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Der Garten der Jugend

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LEOPOLD ANDRIAN. Werk and Weltbild eines österreichischen Dichters. Von Horst Schumacher. Mit 4 Bildbeigaben. Wien, Bergland-Verlag, 1967. 142 Selten. Brosch. S 40.—.

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LEOPOLD ANDRIAN. Werk and Weltbild eines österreichischen Dichters. Von Horst Schumacher. Mit 4 Bildbeigaben. Wien, Bergland-Verlag, 1967. 142 Selten. Brosch. S 40.—.

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Andrian gehörte zum früheren Freundeskreis Hofmannsthals, den er durch seinen „Hofmeister”, wie man früher den Erzieher nannte, durch Oskar Walzel, in Wien kennen gelernt hatte. Mit Hofmannsthal zusammen war er dann im Ausseer- land, wo sein Vater, der Anthror löge und Volkskundler Ferdinand von Andrian, der Gatte der Tochter Cäcilie des berühmten Komponisten Meyerbeer, am Ufer des Altausseer Sees ein großes Landhaus’ besaß. (Später hat dort Jakob Wassermann seine großen Romane geschrieben.) Aus dieser Schwärmerzeit der jungen Leute hat Hofmannsthal, der unter dem Namen „Loris” schon mit 17 Jahren als Dichter Aufsehen erregte, manche tieferen Anregungen erfahren, die in seinem lyrisch- dramatischen Frühschaffen ihren poetischen Niederschlag gefunden haben. Von Andrian, der 1894 bis 1901 in Stefan Georges Blättern für die Kunst Gedichte veröffentlicht hat, besitzen wir nur ein einziges größeres Werk „Der Garten der Jugend” (1895), das später auch „Das Fest der Jugend” genannt wurde. Alle bisherigen Hinweise auf Leopold von Andrian, der bald nach der Promotion zum Doktor der Rechte in den diplomatischen Dienst trat, bei den Gesandtschaften in Petersburg, Bukarest, Rio de Janeiro, Buenos Aires tätig war, Generalkonsul in Warschau wurde und schließlich 1918 der letzte Intendant der Hoftheater in Wien war, bezogen sich auf diese einzige Erzählung oder Novelle Andrians (außer einem Festgedicht zu Hofmannsthals 50. Geburtstag).

Auch Schumann geht von diesem Werk aus, in dem er ein Schlüsselwerk der sogenannten Wiener Deka- dence und damit der Interpretation der ganzen Epoche sieht, bezieht die künstlerische Umwelt von damals ein (Schnitzler, Beer-Hofmann, Felix Salten, Hermann Bahr u. a.), indem er, wie es bei Dissertationen üblich ist, gerade auf den Beziehungsreichtum und die entsprechenden Belegstellen dafür großen Wert legt. Daß sein Buch darüber hinausgewachsen ist und wirklich das „Weltbild” Andrians mit feinen Antennen einfängt, verdankt Schumann zweifellos mehr als dem großen Wissen und der Gründlichkeit dem kostbaren Einfühlungsvermögen, das ihm besonders für die Wesenszüge des literarischen Symbolismus und den Schönheitskult wie den Erkenntnisrausch der Jugend empfänglich macht. So geraten die als „Grundstimmungen” und als „Grundverhalten” bezeichneten Kapitel seines Buches am einsichtsreichsten. Wie etwa Hofmannsthals Begriff der Präexistenz auf Andrian angewandt wird, wie Erwartung und Erinnerung eigentlich die nüchterne Gegenwart jeweils ausschalten, wie der Erbe einer reichen Kultur sich zum religiösen Erlebnis stellt, wie das den Patrioten Bestimmende, das Bezeichnende des Österreichers herausgearbeitet werden, macht die Lektüre dieses Buches über die literarisch aktuelle Problematik hinaus spannend.

Der politische und theologische Schriftsteller Leopold von Andrian erschließt sich Schumann bei der Betrachtung von dessen späten Werken „Die Ständeordnung des Alls” (1930) und „Österreich im Prisma der Idee” (1937), die er nicht bloß zur besseren Erkenntnis des nur in seiner Jugend „Dichtenden” heranzieht, sondern zur Einsicht in das Wesen der gesamten Persönlichkeit. So trifft das Wort zu, das der Autor im Herbst 1966 von Paris aus seinem Buch voransetzte: „Eine Abhandlung über das Gesamtwerk ist hier zum erstenmal durchgeführt worden.” — Eine Berichtigung: Venedig ist nicht bis 1848, sondern bis 1866 österreichisch gewesen (S. 113).

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