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Hofmannsthal: Lebenslied und Briefe

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HUGO VON HOFMANNSTHALS „LEBENSLIED“. Eine Studie. Von Richard Emir. Carl Winter, Universitätsverlag, Heidelberg, 151 Seiten, — HUGO VON HOFMANNSTHAL. Brl<-fe an Marie Herlfeld. Herausgegeben von Ernst Weber. Lothar-Stlehm-Verlag, Heidelberg („Poesie und Wissenschaft I“), 87 Selten.

Unter den Hofmannsthal-Papieren der Houghton Libray der Harvard-Universität von Cambridge (Mass) fand der Autor dieser Studie mehrere Blätter mit Varianten und Entwürfen zu dem Gedicht „Lebenslied“, das seit seiner Erstveröffentlichung im Jahre 1894 mit dem Odium der Unverständlichkeit behaftet war und nicht nur durch fast alle Spezial-arbeiten über Hofmannsthal, sondern durch viele neuere deutsche Literaturgeschichten geistert. Allein dia Zusammenstellung aller dieser meist oberflächlichen Fehlurteile, die über die verschiedenen Interpreten mehr aussagen, als über das Hof-mannsthalsche Gedicht, ist überaus lehrreich. Doch nicht um Kritik seiner Vorgänger geht es dem amerikanischen Germanistikproffessor, sondern um den Nachweis, daß das vierstrophige Gedicht „Lebenslied“ zugleich eine Summe und ein Ausstrahlungszentrum der Hofmanns-thalschen Dichtung ist, in dem sich nahezu alle Linien des Frühwerkes schneiden. Exner geht so vor, daß er dem Leser zunächst unterbreitet, was er in jahrelanger Beschäftigung mit dem Werk Hofmannsthals an wesentlichen Erkenntnissen gewonnen hat. Hierauf projiziert er diese auf dag einzigartige Gedicht und führt dann eine Analyse durch (am ehesten vergleichbar der an französischen Universitäten geübten „explications du texte“), und zwar Strophe für Strophe, Zeile für Zeile und Wort für Wort. Aber es ist — und dadurch unterscheidet sich Exners Methode von der unserer sehr schätzenswerten romanischen Kollegen — eine Analyse „auf die Einheit hin“, so daß als Ergebnis so etwas wie eine Einführung in HoJlmaninsthals Dichtung (nicht nur in ihre Technik) entsteht. Das geschieht mit überaus feiner und kundiger Hand, systematisch vordringend, aber ohne das zarte dichterische Gewebe zu verletzen, und schließlich alles wieder zum lebendigen Ganzen, zum Organismus des dichterischen Kunstwerks, zusammenfügend, so daß auf Exners Studie das verpflichtende Hofmannsthal-Wort angewendet werden kann: „Nicht daß einer alles wisse, kann verlangt werden, sondern daß, indem er um eins weiß, er um alles wisse.“ *

Die Adressaten der von Sltiehm-Verlag mit Sorgfalt veröffentlichten und ausführlich kommentierten 44 Schriftstücke von der Hand Hofmannsthals aus den Jahren 1892 bis 1907, Marie Herzfeld, war in den achtziger Jahren aus Ungarn nach Wien gekommen und hatte frühzeitig begonnen, sich speziell mit skandinavischer Literatur zu befassen. Sie schrieb, zunächst unter Pseudonymen, Essays in mehreren Wiener Zeitschriften und veröffentlichte später Ubersetzungen von Hamsun, Björnson und Jens Peter Jacobsen (mehrbändige Gesamtausgabe). 1904 erschien eine von ihr besorgte Übersetzung der Schriften Lionardos mit einer kenntnisreichen Einführung, die Hofmannsthal sehr geschätzt hat.

Ein erster Anstoß für die Korrespondenz mit Hofmannsttal ergab sich durch die Mitarbeit beider an der „Neuen Rundschau“, später war es die Aufführung der von Hofmannsthal übersetzten „Les Aveu-gles“ von Maeterlinck durch den neugegründeten „Verein für moderne Literatur“, Marie Herzfeld bittet Hofmaninstfhal um seine Zustimmung zum Abdruck von „Der Tod des Tizian“ in der Berliner „Allgemeinen Theaterrevue“ (der nicht erfolgte),

dagegen erscheint dort, am 15. Mai 1892, ihre Studie „Ein junger Dichter und sein Erstlingsstück“ („Gestern“). Auf die Frage, wie ihm zumute gewesen sei, als er diese Studie las, antwortete Hofmannsthal der Autorin lachend: „Wie einem, dem man die Haut abzieht.“ Solche und ähnliche Details gibt es viele in diesem Büchlein.

Als Hofmannsthal Marie Herzfeld kennenlernte, war er 18 Jahre alt und sie 37. Die Korrespondenz, die nach 15 Jahren endete, spiegelt eine unverbindlich freundliche Beziehung, die fast ausschließlich auf gemeinsame literarische Interessen gegründet war. Immerhin findet sich in einem Brief vom 15. Jänner 1903, anläßlich einer Einladung Marie Herz-

felds, eine so interessante Randbemerkung wie die folgende: „Zwei polnische Fürstinnen sind viel, sehr viel. Die polnische Nation ist eigentlich die einzige auf der Welt, gegen die ich eine sehr heftige Antipathie habe und eine aus tiefem Grund abgeleitete. Ich bin aber so wenig Politiker, daß es geschmacklos wäre, diese Gründe auseinanderzusetzen.“ Ein hartes Urteil, wie es bei Hofmannsthal selten anzutreffen ist und sicher mitverursacht durch seine allgemeine lebenslange Abneigung gegen „literarische Tees“.

Diese kleine Korrespondenz und die vielen literarhistorischen und biographischen Anmerkungen, die Horst Weber beigesteuert hat, ist eine willkommene Bereicherung des riesigen epistolarischen Werkes Hofmannsthals und kann als ein schmaler, aber solider Baustein für die künftige große Hofmannsthal-Biographie angesehen werden.

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