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Auftrieb lür die Bürgerlichen

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Eine Untersuchung des schwedischen Fernsehens über die Stimmung in der Wählerschaft, noch während der Streikwochen vorgenommen, ergab für die Regierung Palme ein niederschmetterndes Resultat. Nachdem im September 1968 50,1 Prozent sozialdemokratisch gewählt hatten und im September des Vorjahres 45,3 Prozent, erklärten nun knapp 37 Prozent aller Befragten, sich für Olof Palme und seine Partei entscheiden zu wollen. Es ist die niedrigste Zahl von Sympathisierenden, die Schwedens Arbeiterpartei seit Beginn ihrer Regierungstätigkeit jemals verzeichnet hat.

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Eine Untersuchung des schwedischen Fernsehens über die Stimmung in der Wählerschaft, noch während der Streikwochen vorgenommen, ergab für die Regierung Palme ein niederschmetterndes Resultat. Nachdem im September 1968 50,1 Prozent sozialdemokratisch gewählt hatten und im September des Vorjahres 45,3 Prozent, erklärten nun knapp 37 Prozent aller Befragten, sich für Olof Palme und seine Partei entscheiden zu wollen. Es ist die niedrigste Zahl von Sympathisierenden, die Schwedens Arbeiterpartei seit Beginn ihrer Regierungstätigkeit jemals verzeichnet hat.

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Sollte dieses Ergebnis jemals in einer Parlamentswahl zum Ausdruck kommen, würden die Parteien der bürgerlichen Opposition 191 Mandate erhalten gegenüber 159 Mandaten für die beiden Arbeiterparteien.

Es wäre zu einfach, diesen Rückschlag auf die Streiks und Aussperrungen zuTÜckzuführen, diese waren Endstation einer Entwicklung seit Jahrzehnten, einer Tendenz, die das eigene Wohlergehen über alle anderen Verpflichtungen stellt. Die Streiks waren Wamungszeichen, die emstgenommen werden und zu einer Überprüfung auch der Regierungspolitik führen müssen. Sie halben gezeigt, daß Einkommenserhöhungen, Arbeitszeitverkürzungen und andere Verbesserungen der Anstellungsbedingungen keineswegs automatisch ein größeres Maß an Verantwortungsbewußtsein gegenüber dem Staate und schlechtergestellten Schichten nach sich ziehen. Die Tageszeitung „Dagens Nyheter”, die während des Beamtenstreiks diie Regierung außerordentlich scharf und weit über das in Schweden bisher übliche Maß angegriffen hat, schrieb nachher in einem großen Artikel: „Die Regierung führte in den sechziger Jahren eine allzu schlaffe Finanzpolitik mit einer allzu schnellen Expansion im öffentlichen Sektor. Die harte Wirklichkeit aber verlangt nun eine industrielle Expansion im .großen Umfang, um das Gleichgewicht dm Außenhandel wieder herstellen zu können. Billigerweise muß dies Lohnerhöhungen und eine Verbesserung der Arbeitsbedingungen für die Industriearbeiter mit sich bringen!”

Dazu kommen noch eine sehr harte Steuerpolitik und ständig sich erhöhende Forderungen der Gemeinden. Ein verheirateter Arbeiter zahlte 1970 an staatlichen und kommunalen Steuern, die Abgaben für Volkspension und Krankenversicherung inbegriffen, bei einem Einkommen von 20.000 Kronen 5065 Kranen, ein Beamter mit einem Einkommen von 40.000 Kronen zahlte 14.935 Kronen. Für das laufende Jahr wird sich dieser Betrag um 1800 Kranen vermindern, dafür werden die Kommu- nalsteuem in den meisten Fällen um 5 bis 10 Prozent steigen, so daß praktisch dasselbe herauskommt.

Ist diese Belastung schwer genug — und der Finanzminister hat sie bereits vor zwei Jahren als die höchstzulässige bezeichnet! —, so mußte die am 1. Jänner eingetretene Erhöhung der Verbrauchersteuem von 11,1 auf 17,5 Prozent des Endpreises alle kleineren und mittleren Einkommensträger schwer treffen. Eine Steuererhöhung dieses Umfanges, die nach Preissteigerungen um 8,1 Prozent im Vorjahr erfolgte, mußte auch den geduldigsten Staatsbürger zur Rebellion treiben. Es muß dabei noch in Rechnung gestellt werden, daß sich die Preise für die Lebensmittel und andere unentbehrliche Güter weit rascher erhöht haben als jene für entbehrliche Güter oder .die reine Luxuskonsumation.

In dieser Entwicklung ist ein ausgesprochen unsozialer Zug erkennbar, der die Regierung belasten muß, denn niemand hätte sie daran gehindert, eine Anzahl der wichtigsten Lebensmittel, wie etwa Brot, Butter, Milch und Fleisch, von der hohen Umsatzsteuer zu befreien. Ein guter Teil des Vertrauensverlustes, den die Regierung Palme erlitten hat, ist zweifellos auf eine verfehlte Steuer- und Finanzpolitik zurückzuführen. Und wenn man sich dann noch mit dem Gedanken trägt, die Preise für die Wohnungsmieten freizugeben — was für Zentausende Menschen eine Katastrophe bedeuten würde — kann man die Zukunft dieser Regierung nur in düsteren Farben sehen. Darüber darf nicht übersehen werden, daß auch die Parteien der bürgerlichen Opposition — die Zentrumspartei möglicherweise ausgenommen — ihren Teil Schuld an dieser Entwicklung haben. Die Entstehung der hohen Einkommens- klüfte list, nicht ohne ihre Mitwirkung erfolgte, und sie haben allen wesentlichen Steuererhöhungen zugestimmt. Die nun vielbesprochene Ausbildungsexplosion ist ihnen oft noch zu langsam gegangen. Ein Land, das nur von seinen industriellen Exporten lebt, braucht jedoch auch Arbeiter, deren Arbeits- und Angestelltenbedingungen man nun zuerst verbessern muß, bevor man an eine Verbesserung .der Einkommen hoher Beamtenschichten denken kann. Wenn die politische Opposition das erkennt, hat sie große Möglichkeiten, nach der nächsten Parlamentswahl an die Macht zu kommen.

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