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Härtlings Kollision

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Ein totaler Lohn- und Preisstopp bis zum Ende des Jahres 1975, Gewerkschaftsverzicht auf Verhandlungen mit den Untemehmerorgani- sationen, Verzicht auf mindestens drei „Teuerungsportionen“ (das sind Lohnerhöhungen, die automatisch bei einer gewissen Erhöhung des Preisindex erfolgen), an ihrer Stelle eine Barentschädigung von 100 Dänenkronen für alle Lohnempfänger pro Monat, die Nichtbeachtung von Preiserhöhungen für Lebensmittel, die von der EG in Brüssel beschlossen werden sollten (und damit die Distanzierung Dänemarks von einem wichtigen Sektor der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft, jenem der Landwirtschaft), verbesserte Abschreibungsmöglichkeiten für die Unternehmen, um deren Investitionslust anzuregen — das waren die wichtigsten Punkte im Krisenprogramm der dänischen Minderheitsregierung Härtling,

deren Annahme in nahezu ultimativer Form verlangt wurde. Eine klare Mehrheit des Parlamentes widersetzte sich der Regierungsforderung. Härtling antwortete mit der Ankündigung von Neuwahlen, auf die er — allem Anscheine nach — zielbewußt hingearbeitet hatte, ohne Rücksicht darauf, wie sich das Parlament zu seinem Krisenprogramm stellen würde.

An Stelle einer Zusammenarbeit über alle Partei- und Klassengrenzen hinweg, die Dänemark so dringend brauchen würde, kommt also ein neuer zermürbender Wahlkampf auf das dänische Volk zu, und dies, obwohl dieses Volk in allen Mei nungsbefragungen dieses Jahres unmißverständlich kundgetan hat, wie wenig Vertrauen es heute den etablierten Parteien und ihren führenden Personen entgegenbringt und wie wenig es ihnen an Willen und Kraft zutraut, mit den überall sich auftürmenden Problemen fertig zu werden.

Neuwahlen scheinen der Regierung der einzige Ausweg aus einer total verfahrenen Situation zu sein, ging man ja soweit, von den Gewerkschaften sogar den Verzicht auf irgendwelche Verhandlungen zu verlangen. Unter diesen Umständen setzt auch die Gewerkschaftsführung dem Wunsch der Regierung nach Neuwahlen keinen Widerstand entgegen, obwohl man weiß, daß die sozialdemokratische Arbeiterpartei sich von ihrer schweren Wahlniederlage des Vorjahres noch nicht erholt hat.

Die parlamentarische Unterlage der Regierung der Venstre — einer vorwiegend auf die Interessen der Landwirtschaft hin orientierten Partei — ist außerordentlich schwach. Bei den Wahlen vom 4. Dezember 1973 erhielt diese Partei nur 12,3 Prozent der abgegebenen Stimmen und 22 von den 175 Mandaten, 8 weniger als sie früher besessen hatte. Da die schwer angeschlagene Arbeiterpartei sogar einen Verlust von 24 Mandaten zu verzeichnen hatte und unter dem Schock dieser Wahlniederlage nicht den Mut aufbrachte, noch einmal eine Minderheitsregierung zu bilden, kam es schließlich zur Bildung der Regierung Härtling, die sich seit ihrer

Konstituierung im Jänner dieses Jahres auf wechselnde Mehrheiter stützte. Härtling gelang es immerhin, sich fast ein Jahr lang im Satte] zu halten und auch bei der Wählerschaft etwas ąn Boden zu gewinnen beim Umgang mit den Gewerk schaften hatte er dagegen eine sehr unglückliche Hand.

Nun hat es in Dänemark auch schon früher Krisenprogramme gegeben, sie sind aber immer zumindest nach vorangegangener Konsultierung der Gewerkschaften vorgelegt worden, was noch lange nicht bedeutete, daß diese den verschiedenen Sanierungsplänen auch immer zugestimmt hätten. Härtling aber verzichtete auf so gut wie alle Verhandlungen und zog es vor, einen scharfen Kollisionskurs einzuschlagen. Die für seine Partei recht ermunternden Wählerbefragungen mögen zu dieser kompromißlosen Haltung beigetragen haben. Es machte anscheinend auch wenig Eindruck auf diesen recht eigenwilligen Politiker, daß es wenige Tage vor der Vorlage des Krisenprogrammes zur größten regierungsfeindlichen Demonstration im Dänemark der Nachkriegszeit kam, vor Christiansborg, dem Sitz der Regierung in Kopenhagen. Auch die dort erhobene Forderung nach einem Rücktritt der Regierung beeindruckte ihn wenig. Kompromißloses Pflichtbewußtsein sagen die einen, Halsstarrigkeit sagen die anderen.

Die drei Linksparteien, die „Radikale Venstre“ (etwas links von der eigentlichen „Venstre") können mit Unterstützung einiger Abgeordneter der Zentrumsdemokraten und der Fortschrittspartei Glistrups der Regierung jederzeit eine parlamentarische Niederlage bereiten. Härtling zog unter diesen Umständen eine Neuwahl vor, deren Zeitpunkt er selbst bestimmen konnte, und zwar unbesehen aller Abstimmungsergebnisse im Folketing. Nun wird es in der ersten Hälfte des Monats Jänner zu diesem Wahlgang kommen, die Frage ist nur, ob nach einer Wahl im Zeichen der totalen Verwirrung und Uneinigkeit die Probleme Dänemarks leichter gelöst werden können als vorher. Man könnte dies mit gutem Grund bezweifeln.

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