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Die konservative Revolution fand nicht statt

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Der zweiten Auflage seines „Deutschen Lesebuches“ hat Hofmannsthal, vor genau dreißig Jahren, eine Reihe „Gedenktafeln“ beigefügt, „in der Hoffnung, durch diese kurzen biographischen Angaben und den Hinweis auf ihre Hauptwerke manche edle geistige Gestalt, ehe ihre Umrisse für die Nation völlig verdämmern, ins Gedächtnis der Aufnehmenden kräftiger zurückzurufen, damit der Reichtum, der noch unser Besitz ist, den heraufkommenden Generationen nicht als eine Armut überantwortet werde“. Im Sammeln, Heraufholen, Beschwören und Verlebendigen des Vergangenen treffen sich der Dichter und der Kulturpolitiker Hofmannsthal. Das für den Tag bestimmte Neue, das Original-Geniale galt ihm wenig neben dem Altehrwürdig-Historischen, dem lebendig Gewachsenen. Aber er erlebt, als ein konservatives Genie, das Vergangene nicht als Historie, sondern als fortwirkend Gegenwärtiges. Daß immer weniger Menschen so empfanden, verdüsterte — wie uns Hofmannsthals Freunde berichten — seine letzten Jahre. Er konnte die traditionslose Geschieht- und Gesichtlosigkeit nicht fassen und begriff es einfach nicht, wenn man ihm, als Dichter, seine Quellen vorwarf, oder wenn die dumpfe Welt das, was er an Kostbarem zusammengetragen hatte, nicht annehmen wollte. Denn Hofmannsthal war der Erbe des reichen und vielgestaltigen Kulturbesitzes der Habsburgermonarchie, und er nahm den Auftrag an, insbesondere das dichterische Gut zu verwalten. “So entstanden die Sammlungen „Deutsche Erzähler“, „Deutsches Lesebuch“, „Wert und Ehre deutscher Sprache“ und die „Neuen Deutschen Beiträge“. Während des Krieges gab er (im Insel-Verlag) die „Oesterreich ische Bibliothek“ heraus. Für diese Unternehmungen berief sich Hofmannsthal immer wieder auf das Vorbild Frankreichs. In einigen Vorreden spricht er expressis verbis davon. „Wie pflegen die Franzosen ihr großes Jahrhundert! Das 18. hat erst das 17. recht erkannt und es in ein zugleich genaues und ehrfürchtiges Licht gestellt; Moliere und Lafontaine, Racine und Pascal haben durch c' i Zeitalter Voltaires ihre Festigung erfahren, und die Sprache ist in aufmerksamer Bewunderung für das vergangene Zeitalter zu dem großen Bewußtsein ihres Selbst erwacht, woraus sie den Anspruch auf Weltherrschaft ableitet und noch heute festhält.“ — Damit der Organismus einer Nation lebendig bleibe, muß ununterbrochen ein Kreislauf zwischen dem Geistigen und dem Gesellschaftlichen stattfinden. Diesen Kontakt sieht Hofmannsthal in Frankreich verwirklicht, ebenso jenen consensus omniuin, dem in Deutschland so vieles entgegenwirkt, denn hier ist der ganze Begriff der Tradition nur höchst bedingungsweise anerkannt.

Damit haben wir eines der Leitmotive — vielleicht das wichtigste — angegeben, durch die der zuletzt erschienene Band der Gesamtausgabe PROSA IV bestimmt wird. Er vereinigt alles Erreichbare aus Hofmannsthals letztem Lebensjahrzehnt (1920 bis 1929), und man mag die Bedeutung dieses Sammelbandes daran ermessen, daß von den 85 Beiträgen mehr als die Hälfte zum erstenmal in Buchform erscheinen und damit allgemein zugänglich gemacht werden. (Die bekanntesten Prosaarbeiten, etwa die Vorrede zu Stifters „Nachsommer“, zum „Deutschen Lesebuch“, zu Manzonis „Promessi Sposi“, die Reden auf Lessing. Beethoven und Grillparzer u. a.) waren bisher im 3. Band der Gesamtausgabe von 1924 bzw. in der zwei lahre nach Hofmannsthals Tod herausgegebenen Sammlung ..Berührung der Sphären“ zu finden. Das Kernstück jenes Bandes und des neuen (Prosa IV) bildet die große Münchener Rede über „Das Schrifttum als geistiger Raum der Nation'' von 1927. Auch hier gewann Hofmannsthal wesentliche

