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Die Dichter um 1900
Es ist ein unerwartet angenehmes Erlebnis, in einer Fremdsprache ein Werk über österreichische Literatur zu lesen. Die ungewohnte sprachliche Verbindung rückt den behandelten Gegenstand in eine interessante Distanz. Doch wird der Begegnung mit dem vertrauten Thema vor allem durch die Frische der Darstellung neue Spontaneität verliehen. Das bei Ariad-ne Press (Riverside, California) erschienene Werk über die österreichische Literatur der Jahrhundertwende läßt dabei keineswegs analytischen Tiefgang vermissen. Es ist die Absicht des 500 Seiten umfassenden Bandes sowohl für Studenten ohne besonderes Hintergrundwissen als Einführung nützlich zu sein als auch den Ansprüchen der Fachleute zu genügen. Das vorliegende Werk ist der vierte Band einer Reihe, die auf sieben Bände angelegt ist und dann 105 biographische Studien zu österreichischen Autoren von Franz Grillparzer bis zur Gegenwart enthalten soll.
Der vorliegende Band behandelt die Periode von 1880-1918. Ein umfangreicher Essay des Herausgebers Donald Daviau leitet ihn ein. Die Jahrhundertwende Ist in keiner anderen europäischen Metropole von solch kultureller Strahlkraft wie in Wien. Außergewöhnlich junge Talente auf allen Gebieten der Kunst und Kultur, einander in Freundschaft verbunden, zumeist Söhne und Töchter aus „gutem Haus", von ähnlichen Zielen positiv motiviert, nämlich die Kunst mit dem Leben in Harmonie zu bringen, machen noch 100 Jahre später das Fin-de-siecle so anziehend. Dies beweist der Erfolg der Ausstellungen „Traum und Wirklichkeit", „Wien um 1900" und andere.
Korrektur von Fehlurteilen
Donald Daviau legt besonderen Wert auf die Korrektur der klischeehaft stereotypen Fehlurteile, mit denen die Dichter des Jungen Wien schon sehr früh behaftet wurden. Er setzt auseinander, warum die bis heute übliche Festschreibung dieser hochbegabten Generation als Ästheten, Decadents und Dandies falsch ist. Auch analysiert er die Wiener Entwicklung im Vergleich zur Situation in Berlin.
Der Band umfaßt 16 Artikel über Persönl ichkeiten der Jahrhundertwende, jeweils von einem Experten verfaßt. Darunter finden sich Peter Altenberg, Richard Beer-Hofmann, Hugo von Hofmannsthal, Felix Saiten und Arthur Schnitzler sowie Leopold von Andrian-Werburg. Hermann Bahr, der Erwecker, wie ihn Bertha
Zuckerkandl nennt, kommt als solchem eine wichtige Rolle in seiner Generation zu. Ein Essay gilt Rainer Maria Rilke. Die bedeutenden Realisten Marie von Ebner-Eschenbach und Ferdinand von Saar werden auch gewürdigt.
Eine vorwiegend norddeutsch protestantische Literaturgeschichte, die die österreichische Literatur nur langsam in das akademische Bewußtsein eingehen läßt, wurde diesen Erzählern im Vergleich zu Wilhelm Raabe und Theodor Storni bisher zuwenig gerecht. Auch Peter Rosegger ist ein Artikel gewidmet. Selbstverständlich ist auch Karl Kraus vertreten, aber auch Persönlichkeiten wie Theodor Herzl, der Physiker und Philosoph Emst Mach, der Journalist und Sprachkritiker Fritz Mauthner sowie die Schriftstellerin und Frauenrechtlerin Rosa Mayreder. Jede Persönlichkeit wird ins Gesamtbild von Kultur, Gesellschaft und Politik gezeichnet. Das Buch ergibt eine tiefgründige und anregende Darstellung dieser faszinierenden Periode der modernen Kulturgeschichte.
MAJOR FIGURES OF TURN-OF-THE-CENTURY AUSTRIAN LITERATURE. Herausgeben und mit einer Einleitung versehen von Donald Daviau. Ariadne Press, Riverside (California) 1991.
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