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Das beruhmte Jugendwerk

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Leopold Andrians „Garten der Erkenntnis“ ist eines der seltenen Fragmente der Weltliteratur, die bei unscheinbarem Äußeren und kleinem Umfang eine ganze Generation von Zeitgenossen bewegt und auf die literarische Entwicklung der eigenen Zeit wie auch die der folgenden Jahrzehnte eine starke Wirkung ausgeübt haben, während der Dichter selbst und seine Existenz beinahe der Vergessenheit anheimfielen. Der „Garten“ erschien zuerst 1895, vor siebzig Jahren. Der Dichter aber starb 1951, zweiundzwanzig Jahre nach dem Tod des Freundes Hugo von Hofmannsthal.

George erwies dem Werk seine besondere Ehrung, indem er es von Freunden in einem schönen Manuskript abschreiben ließ und es dann später noch mit Verwey zusammen ins Holländische, übersetzte. Auch ein Vierzeiler des „Siebenten Ringes“: „Erwins Schatten“ zeugt von dieser Schätzung. Hofmannsthal schreibt 1900 über das Werk an Andrian: „Dieses Buch macht mir jedesmal stärkeren Eindruck. Der diesmalige war der eines großen ungeteilten Vergnügens an einem gelungenen Kunstwerk nach drei Seiten: was die Disposition des Ganzen, was die geheimnisvoll anziehende jugendlich suchende Atmosphäre und was die Schönheit, Gewalt und Distinktion der vorkommenden Gleichnisse betrifft. Immer wieder kann ich es mir nicht glaubhaft machen, daß die Kraft, die das hervorgebracht hat, sich sollte vollkommen in inneren Höhlungen zerstäuben und nichts mehr nach außen bewirken.“

Die Dichtung, die zwei Kriege, einige Revolutionen und Diktaturen überdauerte, hat in 55 Jahren fünf Drucke (sechs Auflagen) erlebt, sie ist in einfachen Broschüren und Pappbänden wie in erlesenen bibliophilen Ausgaben immer wieder unter das Publikum gegangen. Der Dichter selbst hat bei der Neuauflage von 1919 den Titel in „Der Garten der Erkenntnis“ geändert und unter der Erschütterung durch die Zeitumstände eine religiös betonte Vorrede hinzugefügt, in der er schmerzlich auf sein Jugendleben und das verlorene österreichische Vaterland zurückblickt.

Bei unserer Neuausgabe des Buches haben wir vor allem darauf Wert gelegt, es in der Vrgestalt wiederherzustellen, in der es zuerst 1895 vor die Leser trat, in der es Hofmannsthal wie George bewunderten und Bahr wie Saiten kritisch hoch werteten. Ergreifend mutet uns ein Brief des alternden Ferdinand von Saar an, der von den Schönheiten der Stimmung und des Stils spricht, aber als Vertreter der älteren Generation sein begrenztes Verständnis aufrichtig bekennt.

Wir haben den ursprünglichen Titel des Werkes „Garten der Erkenntnis“ für unsere Ausgabe gewählt, zumal dem „Fest der Jugend. Des Gartens der Erkenntnis erster Teil“ — dem Titel, unter dem es seit 1919 in drei Auflagen erschien — kein zweiter Teil folgte, trotz mannigfacher Versuche Andrians, die aber scheitern mußten, da er nach der magischen Periode seiner Jugenddichtung, ähnlich wie der Lord Chandos des Hofmannsthalschen Briefes, als Dichter verstummt war. Das Werk wurde auch von den Jugendgedichten separiert, die einer früheren Zeit entstammen und als solche ihren Eigenwert besitzen, vielleicht stimmungsmäßig bisweilen Vorstufen zum „Garten“ zeigen.

In den letzten Jahren haben wir begonnen, den Nachlaß Andrians herauszugeben und dabei zunächst die Verknüpfungen des jungen Andrian mit Stefan George und seiner Zeitschrift „Blätter für die Kunst“ aufzeigen können. Die Veröffentlichung des umfangreichen Briefwechsels mit Hugo von Hofmannsthal wird vorbereitet. Er erstreckt sich fast über vier Jahrzehnte und ist das außerordentliche Dokument einer wahrhaften Lebensfreundschaft.

In der Korrespondenz Andrians fand sich ein schöner Brief Anton Kippenbergs aus dem Jahre 1917, in dem er den Autor einlädt, mit seinem Frühwerk in der Insel-Bücherei vertreten zu sein. Das war damals aus verlagstechnischen Gründen nicht zu verwirklichen. Aber es erscheint uns eine der schönsten Erfüllungen gegenseitigen Bestrebens, daß nun fast fünfzig Jahre später der „Garten“ von hier aus noch einmal seinen Weg in die Welt antreten wird.

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