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Bittere Krisenmedizin

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Eine dänische Durchschnittsfamilie wird gezwungen sein, in den nächsten zwei Jahren ihren Verbrauch um etwa 8000 Dänenkronen = 24.000 Schilling, zu vermindern. Das ist das Resultat der Krisenmaßnahmen, die vom dänischen Parlament in den frühen Morgenstunden des 20. August mit einer Mehrheit von nur vier Stimmen angenommen wurde. Für die Durchführung des Krisenplanes stimmten außer den Sozialdemokraten die Sozialliberalen, die Christliche Volkspartei und die Zentrumsdemokraten, denen sich, nach zähen Verhandlungen, auch die neun Konservativen anschlössen. Ge-den den Plan — und damit auch gegen die Regierung und eine breite Zusammenarbeit — stimmten die Liberalen und die Fortschrittspartei sowie die beiden kleinen linkssozialistischen Parlamentsgruppen. Als ein todmüder Staatsminister Anker Jörgensen um vier Uhr morgens in das Bett fiel, konnte er nur feststellen, daß seine Regierung gerade noch einmal davongekommen war!

Die Verschuldung Dänemarks an an das Ausland erreichte zu Beginn dieses Jahres den schwindelnd hohen Betrag von 30 Milliarden Kronen = 90 Milliarden Schilling. In den ersten Monaten des Jahres hat man weitere 7 Milliarden Kronen im Ausland aufgenommen — mit schöner Regelmäßigkeit also eine Milliarde Kronen monatlich! Trotzdem war am 31. Juli die Valutareserve des Landes um 600 Millionen geringer als zu Beginn des Jahres. Trotz vieler Versuche, die Verbrauchfreudigkeit der Dänen einzuschränken, bezieht man Monat für Monat mehr, als man sich eigentlich leisten kann. Allein der Juli brachte — im Vergleich zum gleichen Monat des Vorjahres — eine Einfuhrsteigerung um 29,4 Prozent. Ebenso wie Großbritannien kommt auch Dänemark nicht darüber hinweg, durch einige Jahre unter dem bisher gewohnten Standard leben zu müssen.

Es erscheint dabei unmöglich, den riesigen Schuldenberg durch Einsparungen und Verbrauchseinschränkungen allein abtragen zu wollen. Der Preis wäre eine rekordhohe Arbeitslosigkeit bis zum Ende dieses Jahrhunderts. Schon jetzt hat man mehr als 100.000 Arbeitslose, und diese Zahl stieg in den letzten zwei Monaten von neuem an. Es braucht eine Vielzahl von Maßnahmen, um den verfahrenen Karren wieder in das richtige Geleis zu bringen, und Maßnahmen dieser Art sind in Dänemark weniger beliebt, als in irgendeinem anderen Land.

Es gereicht der Regierung Jörgensen zur Ehre, daß sie dem dänischen Volk keinen blauen Dunst vormacht und ihm — gegen den Willen der Gewerkschaften und eines großen Teiles der eigenen Anhängerschaft! — diese bittere Krisenmedizin verordnete. Ohne die Unterstützung einiger Parteien der bürgerlichen Opposition wäre das allerdings nicht möglich gewesen. Es sind zweifellos schwere Stunden für einen sozialdemokratischen Regierungschef, wenn während seiner Rede für den Krisenplan außerhalb des Parlamentes 15.000 Arbeiter gegen diesen Plan demonstrieren und 50.000 weitere im ganzen Land die Arbeit nie-

derlegen. Das ist ein schlimmer Beginn der Sanierungsperiode.

Der Plan sieht in der Hauptsache für die nächsten zwei Jahre eine Begrenzung der Lohnerhöhungen auf sechs Prozent vor, in denen auch die zwei erwarteten Teuerungszulagen enthalten sind. Zur Verhandlung stehen also nur zwei Prozent der Lohnsumme — gegenüber 12 bis 15 Prozent in den letzten Jahren. Die Gewerkschaften fordern mindestens drei bis vier Prozent. Weiter sollen die öffentlichen Ausgaben im kommenden Jahr um zwei Milliarden und 1978 um drei Milliarden Kronen verringert werden. Der Kri-senplan besteht aus insgesamt 17 Punkten. Sein Schwergewicht liegt auf der Verminderung des Verbrauches und der Erhöhung der Konkurrenzfähigkeit der Exportindustrie. Zusammengenommen soll erreicht werden, das Defizit in der Zahlungsbilanz auf etwa sechs Mil-

liarden Kronen jährlich zu verringern. Gleichzeitg hofft man in Regierungskreisen aber auch auf eine Verminderung der Inflationsrate von 15 auf sechs bis sieben Prozent, eine reichlich optimistische Annahme, wie es scheint.

Gegen den Krisenplan protestierten nun Tag für Tag tausende Arbeiter durch Arbeitsniederlegungen. Ihnen kommt der Umstand zunutze, daß man jetzt — ohne gesetzliche Folgen befürchten zu müssen — einen 48 Stunden währenden Konflikt riskieren kann. Doch es ist schwer zu erkennen, was durch diese vielen wilden Aktionen gewonnen werden kann.

Der wunde Punkt ist, daß auch dieser so hart umkämpfte Krisenplan sich als ebenso unzureichend erweisen kann wie alle seine Vorgänger. Es ist keine Kunst, vorauszusagen, daß auch in zwei Jahren die großen wirtschaftlichen und politischen Probleme Dänemarks nicht gelöst sein werden. Das Versprechen für eine enge krisenbekämpfende Zusammenarbeit, das sich fünf dänische Parteien gegeben haben, bleibt so das positivste Ergebnis dieser heißen Augustwochen in Dänemark.

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