Der Mann ohne Schatten

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Zum 50. Todestag von Richard Strauss, der mit seiner ausdrucksstarken, plastischen Musiksprache den Schlußpunkt der deutschen Musiktradition markiert.

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Zum 50. Todestag von Richard Strauss, der mit seiner ausdrucksstarken, plastischen Musiksprache den Schlußpunkt der deutschen Musiktradition markiert.

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Für die einen ist er der größte Komponist des 20. Jahrhunderts, für die anderen ein Verräter an der Entwicklung und am Fortschritt der Musik. Von den meisten Vertretern der Moderne wurde und wird die Musik von Richard Strauss als sentimental, vulgär und dekadent abgetan, für Theodor W. Adorno hat Strauss die Ideale der Kunst des 20. Jahrhunderts mit Füßen getreten. "Richard Strauss hinterließ ein Werk, das zum großen Teil zum Schönsten und Eindringlichsten gehört, das jemals komponiert wurde, und nichts wird jemals die Breite des Spektrums dieser bemerkenswerten Hinterlassenschaft schmälern können", schwärmt hingegen Strauss-Biograph Matthew Boyden stellvertretend für viele andere.

Die um Strauss gefochtenen Sträuße beruhen auf der Annahme, der Komponist habe seinerzeit eine - verwerfliche oder gerade noch rechtzeitige, je nachdem - Kehrtwende vollzogen. Er habe sich, heißt es, von einem der Väter der modernen Musik und der führenden Stimme der deutschen Avantgarde zu einem rückwärtsgewandten, in Melodien schwelgenden Spätromantiker gewandelt. Mit seinen beiden kühnen Opern "Salome" (1905) und "Elektra" (1909) habe sich Strauss an die Grenzen der Tonalität vorgewagt, mit dem "Rosenkavalier" (1911) habe er sich dann jedoch in die bewährten musikalischen Gefielde des 19. Jahrhunderts zurückgezogen. Diese weit verbreitete Ansicht ist jedoch ein Mythos.

Für die Zeitgenossen mochte diese Sichtweise zwingend gewesen sein, 50 Jahre nach dem Tod des Komponisten, der sich am 8. September jährt, läßt sie sich jedoch nicht aufrecht erhalten. In seiner aktuellen Strauss-Biographie belegt Matthew Boyden, daß es die besagte Kehrtwende nie gegeben hat - denn Strauss' Musik war nie dem 20., sondern stets dem 19. Jahrhundert verpflichtet. Strauss' Musik stellt den finalen Gipfelpunkt einer Musiktradition dar, deren vorangegangene Höhepunkte die Klangwelten Mozarts, Beethovens und Wagners waren. Strauss markierte eine äußerste Grenze, die Musik des am 11. Juni 1864 in München geborenen Komponisten stellte "einen Endpunkt dar, nicht einen Anfang", konstatiert Boyden.

Als "künstliche Nebelwand" bezeichnet Boyden die vermeintliche musikalische Modernität von "Salome", deren harmonische Palette in der Tat gewagt ist. Wenn "Salome" allerdings nur auf dem Klavier gespielt wird, oder wenn die Gesangsstimmen aus ihrem wüsten harmonischen Kontext gelöst werden, klingt die Oper wie ein Musikdrama des 19. Jahrhunderts, reich an Melodien, "die sich nicht einmal ein Liszt hätte träumen lassen" (Boyden). In "Elektra" streifte Strauss zwar in Klytämnestras Monolog die Atonalität, aus heutiger Sicht verströmt das Werk über weite Strecken jedoch eine fast konventionelle Gefühlsseligkeit und ist im Grunde so melodiös wie Mozart oder Lehar (den Strauss übrigens als "Gassenmusikanten" verachtete).

Richard Strauss fühlte sich keiner zeitgenössischen musikalischen Strömung und keiner ästhetischen Ideologie verpflichtet. Der Zweck heiligte für ihn die Mittel, er komponierte stets nur dem vorliegenden Thema entsprechend. "Strauss paßte seine Kompositionsweise als musikalischer Schneider äußerst farbenfroher Kostüme lediglich dem Stoff an", vergleicht Boyden. Das kompositorische Instrumentarium ist beim "Rosenkavalier" dasselbe wie bei den beiden vorangegangenen Opern, das Werk stellte in diesem Sinn eine stilistische Kontinuität dar, keine Abkehr von einem vermeintlichen Avantgardismus. Daß es sich bei dem Libretto um eine Komödie im Wien von Kaiserin Maria Theresia handelt, schlägt sich eben in einer entsprechenden melodiös-walzerseligen Komposition nieder. "Ja mei, wenn auf der Bühne a Muatter derschlag'n wird, kann i dazu im Orchester koa Violinkonzert spielen lassen", verteidigte sich Strauss, als ihm vorgeworfen wurde, in "Elektra" musikalisch zu weit gegengen zu sein.

