Metamorphosen eines HELDENLEBENS

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Der Rückblick auf ein Künstlerleben kann nur ein tastender Versuch sein. Man möchte als Interpret die Wesenszüge eines Charakters erfassen, die prägenden Merkmale des Personalstils begreifen und das Lebenswerk vor dem Horizont einer Epoche verstehen. Hinter dem vergilbten Firnis aber soll ein triftiges, bündiges und gültiges Bild entstehen. Es gilt, mit Methoden der Hermeneutik die Hermetik großer Kunstwerke aufzuschließen, die oberflächliche Verknüpfung von Leben und Werk zu vermeiden, die Gratwanderung zwischen hochnotpeinlicher Abrechnung und demütiger Heiligenverehrung zu bestehen. Und endlich ist ungeachtet aller analytischen Verfahren der zuständigen Fachwissenschaft das Geheimnis schöpferischen Gelingens zu wahren.

Bei Richard Strauss, dem in diesem Gedenkjahr besondere Zuwendung und verstärkte kritische Aufmerksamkeit gilt, ist dieses Unterfangen zugleich recht einfach und ziemlich beschwerlich. Als ein Komponist der jüngeren Vergangenheit, ein Musiker im Schwellenbereich zwischen spätromantischem Erbe und avantgardistischem Anspruch, sind sein Lebenslauf gut erschlossen, das Schaffen reich dokumentiert und die einzelnen Stücke in Aufführungen sowie auf Tonträgern leicht überprüfbar. Doch gerade in seinem Fall ziehen Rezension und Akzeptanz beim Publikum und das musikologische Werturteil nicht immer am selben Strang und in die gleiche Richtung. Und die Diagnose der Persönlichkeit aus wechselndem Blickwinkel, durch ein üppiges Briefcorpus, Äußerungen von Zeitgefährten und eine Überfülle an verbürgten Daten möglich gemacht, verströmt erst recht viel Licht und wirft bisweilen starke Schatten.

Der Programmatiker

Das Klischee der Persönlichkeit von Richard Strauss als eines hemdsärmelig-burschikosen Bajuwaren, aus anekdotischen Facetten kolportiert und zum Gesamtbild vergröbert, geht am Wesen dieses Künstlers vorbei. Und selbst das autobiografische Zeugnis im Libretto seiner Oper "Intermezzo" sollte man vollständig zitieren, um sich darauf berufen zu können. Der Komponist frönte tatsächlich dem bürgerlichen Vergnügen des Kartenspiels ("Ach, so ein Skätchen ist ein Genuß"), aber eben "die einzige Erholung nach Musik", wozu im Orchester eine Sequenz des "Tristan"-Vorspiels anklingt.

Die Belesenheit und umfassende Bildung des Tondichters äußern sich vielfach in Briefen und Betrachtungen, vor allem aber im kompositorischen Werk: Er kennt und studiert wiederholt die klassischen Autoren, was sich in erlesener Zitatkultur und in der Wahl seiner Sujets niederschlägt. Aber auch Max Stirners "Der Einzige und sein Eigentum" wird dem jungen Musiker zum Brevier, und er verschlingt die umstrittenen Schriften von Friedrich Nietzsche. Ästhetische "Lesezeichen" entdeckt man mancherorts -in der ersten Oper "Guntram" oder im "symphonischen Optimismus in Fin de siècle-Form" "Also sprach Zarathustra". Unter dem dramaturgischen und stilistischen Anspruch des Komponisten hatten geplagte Librettisten immer wieder zu leiden. Selbst Hugo von Hofmannsthal, zwar für Strauss Daponte und Scribe in einer Person, musste dem gebieterischen Auftrag entsprechen, "seinen Pegasus noch ein bißchen zu spannen" oder allzu subtile Ambitionen der komödiantischen Bühnenwirkung unterzuordnen. Joseph Gregor wiederum, der späte Textdichter nach dem Tod des kongenialen Partners und der politischen Diskriminierung von Stefan Zweig, fand nur selten aus der subalternen Position eines literarischen Befehlsempfängers zur Augenhöhe einer ästhetischen Kooperation.

Die Wortsuche im Sinne eines unaufhörlichen Strebens nach dem stimmigen Ausdruck gerät Strauss bisweilen zur chronischen Sprachsucht: Die lebenslange Beschäftigung mit exemplarischer Dichtung schärfte und vertiefte dabei seinen verbalen Wertekanon. Dabei wird das Wechselspiel von Wort und Musik (auch in einigen Passagen der Libretti thematisiert) zur lebenslangen Herausforderung. Das gilt über die Opern hinaus auch für sein Lied-Oeuvre, bei dessen Textauswahl der Tonsetzer wählerischer war, als es manches eilfertige (Vor)Urteil wahrhaben will. Im Übrigen lohnt auch die Beschäftigung mit den verworfenen Opernsujets, denn daraus erhellt eine unermüdliche künstlerische Wachheit und Neugierde, die durch Erfolge nicht gestillt, vielmehr weiter genährt und geradezu aufgestachelt werden. Nur ungern fügt sich Strauss etwa der Weigerung Hofmannsthals, ihm einen prallen Stoff aus der italienischen Renaissance zum Libretto aufzubereiten. Sucht man nach einem griffigen und stimmigen Nenner für das Profil des Programmatikers, so bietet sich dafür vielleicht Verwandlung als Prinzip, Metamorphose als Lebensform an.

