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Der Dichter und der Literat

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Rolf Italiaander, der in der Berliner Zeit die Privatbibliothek von Willy Haas verwaltete, veröffentlicht jetzt dessen Korrespondenz mit Hugo von Hofmannsthal. Die ursprünglich für die Freunde der Verlage Propyläen und Ullstein bestimmte Publikation ist nun auch im Buchhandel erhältlich. Lange zögerte man; erst das gewichtige Wort des Verwalters des Hofmannsthal-Nachlasses Dr. Rudolf Hirsch erwirkte die Freigabe des Briefwechsels. Während das kleine Buch alle noch vorhandenen Schriftstücke enthält, wird man mit Betrübnis feststellen, daß die vielen fehlenden Gegenbriefe verlorengingen, die Hofmannsthal ihrer Bedeutung wegen sehr schätzte.

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Rolf Italiaander, der in der Berliner Zeit die Privatbibliothek von Willy Haas verwaltete, veröffentlicht jetzt dessen Korrespondenz mit Hugo von Hofmannsthal. Die ursprünglich für die Freunde der Verlage Propyläen und Ullstein bestimmte Publikation ist nun auch im Buchhandel erhältlich. Lange zögerte man; erst das gewichtige Wort des Verwalters des Hofmannsthal-Nachlasses Dr. Rudolf Hirsch erwirkte die Freigabe des Briefwechsels. Während das kleine Buch alle noch vorhandenen Schriftstücke enthält, wird man mit Betrübnis feststellen, daß die vielen fehlenden Gegenbriefe verlorengingen, die Hofmannsthal ihrer Bedeutung wegen sehr schätzte.

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Willy Haas wurde in Prag 1891 geboren, im gleichen Jahre, als Hofen a uns th als erstes lyrisches Drama erschien. 1914 verließ er seine Vaterstadt und war Lektor bei Kurt Wo! ff in Leipzig. Nach dem Kriege redigierte er den „Filmkurier“ und verfaßte zahlreiche Drehbücher und Filmversionen. 1925 begründete er in Berlin mit dem Verleger Ernst Rowohlt die Wochenzeitung „Die Literarische Welt“. Als der Reichstag brannte, wurde das Unternehmen verkauft. Haas kehrte in seine Vaterstadt zurück und wählte nach dem deutschen Einmarsch das indische Exil. Heute schreibt er kritische Aufsätze für die große Hamburger Tageszeitung „Die Welt“. Seine Essays und die Lebenserkmerungen füllen einige Bände. Treffende Äußerungen beziehen sich unmittelbar auf Hofmannsthal. Dazu kommt eine biographische Skizze des Dichters in der Reihe „Köpfe des 20. Jahrhunderts“. Was Haas angesichts des plötzlichen Todes Hofmamnsthals niederschrieb, bezeichnete Walter Benjamin als fast das einzige Wort, das der Stunde gerecht wurde.

Seit 1951 wissen wir von der Existenz des vorliegenden Briefwechsels und daß die kostbaren Dokumente kein Opfer des Krieges wurden. Das Jahrbuch der Hamburger Bibliophilengeseilschaft „Imprimatur“ berichtet im 10. Band ausführlich über dieses Paket.

Die erste Begegnung der beiden Briefschreiber fand im Februar 1912 statt, gleich nach dem Austausch der ersten schriftlichen Zeilen. Hofmannsthal wurde von der J.-G.-Her- der-Vereinigung zu einer Lesung aus eigenen Dichtungen nach Prag eingeladen. Haas begrüßte eine Woche vorher den herzlich Verehrten mit einem beachtlichen Aufsatz, der im Anhang des Briefwechsels wiedergegeben ist. In Hofmannsthal sah der Literat zeitlebens den Lehrer, dessen Persönlichkeit, österreichische und europäische Geistigkeit aus- strahlend, ihm die Blickrichtung wies und sein Lebensziel absteckte. Schon als Student gab er zusammen mit Prager Freunden die „Herder- Blätter“ heraus, von denen 1962 die Freie Akademie der Künste in Hamburg eine Faksimileausgabe veranstaltete. Hier lesen wir aus seiner Feder Bemerkungen zum „Singspiel“ Ariadne auf Naxos, das einem Herrn Jourdain vorgeführt wird. Die Briefe sind ein Spiegel der Hof- mannsthalschen Produktion, an der der Partner lebhaften Anteil nimmt. Einen Mittelpunkt der Erörterungen bildet das „Deutsche Lesebuch“. Von anderer Seite und erst viel später, erfährt Haas, daß sich Hofmanns- tbal — allerdings erfolglos — um eine Anstellung für ihn bemühte, obwohl er selbst in der Unruhe und Unsicherheit der Nachkriegszeit die schwierigsten wirtschaftlichen Probleme zu überwinden hatte.