Ausschlaggebend für die scheinbare Kehrtwende war auch, daß sich Strauss auch dann noch nach dem Beifall der Avantgarde sehnte, als er schon längst nicht mehr den progressiven Kräften des deutschen Musiklebens angehörte. In seinen Tondichtungen - "Don Juan" (1889), "Tod und Verklärung" (1889), "Till Eulenspiegels lustige Streiche" (1895), "Also sprach Zarathustra" (1896), "Don Quixote" (1897), "Ein Heldenleben" (1898) - hatte Strauss zu einer neuen, ausdrucksstarken, plastischen Musiksprache gefunden, die das Vorbild der sinfonischen Dichtungen Franz Liszts produktiv weiterbildete. ("Eine Alpensinfonie", die 1915 entstand, ist ein Nachzügler). Doch die Huldigung an sein Idol Wagner, von der seine beiden ersten Opern "Guntram" (1894) und "Feuersnot" (1901) geprägt sind, war hoffnungslos antiquiert. Und nach seiner exhibitionistischen Tondichtung "Sinfonia Domestica" (1904) meinten viele, Strauss habe seine besten Jahre schon hinter sich.

Atonalität abgelehnt Indem er das als dekadent und amoralisch verschrieene Drama von Oscar Wilde als Vorlage wählte, gewann er Anschluß an die Gegenwart. Mit "Salome" (38 Schlußvorhänge bei der Premiere!) feierte er ein glänzendes Comeback und genoß wieder den Ruf eines führenden Modernisten. Spätestens 1908 muß Strauss klar geworden sein, daß er als Galionsfigur der modernen Musik fehl am Platz war. In diesem Jahr nämlich verabschiedete sich Arnold Schönberg mit seinen "Drei Klavierstücken", op. 11 endgültig von der Tonalität und setzte sich damit an die Spitze der Avantgarde. Schönberg war Strauß nicht unbekannt; der Allgemeine Deutsche Musikverein, zu dessen Präsidenten Strauss 1901 gewählt worden war, unterstützte den jungen österreichischen Komponisten finanziell. Von Schönbergs Musik hielt Strauss hingegen nichts: "Dem armen Schönberg kann heute nur der Irrenarzt helfen. Ich glaube, er täte besser Schnee zu schaufeln, als Notenpapier zu bekritzeln", schrieb er 1913 in einem Brief an Alma Mahler. Strauss stand der Atonalität und der Ablehnung der Tonalität zeitlebens mit Unverständnis gegenüber.

Nach dem "Rosenkavalier", Strauss' größtem Premierentriumph, der für eine weltweite Sensation sorgte, schrieb er weitere zehn Opern, darunter Meisterwerke wie "Ariadne auf Naxos" (1916), "Die Frau ohne Schatten" (1918) , "Arabella" (1932), "Die Schweigsame Frau" (1935), "Daphne" (1937), und sein geniales Spätwerk "Capriccio (1941)". Am 13. März 1944, am Tag nachdem die Wiener Staatsoper einen Bombenangriff zum Opfer gefallen war, begann er mit einem Werk, das Kenner für sein größtes halten: "Metamorphosen", ein Klaggesang für 23 Solo-Streicher.

Strauss war auch einer der größten Dirigenten seiner Generation: Seine Mozart-Interpretationen, zumal wegen seiner Improvisationen der Secco-Rezitative, sind legendär und er trug auch wesentlich dazu bei, daß das lange verkannte Meisterwerk "Cosi fan tutte" den verdienten Weg ins Repertoire fand. Während seiner Zeit als Direktor der Wiener Staatsoper (1918 bis 1925) verblüffte er mit einer extravaganten Neuinszenierung von "Carmen": Eine vor Erotik sprühende Maria Jeritza, die mit tiefem Dekollete über die Bühne fegte, hatte das konservative Wiener Publikum noch nie gesehen.

Der von Egomanie und Geldgier zu einem ungeheuren Arbeitspensum getriebene Strauss begründete unter anderem die Salzburger Festspiele, zusammen mit Max Reinhardt und Hugo von Hofmannsthal, der von "Elektra" bis "Arabella" als Strauss' Librettist fungierte. Seltsamerweise wurde bei den heurigen Salzburger Festspielen nicht eine einzige Oper von Strauss aufgeführt. Eine tragende Rolle spielte Strauss auch bei der Gründung der ersten deutschen Gesellschaft für Urheberrecht.