Einsichten aus dem Vergleich zwischen den Verhältnissen im deutschsprachigen Raum und bei unseren westlichen Nachbarn. Diese Rede ist überreich an Gedanken, Assoziationen und Anregungen. Das Kulturprogramm freilich, das ihr zugrunde liegt, erwies sich als Utopie. Hofmannsthal erkannte zwar 1927 die gefährlichen Zeichen der Zeit, aber er glaubte doch noch an eine „konservative Revolution“, einen Prozeß von einem Umfang, wie die europäische Geistesgeschichte ihn bisher nicht gekannt hat. „Ihr Ziel ist Form, eine neue deutsche Wirklichkeit, an der die ganze Nation teilnehmen könne.“ Es ist dann alles anders gekommen, und auch heute, nach dem Untergang des „Tausendjährigen Reiches“, wird wohl kaum jemand den Mut haben, von einer realisierbaren „konservativen Revolution“ zu sprechen. Aehn-lich geht es dem Leser mit einigen anderen Kulturreden Hofmannsthals, etwa mit der Ansprache bei Eröffnung des Kongresses der Kulturverbände von 1926, oder mit den in ausländischen Zeitschriften erschienenen Artikeln über europäische Fragen. Hofmannsthal, ohne Zweifel mit einem Blick für große Zusammenhänge begabt und alles andere als ein Phantast, erweist sich aber doch vor allem als Neuplatoniker, der sich nicht damit begnügt, nach dem Urbild der höchsten Schönheit zu suchen (deren Abbild allein er zu sehen vermag), sondern der sich von der Welt, den Menschen und Dingen seinje eigenen Vorstellungen macht, der die wirklichen dann angepaßt werden. So wird er, in einem allerhöchsten Sinn, zum Meister der Laudatio, etwa wenn er über Lessing, Beethoven, Grillparzer und Stifter, aber auch über seine Zeitgenossen R. A. Schröder, Rudolf Kassner, Hans Carossa, Walther Brecht oder über die Literaturgeschichte von Josef Nadler spricht. — Bewundernswert ist auch der Radius von Hofmannsthals geistigem Gesichtsfeld, in dem K. E. Neumanns Buddha-Uebertragungen einen ebenso fixen Platz haben wie des rumänischen Dichters Eftimiu Prometheus-Dichtung oder das dramatische Werk Eugen O'Neills. Zentrum und Standort Hofmannsthais war immer Oesterreich und Wien. Die gtoßen Oesterreich-Reden und -Artikel sind zwar während des Krieges von 1914 bis 1918 entstanden und finden sich in PROSA III, aber auch in dem vorliegenden Band stehen einige gewichtige Beiträge zu dem „zentralen“ Thema (Vermächtnis der Antike, Rede im Verein der Wiener Museumsfreunde, 150 Jahre Burgtheater u. a.). Hier stehen auch mehrere programmatische Artikel über die Salzburger Festspiele, die es verdienten, von den Zuständigen genau studiert und durchdacht zu werden. Hier findet sich schließlich jene überraschende und aufschlußreiche Bemerkung über den „Auslanddeutschen als Teil der Nation“, mit der wir unsere Betrachtung des Bandes abschließen wollen: „Er nimmt keinen unmittelbaren Anteil an ihrer realpolitischen Gegenwart, aber im geistigen Bereich zieht er aus seiner Stellung einen eigentümlichen Vorteil. Er repräsentiert gleichsam 3en Ausländer und Inländer in einem. Von der Geisteslage eines Volkes hat aber oft der Ausländer den richtigeren Ueberblick. Er unterscheidet das bleibend Wertvolle, das, was wahrhaft in der Ttadition ist, und führt die Ueberwertung des Augenblicks auf ihr Maß zurück.“

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