Ein Held wollte er nie sein...

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Maria Publig schrieb die bisher beste und ausgewogenste Biographie von Richard Strauss.

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Maria Publig schrieb die bisher beste und ausgewogenste Biographie von Richard Strauss.

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Runde Gedenktage berühmter Persönlichkeiten sind meist begleitet von neuen Biographien. Bei Richard Strauss sind es weniger als bei Johann. Nach vorläufiger Einschätzung hat die beste die Wiener Musikwissenschaftlerin Maria Publig verfaßt, wenn es auch Einwände gibt. Sie hat Ausgewogenheit zwischen dem Künstler, dem Privatmann und der Figur der Zeitgeschichte erreicht. Daß sie als Nachgeborene nicht ganz die Stimmung und die politisch-gesellschaftlichen Gegebenheiten nachfühlen kann, ist normal. Was sie wohltuend von anderen Biographen unterscheidet, sind Sympathie, tiefes, kompetentes Verständnis für den Künstler und das menschliche Interesse an einem Mann, dessen Liebe und Verantwortungsgefühl für seine ganze Familie heute beinahe altmodisch wirken und dessen Streben nach Anerkennung dem eines überragenden Künstlers entspricht.

Maria Publig geht nicht streng chronologisch vor. Sie verknüpft einzelne geschlossene Kapitel wie Ringe einer Kette. Das bringt kleine Wiederholungen mit sich, die aber den Leser eher stützen als langweilen.

Wenn Richard Strauss sich oft auf Mozart berief, dann fühlte er sich nicht nur musikalisch dem großen Vorbild verbunden. Er führte auch dessen Kampf um gesellschaftliche und materielle Anerkennung des schöpferischen Künstlers auf seine Art weiter. Zeitweise auch Mozarts Auflehnung gegen die starke italienische Konkurrenz. Das hat die Autorin beiseite gelassen. Dagegen schildert sie eingehend, wie Strauss schon 1898 seine Kollegen zur Durchsetzung eines gerechteren Urheberschutzes sammelte. In einer Zeit, in der der Kunstbetrieb finanziell interessant wurde, die Gesellschaft sich aber das Genie immer noch hungerleidend wünschte. Alle verdienen, nur der Künstler wird mit dem Notwendigsten abgespeist - eine Gewohnheit, die erst Herbert von Karajan fundamental änderte.

Bei Strauss ging dieses Eintreten für Urheberrechte fast nahtlos in den unbedachten Entschluß über, sich zum Präsidenten der Reichsmusikkammer machen zu lassen. Erst in diesen zwei Jahren konnte er sein Ziel beim Urheberrecht erreichen - unwiderruflich. Maria Publig hätte wohl noch deutlicher machen können, daß damals jede künstlerische Betätigung die Zugehörigkeit zu einer dieser Kammern voraussetzte. Das bewog sogar den Juden Franz Werfel, die Mitgliedschaft in der Reichsschrifttumskammer zu beantragen. Woraus man sieht, daß fast niemand so genau wußte, wie es weitergehen würde.

Richard Strauss wurde schon 1935 wieder abgesetzt, hatte aber doch so gute Verbindungen zu den obersten Rängen der Hierarchie aufgebaut und wußte sich auch so unentbehrlich für das internationale Ansehen Deutschlands, daß er zunächst seinen Kampf um die Zusammenarbeit mit Stefan Zweig fortsetzte, daß er vielen Bedrohten helfen konnte, vor allem natürlich der eigenen Familie, die durch die jüdische Schwiegertochter gefährdet war. Es mußte ihm in erster Linie darum gehen, daß seine Enkel mit kleinen Einschränkungen als "Arier" anerkannt wurden. Er war ja immerhin Musiker. Ein Heldenleben bis ins Greisenalter jedenfalls stand nicht in seinem Lebensplan.

Wie weit die Frage des Antisemitismus bis in die Jahre des frühen Strauss zurückverfolgt werden muß, wie sein Umgang mit Levi und dem Musikveranstalter Wolff, mit Schönberg und Mahler in Beziehung zu setzen ist mit späteren Entwicklungen, mag dahingestellt bleiben. Interessant ist es sicher. Strauss hat auch einmal erklärt, seine größten Widersacher seien "Arier" gewesen. Mit Mozart gemeinsam hatte er auch einen jüdischen Librettisten. Goebbels mußte den fehlenden Ariernachweis bei Daponte ebenso übersehen wie bei Hofmannsthal, wenn er überhaupt ein Opernrepertoire retten wollte.

Die wenigen Jahre der Auseinandersetzung mit dem NS-Regime werden immer am genauesten analysiert. Maria Publig hätte das nur dann abkürzen können, wenn sie nicht im "Document Center" Berlin unbekannte Akten aufgespürt hätte, die unterstreichen, wie sich die Verachtung und Geringschätzung des großen Künstlers durch Goebbels und andere Bonzen immer gefährlicher verschärfte. Das kann sich kein Biograph entgehen lassen. Die Dramatik der Vorgänge spricht für sich selbst. Die Autorin hätte sie uns aber nicht durch Modeausdrücke von heute wie "Promotion-Tour", "Fangemeinde" oder "Superstar" näherbringen müssen. Und muß man einen geradezu revolutionären Komponisten, der schon vor J. M. Hauer und Arnold Schönberg in seinem "Zarathustra" von 1896 die ersten Zwölftonsequenzen verwendet hat, dann als Siebziger in seinem Schaffen "längst überholt" finden? Das ist doch ganz natürlich!

Aus einem Fund der Autorin sei abschließend zitiert: Noch 1934 erschienen "Blätter für Deutschtum und Judentum", die "Berliner Central Verein-Zeitung". Da wurde dem Präsidenten der Reichsmusikkammer ausführlich gedankt für sein Interesse an jüdischer Tradition, wurden die vielen Juden erwähnt, mit denen er zusammengearbeitet hat. Man erinnerte an die musikalische Ironie, mit der Strauss in der "Salome" die jüdische Diskussionsfreude darstellte und beurteilte seinen Irrweg milde: "Gerade dort, wo wir geliebt, verehrt, angebetet haben, dürfen wir uns vom Äußerlichen des Vergangenen und des Gegenwärtigen nicht bestimmen lassen ... bleiben ... wir uns selber treu, mit jener Liebe im Herzen, die Oktavian uns zusingt mit den Worten, die auch die Liebe zum Genius bedeuten können: ,Wie du warst, wie du bist, das weiß niemand, das ahnt keiner ...'"

Vermutlich haben die Zeitzeugen, die Mitleidenden das bessere Gefühl für die rechten Proportionen in der Frage, welche Entscheidung damals richtig war, falls die Frage überhaupt beantwortet werden kann. Man lese nach, was Marcel Reich-Ranicki in seinem Lebensbericht über Gustaf Gründgens schreibt.

RICHARD STRAUSS - BÜRGER - KÜNSTLER - REBELL Eine historische Annäherung von Maria Publig Verlag Styria, Graz 1999 280 Seiten, 40 SW-Abbildungen, öS 364,-/E 26,45

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