Unrühmliche Rolle Eine unrühmliche Rolle hingegen spielte der Komponist im Dritten Reich. Als Auftritte von Bruno Walter in Berlin und Arturo Toscanini in Bayreuth aufgrund der politischen Ereignisse kurzfristig platzen, sprang Strauss für seine Kollegen ein, obwohl er den Nazis damit zu einem propagandistischen Sieg verhalf. Zusammen mit 44 anderen namhaften Unterzeichnern protestierte er 1933 gegen Thomas Mann, dem eine "kosmopolitisch-demokratische" Auffassung vorgeworfen wurde. Während seiner Zeit als Präsident der Reichsmusikkammer (1933 bis 1935) trugen zahlreiche Erlasse, die der Säuberung des Kulturlebens von "unerwünschten Elementen" dienten, seine Unterschrift. Er unternahm auch nichts, um Schikanen gegen "arische" Kollegen wie den Dirigenten Wilhelm Furtwängler oder den Komponisten Paul Hindemith zu verhindern. Obwohl er nach zwei Jahren als Reichsmusikkammerpräsident zurücktreten mußte, fiel er erst 1944 endgültig in Ungnade. "Der persönliche Verkehr unserer führenden Männer mit Dr. Strauß (sic!) soll unterbleiben", befahl Hitler-Sekretär Martin Bormann in einem vertraulichen Rundschreiben.

Matthew Boyden widmet sich in seiner Strauss-Biographie ausführlich dem Antisemitismus des Komponisten - zu ausführlich; er hätte die Mühe besser in eine Zeittafel investieren sollen, die in dem ansonsten profunden Werk unverständlicherweise fehlt. Boyden selbst nennt Strauss' Antisemitismus an einer Stelle "nicht weiter bemerkenswert". Strauss wuchs in einer Zeit und in einer Gesellschaft heran, als Antisemitismus, Rassismus und Intoleranz selbstverständlich waren. Ein latenter Antisemitismus ist den meisten, die damals sozialisiert wurden, ins Blut übergegangen. So finden sich auch in "Salome" antisemitische Züge: Die Partie des Herodes ist fast kastratenhaft notiert und die Fünf Juden sind als "heulendes" (Partituranweisung) Buffo-Quintett angelegt.

"Jüdischer Eigensinn" Wie paradox sich dieser oft gar nicht bewußte Antisemitismus auswirken kann, zeigt ein Brief, den Strauss 1935 an den Juden Stefan Zweig schrieb, der gerade am Libretto für "Die Schweigsame Frau" arbeitete: "Dieser jüdische Eigensinn! Da soll man nicht Antisemit werden! Dieser Rassestolz, dieses Solidaritätsgefühl - da fühle sogar ich einen Unterschied! Glauben Sie, daß ich jemals aus dem Gedanken, daß ich Germane bin, bei irgendeiner Handlung mich habe leiten lassen? (...) Für mich existiert das Volk erst in dem Moment, wo es Publikum wird. Ob dasselbe aus Chinesen, Oberbayern, Neuseeländern oder Berlinern besteht, ist mir ganz gleichgültig, wenn die Leute nur den vollen Kassenpreis bezahlt haben." Dieser von der Gestapo abgefangene Brief führte letztendlich zu seinem Rücktritt als Präsident der Reichsmusikkammer, nachdem ihn seine Zusammenarbeit mit Zweig schon bei vielen Nazis - nicht aber bei Hitler selbst - diskreditiert hatte.

Nach dem Krieg kam Strauss glimpflich davon: Zuerst setzte er sich aus der französischen Zone in die Schweiz ab, wobei er seine Flucht mit wertvollen Partituren bezahlte: Er spendierte der Pariser Nationalbibliothek ein Manuskript der "Alpensinfonie", zwei Lieder zu Texten des Nazi-Dichters Josef Weinheber gingen an zwei französische Offiziere. Vier Monate vor seinem Tod kehrte er in seine Villa in Garmisch zurück, die er ebenso wie sein Vermögen behalten durfte.

Wenige Tage vor seinem Ableben flüsterte Strauss: "Ich hör soviel Musik." Als seine Schwiegertochter ihm daraufhin Notenpapier brachte, meinte er nur: "Ich hab's schon vor 60 Jahren geschrieben, in ,Tod und Verklärung'. Es ist genauso ..." Am 8. September 1949 um zwölf Minuten nach zwei Uhr verstarb er schließlich. Seine Frau Pauline, die er in der Oper "Intermezzo" 1924 als Hausdrachen porträtiert hatte, folgte ihm acht Monate später ins Grab.

Richard Strauss - Die Biographie Von Matthew Boyden, Europa Verlag, München und Wien 1999, 704 Seiten, geb., öS 423,-/e 30,74

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