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Zeugen für das alte Österreich

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LEOPOLD Briefwechsel. Herausgegeben von Perl. S.-Fischer-Verlag, 526 Sei- DM 40.-.HUGO VON HOFMANNSTHAL ANDRIAN. Walter F. ten. Preis

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LEOPOLD Briefwechsel. Herausgegeben von Perl. S.-Fischer-Verlag, 526 Sei- DM 40.-.HUGO VON HOFMANNSTHAL ANDRIAN. Walter F. ten. Preis

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Bisher wurde ein rundes Dutzend Korresponden-Hofmannsthalscher zen, kleinerer und umfangreicher, nebst den dazugehörigen Gegenbriefen, veröffentlicht. Weit mehr als tausend Briefe Hofmannsthals sind noch nicht publiziert, so vor .allem die an die Eltern und an seine Frau. Solange wir diese Zeugnisse nicht haben, kann der Briefwechsel mit Leopold Andrian als der „intimste“ gelten. Umfaßt er doch 35 Jahre: Beginnend mit Begleitzeilen zu Büchern, die man sich lieh, oder Gedichten, die zum Lesen und Beurteilen übersandt wurden, erstreckt er sich über alle Peripetien des ersten Drittels dieses Jahrhunderts bis zum Tod Hofmannsthals im Juli 1929.

Diese Korrespondenz umfaßt mehr als 500 Briefe und Karten, die aber nicht alle und nicht absolut vollständig veröffentlicht wurden. Hierfür hatte der Herausgeber Walter H. Perl, gegenwärtig Professor für deutsche Sprache und Literatur an der Marshall University von Huntington (USA), gute Gründe. Er hat sich bereits als junger Student für Hofmannsthal interessiert und über dessen Jugendwerk dissertiert, und er hat sich eingehend mit dem Werk Andrians beschäftigt, der ihn mit der Betreuung seines Nachlasses beauftragte. Die Edition dieser Briefe ist. mit großer Sorgfalt vorbereitet und durchgeführt worden. Außer einem längeren Vorwort und einem kurzen Nachwort, einem Personen- und Werksverzeichnis hat W. H. Perl 30 Druckseiten Anmerkungen steuert, die vor allem dem orientierten und jüngeren wertvolle Hinweise geben.

Daß zwei Drittel der in Band veröffentlichten Briefe und Billetts von der Hand Hofmannstahls und nur ein Drittel von Andrian stammen, ist vor allem darauf zurückzuführen, daß der letztere alles, was er von Hofmannsthal erhielt, sorgfältig sammelte (was Hofmannsthal mit den an ihn gerichteten. Briefen nicht immer tat). Wieviel beiden Briefpartnern verlorengegangen ist oder absichtlich vernichtet wurde, kann nur vermutet werden. Denn der Gedankenaustausch zwischen den Freunden erstreckt sich nicht nur auf dichterische Gegenstände und Dinge des äußeren Lebens, sondern artikuliert auch sehr Persönliches und Intimes — zumal von seifen Andrians. Dieser neigt nämlich immer wieder zu Konfessionen, die Hofmannsthal mit engelsgleicher Geduld zur Kenntnis nimmt und auf die er wie ein guter Arzt eingeht, denen er aber gelegentlich mit sanfter Gewalt auch Einhalt gebieten muß. Andrian litt nämlich zeit seines Lebens unter den merkwürdigsten Neurosen und Phobien psychosomatischer Natur und war, darin Hofmannsthal entschieden überlegen, ein „Schwieriger“ wie er im Buch steht.

Als menschliche Dokumente sind diese Briefe, sowohl für Andrian wie für Hotfimannsthal, von besonderem Wert. Doch es gibt in dieser Korrespondenz auch des Sachlichen, über den Tag und den aktuellen Anlaß Hinausreichendes genug, das allgemeines Interesse beanspruchen darf. War es doch Andrian, der den ersten Kontakt zu Stefan George und den Blättern für die Kunst herstellte und die Bekanntschaft der Brüder Georg und Clemens Franckenstein vermittelte. Auch hat Hofmannsthal die zuweilen strenge Kritik des Freundes an seinen Werken stets mit größter Aufmerksamkeit zur Kenntnis genommen, weil er Andrians oft so sehr verdunkelte menschliche Qualitäten zu schätzen wußte wie wohl kaum ein anderer. Im Jahr seines Todes spricht er in einem Brief von dem „Hohen“ in Andrians Wesen, von den „wunderbaren Gaben, durch die Du hoch über mir stehst in vielem Betracht“ und von der „bewundernden Liebe, die den, der sie empfindet, vielleicht mehr beglückt als den, auf den Sie sich richtet“. Solche Worte berichtigen ein Bild Andrians, in dem die negativen Züge vorherrschen. Denn er hat es seinen Freunden wahrhaftig nicht leicht gemacht und war mit Vorwürfen nicht eben sparsam, so vor allem mit dem, daß man seine Leiden nicht ernst genug nehme und sich nicht entsprechend um ihn kümmere.

Dieser so überaus persönliche Briefwechsel hat drei oder vier „sachliche" Schwerpunkte. Da ist einmal, lang vor dem Ausbruch des Krieges, die Sorge um Österreich, sie spüren den Grund wanken, auf dem sie beide stehen. Für die nahende Zeitwende gibt es vielerlei Symptome, so zum Beispiel die Zer- Störung des alten Wien unter der „Pöbelherrsohaft“, wie ■ Hofmannsthal sich ausdrückt, eines „boshaften, stupiden, niederträchtigen Kleinbürgertums“, für das es keine Hemmungen, weil keine Autorität gibt.

Während des Krieges, der die beiden Freunde gefaßt und tätig findet, verbinden sie vielerlei gemeinsame Sorgen, Interessen und Arbeiten. Gemeinsam geben sie im Insel-Verlag die „Österreichische Bibliothek“ heraus, Andrian lädt Hofmannsthal zu sich nach Warschau, wo er als außerordentlicher Gesandter beim Oberkommando Ost tätig ist, zu Vorträgen ein und vermittelt weitere Vorträge Hofmannsthals im neutralen Ausland. — Dann, unmittelbar vor dem Zusammenbruch, wird Andrian zum Intendanten der Hoftheater ernannt, wofür sich Hofmannsthal bei dem ihm befreundeten Grafen Ferdinand Colloredo-Mansfeld sowie beim . letzten k. u. k. Kabinettchef Konrad Prinz Hohenlohe-Schillingsfürst eingesetzt hatte. Durch eine Reihe ausführlicher, detaillierter Briefe führt Hofmannsthal seinen Freund in die für diesen neue Materie des Theaterbetriebes und der Verwaltung ein, gibt Anregungen und Ratschläge, entwickelt ein ganzes Konzept für die nächsten Jahre (das zum Teil auch heute noch von Wert sein könnte) und bewirkt, daß Andrian in den kurzen vier Monaten des Jahres 1918, als er das Amt eines Generalintendanten bekleidet, Richard Strauss, Moissi und Roller engagiert, ständige Verbindung mit Max Reinhardt hält und daß die Hoftheater bei den vor kurzem gegründeten Salzburger Festspielen stärkstem engagiert werden.

Nach dem Zusammenbruch sind sich die beiden Freunde gegenseitig ein Halt. Andrian findet sich besonders schwer mit der neuen Situation ab, zumal er als erfahrener Diplomat auch die Fehler sieht, die unmittelbar nach dem Friedensschluß gemacht wurden („Nie ist eine bei allem Unglück noch günstige Position so versaut von den habem.“ 1919).

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