Es wird auch nicht verschwiegen, daß die freundschaftliche Beziehung für einige Zeit unterbrochen war. Haas schrieb eine Abhandlung, Hofmiarans- thal betreffend, die der Dichter brüsk ablehnte, indem er gleichsam die Einstellung jeder Literaturkritik forderte. Diesem .grausamen Rat“ folgend, arbeitete Haas nur noch für den Film. Ehe er aber von Rowohlt eingeladen wurde, eine Literaturzeitung herauszugeben, konnte er nicht umhin, Hofmannsthal zu informieren, der ihn sofort ermutigte, das Unternehmen zu beginnen, und sogar gelegentliche Mitarbeit zu sagte. Von Belang ist, daß Hofmannsthal dem Leitwort des Wochenblattes die deutsche Realität absprach, da der Zeitgeist mit dem Nationalgeist nicht zusammenstimmt, im Gegensatz zu anderen europäischen Literaturen, wo dies seit mindestens 200 Jahren der Fall ist. Auf Hofmannsthals Unabhängigkeit bedacht, bot Haas seine Verbindung zum Film an, bei dem man wirklich noch Geld verdienen kann. Aber diese Kunstform bedeutet eine schwierige und mühsame Aufgabe, der sich Hofmannsthal nicht gewachsen glaubte. Er versteht zwar die mimische Einheit des Balletts zu prägen, doch die Zerteilung in rasche Wandelbilder, die der Film vornimmt, ist für ihn uninteressant. So darf es uns nicht wundernehmen, wenn der Plan, den „Lucidor“ zu verfilmen, scheitert. Die Handlung taucht erst wieder in der letzten gemeinsamen Arbeit mit Richard Strauss auf.

So weit unterrichtete uns bereits der Imprimatur-Beitrag. Die Lektüre der 69 Briefe, von denen zwei Drittel von Hofmannsthal stammen, mehrt unseren Eindruck im selben Verhältnis, wie etwa das Erlebnis einer großen Reise das vorherige Studium des Reiseführers übertrifft.. In: den Zauberkreis Hofmannsthals eintre- tend, führt Haas einen „unterirdischen Dialog“, der von Zeit zu Zeit in gesprächigen Briefen, die einem fortlaufenden Tagebuch gleichen, an die Oberfläche dringt. Während die obwaltenden Zustände und Gesinnungen unsere besondere Aufmerksamkeit wecken, wird das schon Bekannte durch unerwartete Bezüge erhellt. Der eigentliche Gewinn ist die Auseinandersetzung mit dem dichterischen Werk Hofmannsthals, die Anteilnahme am persönlichen Geschehen und das Miterleben vieler mannigfaltiger Probleme. Wie ein roter Faden zieht sich das Thema „Krieg“ durch die erste Hälfte der Briefe. Alles bäumt sich gegen das sinnlose Morden auf. Aber auch die tschechische Frage gewinnt an Aktualität: das Ende des deutschen Geisteslebens in Prag. Im anderen Teil findet das aufrichtige Interesse an der „Literarischen Welt“ von seiten des Dichters seinen gebührenden Niederschlag. In Parenthese sei vermerkt, daß 1963 ein charakteristischer Querschnitt aus acht Jahrgängen bei Cotta erschien. Obwohl die Steiner- sche Gesamtausgabe der Werke Hofmannsthals alles bereits Veröffentlichte nachzudrucken vorgibt, wurde doch überseheh, daß sich in der Innsbrucker Kulturzeitschrift „Der Brenner“ im Herbst 1926 ein Hofmannsthalscher Erstdruck versteckt, den nun der vorliegende Briefwechsel mühelos zu identifizieren vermag. „Ich finde die Literarische Welt“, heißt es dort, „wirklich ausgezeichnet redigiert, lebensvoll unterhaltend, unendlich viel berührend und’ groß am lebendigen Punkt — und was das Wichtigste mir erscheint: sie hat eine wirkliche Haltung in dem Ganzen.“ Hofmannsthai bleibt mit der Zeitschrift in Lebendiger und freundlicher Verbindung. Wenn Haas einmal über nörgelnde und boshafte Kritiker klagt, rät Hofmannsthal, er möge sich nicht entmutigen lassen, da die eigene Absicht wichtiger sel.

Die deutliche Zäsur in der Mitte bildet ein Konflikt. Gustav Kro- jankers Sammelband „Die Juden in der deutschen Literatur", Berlin 1922, enthält einen Essay, der Hof- mannsthals Arbeiten zum Gegen stand hat. Haas stellt den Dichter in den „Ahaverischen Problemkreis“ und nennt ihn einen „repräsentativen Juden“. Dieser Gedankengang, der auf unrichtigen Annahmen beruht — denn nur der väterliche Urgroßvater war Jude —, überraschte Hofmannsthal sehr, und er wehrte sich gegen die vage Interpretation.

Rudolf Hirsch kommentiert aus seiner reichen Erfahrung unklare Briefstellen, während der Anhang die beiden Schreiben an Studienrat Hugo Schaefer und an Ernst Rowohlt sowie einen Entwurf aus der Fragment gebliebenen Komödie „Timon der Redner“ hinzufügt Der Band ist schmal, aber bedeutend an Inhalt. Zwei Briefseiten in Faksimile zeigen die Schriftzüge der Korrespondenten. Wer sich mit den verschiedenen Briefschaften, die im letzten Jahrzehnt von den Erben Hofmannsthals der Öffentlichkeit übergeben wurden, vertraut macht, wird auf einen besonderen intimen Ton abgestimmt, der ihn für Augenblicke in einen Angehörigen der Dichterfamilie verwandelt, und der Leser wird der kostbaren Schätze gewahr, an deren edler Menschlichkeit er dankbar teilnehmen darf.

HUGO VON HOFMANNSTHAL WILLY HAAS. EIN BRIEFWECHSEL. Im Propyläen-Verlag, Berlin, 111 Selten.

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