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„Weltgeheimnis“

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„Der tiefe Brunnen weiß es wohl, Emst waren alle tief und stumm, Und alle wußten drum.“

So lautet die erste Strophe des mit „Weltgeheimnis“ überschrie-benen Gedichtes Hugo von Hofmannsthals. Welches Geheimnis? Im Tagebuch des Dichters steht es: „Wenn ein Mensch dahin ist, nimmt er ein Geheimnis mit sich: wie es ihm — im geistigen Sinne —zu leben möglich gewesen wäre.“ Seine ganze Kraft und seine ganze Zeit gehörte einzig dem Kampfe für den Geist und gegen den Ungeist. Er war kein Schriftsteller, er war ein Dichter, in jeder Zeile seines Werkes, aus Verantwortung; „ihn berief die Gnade zu seinem hehren Amte“ (Heuscheie). Manche sind von Pracht und Glut seiner Sprache derart geblendet, daß sie kaum zum Inhalt vordringen, von der schönen Schale zum kostbaren Kern. Hiebei kann es nützlich sein, den Spuren des Dichters, buchstäblich, nach-zu-gehen.

Hofmannsthal hat gleich zu Beginn seiner Ehe mit Gerty Schlesinger (die Trauung war am 8. 6. 1901 in der Wiener Schottenkirche) ein Haus gemietet, herrschaftlich und bescheiden in einem, wie sein eigenes Wesen. Er schilderte selbst: „Es ist nicht größer als ein Bauernhaus, hat ein wunderschön geformtes altes Schindeldach, einen großen grünen Salon mit bemalten Wänden,

und einen tiefen, in den schwarzen Felsen gewölbten Keller. Der Garten, voller alter Obstbäume, geht steil den Berg hinauf ...“ Der Ort heißt Rodaun. Das Schllössel, zur Zeit der Kaiserin Maria Theresia erbaut, wurde von dieser ihrer Oberhofmeisterin und Erzieherin Gräfin Fuchs geschenkt (daher auch „Fuchs-schlössel“ genannt); seit 1782 ist es im Besitz der Familie Czedik-Eysenberg. Man zieht die Glocke, tritt durch einen Toreingang über einen stillen Hof in jenen Teil, den Hofmannsthal bewohnte, in dem seine Kinder — Christiane, Franz und Raimund — aufwuchsen: er steht, mit Ausnahme eines runden Tisches, völlig leer. Mit bereitgestellten Filzpatschen, um den frisch versiegelten Boden zu schonen, betrachten wir die erneuerten Wandfresken. Die Möbel werden derzeit in staatlicher Werkstätte restauriert. Vor Jahren, bei Besuch der damaligen Mieterin, der niederösterreichischen Heimatdichterin Maria Grengg, befand sich auf der Rückseite des Schreibtisches jener schmale Diwan, auf dem Hofmannsthal am Nachmittag des 15. Juli 1929, vom Schlag getroffen, hinsank, gerade in dem Augenblick, da er zum Leichenbegängnis seines älteren Sohnes aufbrechen wollte. Am 18. Juli — man hat ihn daher als den endgültigen Todestag des alten Österreich bezeichnet — wurde er

im braunen Habit der Mitglieder des 3. Ordens vom heiligen Franziskus auf dem Kalksburger Friedhof beigesetzt. Dem Neunzehnjährigen zeigte der Tod sein Leben vor; von einem Kalksburger Abendspaziergang berichtet er später in einem Brief an Carl Burckhardt: „Vor einem Gastbaus im Freien spielte ein halbzerlumpter Bursch einen Walzer, ein paar Schritte weiter in einem armseligen Häusl spielten zwei Menschen wunderschön eine Beethovensonate und noch ein Stück weiter sang eine junge

Frauenstimme zart und gefühlvoll so völlig musikalisch; es war im letzten Kriegssommer, und das war einmal noch mein 'altes Österreich!“

Hofmannsthal ließ wie ein Zauberer unter seinen Händen den Trost der einfachen, ländlichen, natürlichen Dinge erblühen, um hinter ihrer Erscheinung die göttliche Wahrheit zu erkennen. Er war auch den Menschen herzlich zugetan (der Umfang seines Briefwechsels entspricht dem Rilkes), sein Mitschüler Edmund von Hellmer, humanistischen

Traditionen der Antike und des Christentums vom Akademischen Gymnasium her getreu, schildert ihn rührend schlicht: „Jedesmal, wenn wir uns sahen,' geschah es uns beiden zur Freude; denn er war und blieb der liebenswürdige Mensch und gute Kamerad, der er gewesen, und ich habe ihn einfach lieb gehabt.“ Ja, Felix Saiten rühmt neben seinem zuweilen stürmischen Tempera-ment, Hofmannsthal als den „Einzigen, der wirklich regen und fördernden Anteil am Arbeiten eines anderen nahm.“

Wohl sah Rudolf Alexander Schröder auf der Maske des Toten einen „Ausdruck der Erhöhung, der Verklärung, des unsäglichen Friedens“, doch wäre es grundfalsch, seinen Typ auf jenen des Ästheten, des „schwierigen“ Aristokraten einzuengen. In seinem Meistervortrag „Der Dichter und seine Zeit“ nennt er sich den „versteckten Genossen, den lautlosen Bruder, der sich niemandem verschließt, als hätten seine Augen keine Lider“. Als Raoul Auernheimer Hofmannsthal kurz vor seinem Tode frug: „Was soll er tun, der österreichische Dichter“, gab der Gefragte zur Antwort: „Sterben!“ Vieleicht faßte Hofmannsthal in diesem Worte nochmals seine Sendung, seinen Auftrag zusammen: unbeirrt vom äußeren Geschehen einem Höheren zu dienen, einem Übergeordneten, einem Übermenschlichen, einem Überirdischen, einem Unzerstörbaren, von dessen Gewißheit seine nunmehr den Grabspruch bildenden eigenen Verse künden: „Und mein Teil ist mehr als

dieses Lebens Schlanke Flamme oder schmale

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