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Mitterands neuer Anlauf

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Seit sich die Linke 1920 auf dem Kongreß in Tours gespalten hat, träumt der französische Sozialismus von einer ideologischen und organisatorischen Einheit. Durch Jahrzehnte wurde diesem Phantoi^ nachgejagt. Die Gegensätze zwischen der einem humanistischen Erbe des Volkstribunen Jaurės verbundenen sozialistischen Partei und der KPF waren zu beachtlich.

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Seit sich die Linke 1920 auf dem Kongreß in Tours gespalten hat, träumt der französische Sozialismus von einer ideologischen und organisatorischen Einheit. Durch Jahrzehnte wurde diesem Phantoi^ nachgejagt. Die Gegensätze zwischen der einem humanistischen Erbe des Volkstribunen Jaurės verbundenen sozialistischen Partei und der KPF waren zu beachtlich.

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Das Experiment der Volksfront 1936 wurde durch den heranwach- senden Faschismus erstickt. 1945/46 besaßen Sozialisten und Kommunisten in den konstituierenden gesetzgebenden Versammlungen die absolute Mehrheit. Aber es war der Regierungschef und Sozialist Ramadier, der 1947 die kommunistischen Minister seines Kabinetts zur Demission zwang. Seit diesem historischen Moment haben die Linksparteien nie mehr organisch zusammengearbeitet.

Mit dem Beginn der Fünften Republik war der Abstieg der politischen Parteien verbunden. Die Sozialisten nahmen am ersten Kabinett de Gaulles teil, um, wenig später in die Opposition zu gehen.

Die SFIO verier ihren soziologischen Unterbau. Obwohl sie sich stolz als Arbeiterpartei deklarierte, wurde sie in den letzten zehn Jahren die Heimstatt der kleinen staatlichen und städtischen Beamten. Sie konnte lediglich unter den Minenarbeitern Lothringens auf proletarischen Anhang rechnen. Die technische Intelligenz bekannte sich zu den Mehrheitsparteien, da wieder zu den „Unabhängigen Republikanern“ des gegenwärtigen Finanzministers.

Soweit sie Sozialrevolutionäre Neigungen kultivierten, füllten sie die Reihen der Splitterpartei PSU. Teile der katholischen Jugend, welche ebenfalls sozialistische Modelle ersehnten, hatten ihre Liebe zu den linksextremen Gruppen der Trotzkisten und Maoisten ent- entdeckt. Der Apparat der SFIO, zwei Jahrzehnte von Guy Mollet beherrscht, zeigte geringe Dynamik.

Zweimal wurde der Versuch gemacht, das politische Getto zu verlassen und eine Einheitsfront der nichtkommunistischen Linken zu bilden. 1963/64 wallte der Bürgermeister von Marseille, Gaston Defferre, ein scharfprofilierter Rechtssozialist, die SFIO mit den Resten des MRP und der Radikalsozialisten in einer Partei verschmelzen. Als Beispiel diente ihm die englische Arbeiterpartei. Dieser Versuch einer „großen

Konföderation“ scheiterte, im wesentlichen an der Ablehnung dss noch immer antiklerikal eingestellten sozialistischen Funktionärskorps, das staatliche Subventionen an die freien katholischen Schulen strikt ablehnte. Ein zweites Mal wagte der oftmalige Minister der Vierten Republik, Franęois Mitterand, die linken Parteien und Gruppen in der „demokratischen und sozialistischen Föderation“ zu versammeln.

Der französische Sozialismus versumpfte in den letzten Regierungsjahren de Gau lies, spaltete sich in Gruppen und Grüppchen, die einem politischen Masochismus verfielen. In der SFIO wurde Mollet durch den Theoretiker Savary ersetzt, der die ideologischen Diskussionen mit den

Kommunisten wieder aufnahm und die Bildung einer umfassenden Arbeiterpartei prophezeite. Der Herr des Partei apparates blieb aber nach wie vor Mollet, der wenig geneigt war, seiner Partei ein Harakiri anzuempfehlen. Mitterand stieß in der sozialistischen Partei auf frostige Ablehnung. Gegensätze zu Mollet wurden ohne Gnade öffentlich aus- getragen. Die politische Plattform des in keiner Fraktion eingeschriebenen Abgeordneten des Wahlkreises Niėvre war die Konvention der politischen Klulhs.

Viel songlältiger als alle Vorgänger wurde der Saimmelkongreß vorbereitet, der vom 11. bis 13. Juni in Epi- nay stattfand. Zum erstenmal erörterten die Vertreter der sozialistischen Partei, die Repräsentanten der Klubs, die Männer der linkskatholischen Verbände „objektiv 72“ und „Das neue Leben“ sowie einzelne Chefs der früheren christlichen Gewerkschaft CFDT, die Bildung einer neuen sozialistischen Partei. Es kam zu heftigen Richtungskämpfen. Rechts behauptete sich souverän Defferre, unterstützt von der politischen Hoffnung der SFIO, dem ersten Sekretär der zahlenmäßig stärksten Nordföderation, Pierre Mauroy. In der Mitte glaubten Mollet und Savary, durch das Gewicht des Parteiapparates, den Kongreß zu beherrschen. Am linken Flügel agierten die extrem eingestellte Pariser sozialistische Studiengruppe CERES und der Abgeordnete der Hauptstadt, Poperen. CERES und Poperen fordern eine bedingungslose Zusammenarbeit mit der KP.

Jetzt Einigkeit?

Der Sieger von Epinay heißt Franęois Mitterand, der einen persönlichen Triumph feierte und seinen alten Gegnern Savary und Mollet eine schmerzliche Niederlage bereitete. Mitterand führt die Mehrheit im Direktionskomitee der neuen sozialistischen Partei. (Das Wort „neu“ erscheint allerdings nicht im Firmenschild.) Unter den 81 Mitgliedern zählt Mitterand 43 Anhänger, während Savary-Mollet sich mit 38 zufriedengeben müssen. Im politischen Büro ist die Minderheit von Epinay überhaupt nicht vertreten. Es wird ausschließlich von Parteigängern Mitterands und Defferres gelenkt. Franęois Mitterand amtiert nun als erster Sekretär der sozialistischen französischen Partei. Nachdem Servan-Schreiber die Macht bei den Radikalsozialisten antrat, hat die zweite geschichtlich gewachsene politische Formation der Linken grundsätzlich bessere Strukturen und eine verjüngte Spitze bekommen.

Der erste Sekretär wird die Tore weit aufmachen, um die technische Intelligenz und die Vertreter der christlichen Jugend- und Gewerk- schaftsorgandsationen anzulocken. Sein eingestandenes Hauptziel ist es jedoch, die Beziehungen zur KPF in normale Bahnen zu leiten.

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