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Im Spiegel der Freunde
HUGO VON HOFMANNSTHAL. Der Dichter i m Spiegel der Freunde. Herausgegeben von Helmut A. Flechtner. Francke-Verlag, Bern und München. 310 Seiten. Preis 28 sFr.
HUGO VON HOFMANNSTHAL. Der Dichter i m Spiegel der Freunde. Herausgegeben von Helmut A. Flechtner. Francke-Verlag, Bern und München. 310 Seiten. Preis 28 sFr.
Gegenüber der ersten Auflage dieses Buches, 1949 im Wiener Humboldt-Verlag erschienen, erweist sich nun diese prächtig gedruckte und in vornehmem Ganzleinenband zum zweitenmal aufgelegte Sammlung als eine in entscheidenden Stücken veränderte Fassung des gut eingeführten Werkes. Von den 37 Aufsätzen des Hauptteiles der ersten Ausgabe wurden sieben ausgeschieden und dafür elf neue aufgenommen. Es sind dies Beiträge von Peter Prior, Alfred Gold, Sir Robert Vansittart, Olga Schnitzler, Bernhard Paumgartner, Robert Freund, Alexander Lernet-Holenia, Ludwig Curtius, Harry Graf Keßler, Gerhart Hauptmann und Richard Alewyn. Die Arbeiten von Carl J. Burckhardt, Richard Strauss, Rudolf Kaßner und Willy Haas wurden ergänzt.
Eine sehr wesentliche neue Beigabe, die diesen Band jedem Hofmannsthal-Freund unentbehrlich macht, ist die vorangestellte Biographie des Dichters, ein, wie der Herausgeber und Autor bemerkt, „erster Versuch, dem Lebensweg Hofmannsthals Jahr für Jahr nachzugehen und wenigstens die wichtigsten Stationen aufzuzeigen“. Dies geschieht auf Grund langjähriger liebevoller Detailforschung mit Glück. Hier wurde geleistet, was heute an Hofmannsthals Lebenschronik überhaupt zu leisten ist. Eine umfassende und detaillierte Hofmannsthal-Biographie wird so bald nicht geschrieben werden können, weil noch entscheidende Quellen — zumal die Briefschätze — unveröffentlicht sind, anderes — darunter viele hundert Briefe —
während des Krieges verloren gegangen ist. So gibt dieses Buch wesentliche Bausteine zur Kenntnis und Erkenntnis des Lebens eines hohen Menschen. Die wichtigsten Beiträge stammen von Andrian, Bahr, Billinger, Borchardt, Braun, Burckhardt, Buschbeck, Curtius, Ca- rossa, Herzfeld, Karlweis, Kaßner, Th. Mann, Mell, Michel, Müller-Hofmann, Schröder, Steiner, Strauss, Thimig-Reinhardt, Waldau, W'asser- mann, Wellesz, Werfel, Wiesenthal und Zweig.
Ziel und Richtung des Werkes liegt im Begriff des persönlichen Dokuments (document humain) beschlossen. Das ist im Zeitalter der phänomenologischen Werkinterpretation und der eh wie je im Schwange befindlichen Detailjägerei bestimmend für den Zugang zu die-
ser Leistung. Die menschliche Person des Dichters sollte der Vergangenheit entrissen werden.
Auf den ersten Blick ist zu erkennen, daß das Buch fast eine Art Kulturgeschichte eines Kreises von erlesenen Persönlichkeiten ist, in deren Mitte das Wunder einer echten, wahren und großen Personalität leuchtet. Jede Seite dieses Buches erweist das ernsthafte Bemühen, in das Geheimnis von Hofmannsthals Persönlichkeit eingelassen zu werden. Das geschieht nicht auf Grund der sonst für solchen Zweck ge
handhabten positivistischen Quellenforschung, sondern mittels eines Spiegels: den der Freunde. Methodisch ist das ein zwar des öfteren in seiner Bedeutung erkanntes Prinzip („Briefe der Freunde. Das Zeitalter Goethes im Spiegel der Freundschaft“, herausgegeben von E. v. Schenck, oder „Unsterblicher Genius. Deutsche Dichter im Gedenken ihrer Freunde“, herausgegeben von Paul Schneider), aber was könnte für das angestrebte Erkenntnisziel des Biographen wichtiger sein, als die hier gewonnene und wiederzugewinnende Einsicht, daß es bei Hofmannsthal möglich ist, mit Hilfe der Freunde dorthin vorzustoßen, wo Zeugnisse fehlen oder versagen? Andrian, Zeuge aus der jugendlichen Hochblüte des so jugendlichen Freundschaftsgeistes, weiß, was er sagt, wenn er den Begriff der Freundschaft einen „bloße freundschaftliche Beziehungen transzendierenden Begriff“ nennt. Welches Wort: das „eigentliche Mark“ von Hofmannsthals Dichtungen sei eben jene aus den „bloß freundschaftlichen Beziehungen“ gleichsam destillierte Quintessenz oder Transzendenz! Diese hohe, bis zu antiken Freundschaften zurückzuverfolgende, seit Renaissance, Barock und 18. Jahrhundert wieder und wieder als eine dem poetischen Genius reichste Nahrung spendende menschliche Weihe ist unbezweifel-
bar eine der Pforten in das große Geheimnis der Dichterpersönlichkeit. Denn — und das macht dieses Buch so reizvoll — hier wird ja nicht nur das Leben, sondern zugleich mit ihm auch das personale Wunder angeleuchtet, beides ein unauftrennbares Gewebe. Es scheint fast, als verstünde nur der Genius den Genius und als könnte niemand den Genius so mißverstehen, als der in sich verschlossene Genius.
Ein großes Verdienst des Herausgebers und liebevollen Sammlers dieses menschlichen Buches: Das Bild des jungen Hofmannsthal erscheint nun auch für breitere Schichten berichtigt. „Das zählebige Klischee von Loris, dem blassen Ästheten und salbentrunkenen Prinzen“ ist durch neue Beiträge endgültig beseitigt „und an seine Stelle das Bild eines sehr natürlichen, weitläufigen und gesunden jungen Menschen“ gesetzt, wie es nun auch aus dem ersten der beiden Jugendbriefbände entgegenleuchtet.
So laufen die Fäden des Biographischen und der Freundschaftsbünde auf mannigfach erhöhende, wie auch auf fast tragische Weise sich knüpfend ineinander. Das Buch ist so inhaltsschwer, daß es sogleich geboten wäre, die von Andrian angedeutete „Quintessenz“ und Transzendenz in weiteren Forschungsgängen zu gewinnen. Der Weg ist nun frei.
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