In einer alten Nummer der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ stieß ich auf einen Artikel Alexander Lernet-Holenias über Wien unter dem Titel „Es war nie eine Weltstadt“. Das gab sogleich eine Assoziation. Vor einigen Jahren fuhr ich mit der Gattin des Dichters und zwei nervösen Rassehunden im „Erzherzog Johann“ ins Salzkammergut, und schon damals hatte sie mich freundlich aufgefordert, den Dichter in ihrer Wohnung in der Hofburg bei meinem nächsten Wiener Aufenthalt aufzusuchen. Irgendwie kam es aber nicht dazu, so daß erst der streitbare Artikel dieses „letzten Österreichers“ mit seinem kräftigen Raunzen, die Lust in mir erweckte, das Versäumte nachzuholen.
Dieses Jahr wäre Yvan Goll achtzig geworden. Er wurde 1891 in St-Die im französischsprachigen Lothringen geboren, wuchs in Metz auf, studierte in Straßburg, Leipzig und Berlin, verbrachte den ersten Weltkrieg meist in der Schweiz, in Zürich, Lausanne und Genf. Nach 1918 verlegte er seinen Wohnsitz nach Paris und blieb dort bis 1940 im Zentrum der Avantgardisten und Surrealisten. Als die Katastrophe des Faschismus über die westliche Welt hereinbrach, ging er nach den Vereinigten Staaten, lebte dort etwa sieben Jahre und kehrte, ein todkranker Mann — er litt an chronischer Lebkämie —, nach der Befreiung Frankreichs zuerst ins Elsaß und dann nach Paris zurück, wo er im Jänner 1950 im amerikanischen Hospital in Neuilly bei Paris starb. Sein Leben wurde mit kleineren Unterbrechungen von seiner Gattin Claire, die eine Dichterin von ausgeprägter Eigenart ist, geteilt. Sie überlebte ihn und gibt sein Werk aus dem immens großen Nachlaß heraus.
Den Dichter und Staatsmann Leopold Andrian habe Ich nur wenige Male In meinem Leben gesehen, und doch hatten diese Begegnungen die Folge, daS mir die Herausgabe seines literarischen Nachlasses übertragen wurde. Von diesen Begegnungen soll hier berichtet werden.
Die hundertste Wiederkehr von Stefan Georges Geburtstag brachte zahlreiche Würdigungen des Dichters, aber nur wenige beschäftigten sich mit dem Verhältnis Georges zu Österreich. George hat auf seinen frühen Wanderungen durch Europa Österreich zwischen 1891 und 1894 viermal besucht und zum Teil längere Zeit in Wien verbracht. Österreich wurde für ihn das wichtigste Land im deutschen Sprachgebiet, in dem er ernsthaft Boden zu fassen suchte, und er bemüht sich gleichzeitig hier, ähnlich wie Hermann Bahr, die Kunst des französischen Symbolismus, der Verlaine und Mallarme zu vermitteln. Der rheinfränkische Dichter suchte immer in anderen Landschaften Mitarbeiter und Freunde. Ein Studienaufenthalt in Berlin, 1890, ließ ihn zwar den Weggefährten Carl August Klein finden, aber Berlin und sein wilhelminisch-preußischer Geist waren dem Dichter nicht genehm. Auch in München, das später sein bevorzugter Aufenthaltsort wurde, war er um 1891 noch nicht recht zu Hause. So war Wien, die alte Kaiserstadt, mit ihren Schlössern und Barockpalais, ihren Gassen und Kunstmuseen für George ein Anziehungspunkt.
Hugo von Hofmannsthal war, ähnlich wie Goethe, ein außerordentlicher Briefschreiber. Sein Briefstil hat die besondere Qualität, daß er auf die Person des Empfängers jeweils höchst persönlich und sensitiv eingeht; vor allem die Jugendbriefe des Dichters sind in diesem Sinne der Einfühlung in den Partner besonders eindrucksvoll.Es liegen heute, neben ein er fragmentarischen, bis 1808 reichenden Edition ausgewählter Briefe; die wichtigen literarischen Arbeitsbriefwechsel mit Richard Strauss und Stefan George vor; aus dem Freundeskreis die Korrespondenz mit Bodenhauisen, Borchardt und
Leopold Andrians „Garten der Erkenntnis“ ist eines der seltenen Fragmente der Weltliteratur, die bei unscheinbarem Äußeren und kleinem Umfang eine ganze Generation von Zeitgenossen bewegt und auf die literarische Entwicklung der eigenen Zeit wie auch die der folgenden Jahrzehnte eine starke Wirkung ausgeübt haben, während der Dichter selbst und seine Existenz beinahe der Vergessenheit anheimfielen. Der „Garten“ erschien zuerst 1895, vor siebzig Jahren. Der Dichter aber starb 1951, zweiundzwanzig Jahre nach dem Tod des Freundes Hugo von Hofmannsthal.George erwies dem Werk seine
T Tnter den Gestalten des Symbolismus in Österreich ist Leo-pold Andrian einer der bedeutendsten, wenn auch ein heute weitgehend in Vergessenheit geratener Dichter. In den literar-geschichtlichen Darstellungen der Zeit wird er meist in der Gefolgschaft Hofmannsthals genannt als Autor des „Gartens der Erkenntnis“, eines kleinen feinsinnigen Prosawerkes, das die Zeitgenossen von 1895 aufhorchen ließ, als es in einem kleinen unscheinbaren Bändchen des Fischer-Verlages erschien und weitgehend zustimmende Kritiken auslöste. Die Tatsache aber, daß das kleine Werk in den folgenden