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Sieg ohne Wert

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Etwas überspitzt formuliert, kann man sagen, daß aus den dänischen Parlamentswahlen vom 9. Jänner 1975 nur Verlierer, aber keine Sieger hervorgegangen sind. Wohl konnte der Venstre-Politiker Poul Härtling zu seinen früheren 22 Mandaten 20 neue hinzugewinnen, aber der Erfolg blieb weit hinter den Voraussagen der Meinungsforscher zurück und das Ziel Härtlings, eine tragfähige bürgerliche Mehrheit im Parlament zu schaffen, ist nicht erreicht worden. Die Sozialdemokraten konnten ihre Stellung als stärkste Partei befestigen, aber von den 24 im Dezember 1973 verlorenen Mandaten konnten sie nur sieben zurückerobern, und von einer Linksmehrheit im Folke- ting sind die vier Arbeiterparteien weiter entfernt als jemals in den letzten fünfzig Jahren. Neuerliche schwere Verluste mußten die Sozial- liberalen und die Konservativen hinnehmen, die bis zu den vorletzten Wahlen noch über 59 Mandate verfügten, und jetzt gerade noch 23 retten konnten. Zu den Verlierern muß auch die parlamentarische Demokratie als solche gerechnet werden, denn diese wohl unnötigste außerordentliche Wahl seit vielen Jahrzehnten hat die herrschende Zersplitterung und Verwirrung nur noch verstärkt und keines der großen wirtschaftlichen und politischen Probleme Dänemarks der Lösung auch nur um einen Schritt näher gebracht.

Nach wie vor beunruhigend ist auch die große Beweglichkeit — und das heißt wohl Unsicherheit — der dänischen Wählerschaft. Im Dezember 1973 strömten über 700.000 Wähler in das Lager der eben gegründeten Glistrup-Partei und der Zentrumsdemokraten, nun wurde die letztgenannte Partei nahezu aufgerieben, und Härtlings Venstre kann ein Heer von 700.000 Wählern mustern. Glistrups halbnihilistische Gruppe im Folketing aber ist — zur Verwunderung oder Bestürzung aller Beobachter — immer noch 24 Mann stark. Der Erfolg Härtlings wird auf sein persönliches Ansehen und sein Image als „starker Mann” zurückgeführt, doch war es wirklich sein Ziel, nur Mandate zu gewinnen? Kommt es nicht auch immer darauf an, was man mit der neugewonnenen Macht anfängt? Der Wählerzustrom zur „Venstre” erfolgte sicher nicht deshalb, weil hunderttausende Wähler plötzlich von der Vortrefflichkeit dieser ehemaligen Landvolkspartei überzeugt waren, sondern aus Furcht vor einer drohenden wirtschaftlichen Katastrophe. Wird Dänemark nun diese neue Wirtschaftspolitik bekommen, deren Notwendigkeit sich jedem Dänen aufdrängt?

„Poul Härtling sollte sich verpflichtet fühlen, die Initiative zu einer Zusammenfassung aller Kräfte zu ergreifen, die die Voraussetzung für die Durchführung einer vertretbaren Einkommenspolitik ist”, schrieb die angesehene Zeitung „Berlingske Tidende”. „Benützt aber Härtling seinen Wahlerfolg nicht zu dieser Kraftanstrengung, dann war sein Wahlsieg nichts wert!”

Eines der entmutigendsten Teilresultate: Jener Parteiführer, der sich ständig und am entschiedensten für einen Zusammenschluß aller demokratischen Kräfte zur Lösung der wirtschaftlichen Schwierigkeiten Dänemarks einsetzte, Hilmar Bauns- gaard von den Sozialliberalen, mußte von seinen 20 Mandaten, die ihm nach der Wahlniederlage vom Dezember 1973 verblieben waren, noch einmal sieben abgeben.

Die erste Erklärung Härtlings nach der Wahl flößte den Fürsprechern einer breiten parlamentarischen Zusammenarbeit keine Hoffnungen auf eine Wandlung in den Reihen der „Venstre” ein. Härtling erklärte rundheraus, daß er an einen Rücktritt noch gar nicht gedacht habe und erst einmal mit den Vertretern der übrigen neun im Folketing vertretenen Parteien sprechen werde. Aus früheren Erklärungen weiß man, daß Härtling für eine Zusammenarbeit mit dem Führer der Arbeiterpartei, Anker Jörgensen, nichts übrig hat. Jörgensen steht ihm „zu weit links von der Mitte”. Spätestens am 23. Jänner wird jedoch dieser so standfeste Regierungschef gezwungen sein, dem Folketing ein Regierungsprogramm und seinen Plan für die Krisenlösung vorzulegen. Hat er sich bis dorthin mit den Sozialdemokraten nicht geeinigt, dann kann er eine Abstimmung nur mit Hilfe der Glistrup-Partei überleben — eine Schützenhilfe, die jeder Führer der etablierten alten Parteien wie die Pest scheut.

Die Sozialdemokraten bestehen zur Stunde noch darauf, daß eine Zusammenarbeit im Rahmen einer Koalitionsregierung nur unter der Führung ihres Parteivorsitzenden, Anker Jörgensen, erfolgen könne. Nach den Spielregeln der Demokratie haben sie zweifellog das Recht, dies zu fordern, denn die Arbeiterpartei hat gegenüber der Venstre immerhin einen Vorsprung von elf Mandaten. Doch auch die Sozialdemokraten können keine Begeisterung für eine Zusammenarbeit mit der Venstre auf bringen; zu robust waren die Methoden, mit denen diese Neuwahlen erzwungen und dann der Wahlkampf geführt wurde. Gibt es doch tatsächlich eine Anzeige gegen Härtling wegen „politischen Betrugs”, die jetzt von der Kriminalpolizei in Kopenhagen behandelt wird.

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