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Im Bannkreis zweier Kulturen

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Obwohl der „polnische Wiener“ Epiker und Dramatiker schon vor mehr als 50 Jahren gestorben ist, sucht man seinen Namen in deutschen Nachschlagwerken vergeblich. Und obgleich Thaddäus Rittners Theaterstücke neben denen von Shaw, Ibsen, Hauptmann und Wedekind in nahezu allen europäischen Großstädten zwischen Hamburg und Wien, zwischen Paris und Warschau ihre Erstaufführungen erlebten, blieb er ein Unbekannter im deutschen Sprachraum. Vermutlich war dies sein Verhängnis, daß er zeitlebens zwischen „zwei Welten“ stand: „Von so manchem, was ich geschrieben“, bekennt Rittner, „sagen die Deutschen, es sei polnisch, und die Polen, es sei deutsch.“

Von diesem Stigma der Zweisprachigkeit ist Rittners gesamtes Werk gezeichnet: seine Dramen und Romane, seine Erzählungen und Essays. Geboren am 31. Mai 1874 in Lemberg, kam Thaddäus 1880 nach Wien und wurde Schüler am Wiener Theresianum. Dem Abitur (1892) folgte ein Jurastudium mit Staatsexamen und Promotion sowie die Beamtenlaufbahn im österreichischen Unterrichtsministerium, wo auch sein Vater, später Minister für Galizien im Kabinett Baden! und Erzieher des Erzherzogs Otto, als Vizeminister fungierte. Parallel zum Beamtendasein, das er als „tausend Jahre Zwangsarbeit“ empfand, führte Rittner ein literarisches Doppelleben, dessen erste Produkte die mit Wedekinds Werken auffallend ähnlichen Novellen „Lulu“ und „Dora“ waren, denen 1900 Rittners erste Novellensammlung „Drei Frühlingstage“ folgte. Über die Lektüre von Hamsuns „Mysterien“, deren Einfluß in der genannten Novellensammlung sichtbar ist, gelangt Rittner in den Bannkreis des ihm wesensverwandten Stanislaw Przybyszewski, für dessen Zeitschrift „Zycie“ (Leben) er seine „Briefe aus Wien“ schreibt. Der Mitarbeit an so profilierten Zeitschriften wie „Czas“ (Die Zeit), des Wiener „Fremdenblatts“ oder der „österreichischen Rundschau“ folgt die Begegnung mit Kaitt Kraus' „Fackel“, in der 1906 Rittners Aufsatz über Gerhart Hauptmann erscheint. Damit war der Anschluß an den Kreis der Wiener Literaten vollzogen, in dem vor allem Felix Braun, Peter Altenberg, Max Meli und Arthur Schnitzler zu seinen Bekannten gehörten.

Als im Mai 1912 Rittners zweiter Novellenband „Ich kenne Sie“ erscheint, beglückwünscht ihn Heinrich Mann hierzu. Gemeinsam mit Sigmund Freud und Hugo von Hofmannsthal unterschreibt Rittner im Jänner 1913 das Manifest der Freien Gruppe — einen Protest gegen die Theaterzensur. Obgleich hochgestellter Regierungsbeamter, beginnt Rittner Stücke zu schreiben, „deren Stimmung und Absicht nicht auf der Linie des offiziellen Staatsgewissens liegen“.

Seinen ersten Bühnenerfolg erlebt er im Wiener Intimen Theater 1904 mit dem Stück „Die von nebenan“. 1908 folgt „Das kleine Heim“ am Wiener Volkstheater, gleichzeitig mit der Buchausgabe in Stuttgart. Es folgen Aufführungen in München, Prag und Berlin. Seine neuen Stücke „Unterwegs“ und „Der dumme Jakob“ werden in den Londoner „Times“ und im Pariser „Monde Artiste“ lobend besprochen; bald druckt auch „Die Jugend“, die Zeitschrift der deutschen Modernisten, seine Werke, und Guil-laume Apollinaire nennt in einem Aufsatz über deutsche Literatur Rittner in einem Atemzug mit Franz Kafka. Mit den Wiener und Berliner Aufführungen der „Wölfe in der Nacht“ erreicht Rittners dramatisches Schaffen seinen Höhepunkt. Von seinen 35 Stücken — ungezählt die zahlreichen Fragmente und Skizzen — sind zwölf zweisprachig geschrieben, dabei handelt es sich um jeweils völlig neue Fassungen.

Mehr ein Bekenner des Vitalismus und entschiedener Gegner des Naturalismus, begriff Rittner die Wirklichkeit als ein Geheimais. Seine Uberzeugung von der irrationalen Struktur der Welt manifestiert sich am deutlichsten in seiner spezifischen Poetik, in der das Lustspiel an erster Stelle rangiert. Wie in einem Spiegel soll die zugleich „fröhliche“ und „traurige“ Komödie das bunte Chaos wiedergeben und so, die Widersprüche des Lebens bewußtmachend, uns der Wahrheit nähern. Die Tragödie hingegen ist die Verneinung dieser Mannigfaltigkeit.

Seit dem Ausbruch des Ersten Weltkrieges ist ein Umbruch in Rittners dramatischem Schaffen zu verzeichnen, dem eine intensivere Hinwendung zur Prosa folgt. Schon 1906 bis 1908 schrieb er einen autobiographischen Roman „In einer fremden Stadt“, der in seinem Leben eine ähnliche Funktion erfüllte wie „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ im Leben Rilkes, dessen Talent Rittner früh entdeckte. Gleichzeitig mit dem Erscheinen des autobiographischen Romans „Das Zimmer des Wartens“ (1918) erkrankt Rittner an einer Blutvergiftung. Trotz seiner angeschlagenen Gesundheit beginnt er ein Jahr später mit dem Roman „Der Zauberpanzer“ und einen Monat darauf mit dem Roman „Die andere Welt“, dessen Erscheinen mit Rittners Tod im Sommer 1921 in Badgastein in-einsfällt. Hier wurde er auf eigenen Wunsch beigesetzt — ein im deutschen Sprachraum zu Unrecht fast vergessener Dichter, der von seiner gleichzeitigen Zugehörigkeit zur deutschen und zur polnischen Kultur bekannte: „Es ist gleichsam eine Last, die ich tanzend tragen muß.“

Vielleicht könnte die Aktualisierung der Gestalt Thaddäus Rittners und seines Werkes uns auf paradigmatische Weise zeigen, wie deutsch-polnische Verständigung vollzogen und gelebt werden kann.

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