht über die geistige Atmosphäre dieser heute so vielfach diskutierten drei Jahrzehnte verbreiten.

HUGO VON HOFMANNSTHAL — JOSEF REDLICH. BRIEFWECHSEL. Herausgegeben von Helga Fussgänger. S.-Fischer-Verlag, 19771, 261 Seiten.

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