Der Pragmatiker

Was sich zunächst wie eine Reibungsfläche ausnimmt, bewährt sich bei Strauss als Synergie: Das Streben nach künstlerischem Gelingen findet im Bemühen um eine angemessene Resonanz und kommerziellen Ertrag seine folgerichtige Fortsetzung. Auch das Engagement des Künstlers in bühnenpraktischen Belangen zeigt verschiedene Gesichter: Als Vorkämpfer für das Tantiemenrecht ist er auch für Kollegen, sogar Konkurrenten altruistisch eingetreten. Als Entdecker der lange verkannten szenischen Qualitäten war er ein entscheidender Wegbereiter der heutigen Hochschätzung von Mozarts "Così fan tutte". Als Kenner und Liebhaber der menschlichen Stimme (und Ehemann einer Sopranistin) hat er das vokale Vermögen von Sängern ebenso gefördert wie gefordert: von der strapaziösen Seite der Medaille können geplagte Tenöre manch angestrengtes Lied singen. Das Baritonfach aber, mit dem sich Strauss immerhin im Selbstportrait als Kapellmeister Storch in "Intermezzo" identifizierte, hat in Rollen wie Jochanaan, Orest, Mandryka oder Jupiter exemplarische Aufwertung erfahren.

In diesen Tagen werden die Vorschläge für eine künftige Spielplangestaltung an Opernhäusern, die der greise Musiker dem Dirigenten Karl Böhm quasi als Testament überantwortet hat, diskutiert. Abgesehen vom dominanten Selbstwertgefühl als Leitprinzip muten heute einige Empfehlungen eher seltsam an. Die Geringschätzung des italienischen Repertoires zählt ebenso dazu wie die Ablehnung vertonter Weltliteratur vom Kaliber eines "Faust","Don Carlos" oder "Othello", die gerade beim gebildeten Publikum beträchtlichen Zuspruch findet.

In diesem Punkt stand der Programmatiker wohl dem Pragmatiker im Weg!

Die Selbsteinschätzung als "griechischer Germane" ist ein wörtliches Zitat, noch dazu die letzte Notiz des Komponisten in seinem Todesjahr, und hält der Überprüfung authentisch stand. Als junger Mann, nach schwerer Krankheit langwierig rekonvaleszent, hatte er das Land der Griechen mit der Seele gesucht und sich am Wanderstab erobert. Die Faszination dieses Erlebnisses dauerte ein Leben lang. Der Enkel Christian erinnert sich noch heute an das humanistische Erziehungsideal des Großvaters, für den altsprachliche Kenntnisse zur unabdingbaren Grundausrüstung reifen Menschentums zählte.

Der griechische Germane

Die Vorliebe für Stoffe aus dem hellenischen Sagenschatz durchzieht sein Opernwerk vom großen Wurf der "Elektra" bis zur "heiteren Mythologie" der späten "Liebe der Danae". "Ariadne auf Naxos", "Die ägyptische Helena" und "Daphne" bieten weitere Varianten und Nuancen dieser schöpferischen Anverwandlung. Sucht man nach Konstanten im Wechselspiel der Konstellationen und Schauplätze, so bieten sich etwa die gegensätzlichen Frauengestalten an. Da die erhabene, einsame Heroine (Elektra, Ariadne, Helena), dort die kompromissbereite (Chrysothemis), bisweilen kokette Gegenspielerin (Aithra, Zerbinetta): Aber beide Typen sind blutvolle Figuren, keine blassen Figurinen. Und nicht selten gelingt sogar eine Annäherung, die sich Hofmannsthals Prinzip der 'Allomatik', der reziproken Prägung handelnder Personen in Kunst und Leben, verdankt. So wendet sich die charakterfeste Ariadne zwar von den leichtfertigen Lebensdevisen und Liebesparolen Zerbinettas empört ab, um zum guten Ende selber der emotionalen Verwandlung durch den Befreier Bacchus zu erliegen. Das aber verleiht der frivolen Botschaft der Kontrastperson einen tieferen neuen Sinn: "Kommt der neue Gott gegangen, hingegeben sind wir stumm!"

| Der Autor ist Präsident d. Internationalen Richard-Strauss-Gesellschaft und schreibt an einem Buch über Richard Strauss |

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