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Dünnes Seil

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Der ehemals so ruhige und stabil erscheinende europäische Norden ist heute alles andere als eine beschauliche Insel in einem von politischen Gegensätzen zerwühlten und von wirtschaftlichen Sorgen geplagten Europa. „Es gibt keine Inseln mehr!“ — dieses berühmt-berüchtigte Wort aus den Tagen des Zweiten Weltkrieges findet nun auch tagtäglich in diesem Teil der Welt seine Bestätigung.

Das Fortbestehen der dänischen Regierung Poul Hartling hängt an einem dünnen Faden. Wohl konnte vor einigen Tagen Hartling mit Hilfe der Zentrumsdemokraten Erhard Jakobsens noch einmal jene Vertrauenserklärung des Parlaments erhalten, ohne die er nicht weiterregieren wollte, doch die Berichte über plötzlich aufflammende Regierungskrisen gehören jetzt in Dänemark zur täglichen Lektüre der Zeitungsleser und es ist keineswegs sicher, ob Hartling noch im Sattel sitzt, wenn dieser Bericht in Druck geht. Allzuviel mutet er in seinem „Sanierungspaket“ der Einsicht seiner dänischen Mitbürger zu.

Er verlangt eine Erhöhung der Abgaben für alkoholische Getränke und für das für viele Dänen so unentbehrliche Bier, eine Verteuerung des Tabaks und der Zigaretten, eine neue Abgabe für Haushaltsmaschinen und Apparate, eine besondere Registrierabgabe für Motorfahrzeuge, die den Preis für Autos um 20 bis 25 Prozent in die Höhe treiben würde, eine besondere Abgabe für Radio-und Fernsehapparate, Bandaufnahmegeräte und eine 25prozentige Steuer auf „Luxusboote“,

Das ist noch nicht alles: die Regierung denkt auch an eine Erhöhung der Mehrwertsteuer von 15 auf 20 Prozent, an eine Erhöhung der Energiesteuer und an eine Beseitigung des Rechtes, Schuldzinsen bis zu einem Betrage von 4000 Kronen vom Einkommen abzuziehen. Ist es ein Wunder, daß beim Bekanntwerden dieses Planes 25.000 Demonstranten vor das Parlament zogen?

Und wenn von Seite der OECD Kopenhagen davor gewarnt wird, dem italienischen Beispiel zu folgen und in der harten Drosselung der Importe das Allheilmittel für alle Sorgen zu sehen?

Die Abgabenerhöhungen sollen der dänischen Staatskasse 6,5 Milliarden Kronen zusätzlich einbringen, öffentliche Sparmaßnahmen weitere 5,6 Milliarden, aber diese etwa zwölf Milliarden sollen zum größten Teil für eine Herabsetzung der Einkommensteuer der mittleren Lohnklassen verwendet werden.

Handelsminister Nyboe-Andersen erklärte, daß eine Auslandsverschuldung von 24 Milliarden Kronen für ein so kleines Land wie Dänemark eine fast untragbare Last darstelle. Diese Verschuldung hat sich seit Jahresbeginn pro Tag um 20 Millionen erhöht und erhöht sich weiter. Die Gefahr besteht — so Finanzminister Anders Andersen —, daß Dänemark zum „Schwarzen Peter“ auf dem europäischen Geldmarkt wird, der keine Chance mehr hat, mit so großen Schuldnerländern wie Italien und Großbritannien um neue Anleihen konkurrieren zu können.

Während also die dänische Regierung noch auf einem dünnen Seil balanciert, ist das Schicksal der Regierung Islands bereits besiegelt. Die seit 1971 bestehende Koalitionsregierung besitzt nach dem Ausscheiden der kleinen „Liberalen Venstre“ nicht mehr die Kraft, mit den sich auftürmenden Schwierigkeiten fertig zu werden. Im Mittelpunkt steht auch hier die wirtschaftliche Krise.

Der langdauernde Fischereikrieg gegen Großbritannien und die Vulkankatastrophe auf den Vestmanna-Inseln haben dem kleinen Land schwerere Lasten aufgebürdet als es zu tragen vermag. Vom März 1973 bis zum März 1974 erhöhten sich die Verbraucherpreise um 33 Prozent. Die eben abgeschlossenen Lohnverhandlungen brachten Lohnerhöhungen zwischen 26 und 35 Prozent. Die steigenden ölpreise brachten das Maß der Sorgen zum Uberlaufen. Und gleichzeitig sinken die Preise für die Fische, wie so oft im Frühsommer. Island hatte einige Jahre lang eine Entwicklung zum Wohlstandsstaat aufzuweisen, die an Intensität alle Erwartungen übertraf, doch dann kamen die schweren Rückschläge. Für dieses Jahr befürchtet man eine Beschleunigung der Inflation auf 40 bis 60 Prozent. In dieser Situation mußte auch hier die aus Sozialdemokraten, Kommunisten und Liberalen bestehende Regierung Opfer auch von den Arbeitern und von den Gewerkschaften verlangen, wogegen sich diese zur Wehr setzen.

Und zu allem Überfluß melden amerikanische Beobachtungsflugzeuge Anzeichen neuer Vulkanausbrü.-che westlich von Reykjanes. Die Reihe der Erschütterungen reißt nicht ab. ,

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