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Eher Freundliches für Bonn

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Es kann ohne Übertreibung gesagt werden, daß das Verhältnis der nordischen Staaten zu Deutschland und zur deutschen Frage 1970 eine tiefgreifende Änderung durchgemacht hat. Es begann mit der Ablösung der Regierung Kiestager durch die Regierung Brandt-Scheel, die Wandlung wurde beschleunigt durch den Besuch von Bundespräsident Heinemann im Norden und wurde deutlich erkennbar nach dem Anlaufen der neuen deutschen Ostpolitik.

Wenn man der deutschen Frage heute im Norden ein größeres Interesse entgegenbringt als zur Zeit Adenauers und Kiesingers, ist dies keineswegs darauf zurückzuführen, daß man sich den nun in Bonn regierenden Politikern enger verbunden fühlt. Aber man erwartet sich von der nun eingeschlagenen deut schen Ostpolitik eher als von der früher geübten eine Entspannung in Europa und damit auch eine Verstärkung der eigenen Sicherheit Es ist auch durchaus nicht so, daß alles, was Bonn tut, im Norden heile Begeisterung auslösen würde. So sehr man den deutschen Bemühungen, im Verhältnis zu den osteuropäischen Ländern zu einer Entspannung zu kommen, Beifall spendet, so mißtrauisch beobachtet man die Bemühungen des deutschen Verteidigungsministers, die NATO-Staaten zu einer Verstärkung ihrer Rüstung zu veranlassen, um dadurch die Rüstungslasten der USA in Europa etwas zu erleichtern. Wo soll die freiwerdende amerikanische Kapazität eingesetzt werden, fragt man in den nordischen Hauptstädten, die fast jede Woche Demonstrationen gegen den Krieg in Vietnam erleben.

Man erinnert sich auch daran, daß Willy Brandt schon vor Jahren auf einem Kongreß der sozialdemokratischen Parteien in Stockholm — zweifellos eine sehr ungeeignete Stelle! — zu einer Stärkung der NATO auf gefordert hat.

In den nordischen Ländern ist allgemein bekannt, daß die Vertreterin der schwedischen Regierung bei der Abrüstungskonferenz in Genf, die international bekannte Alva Myrdal, seit Jahr und Tag Vorschläge macht, die denen des westdeutschen Verteidigungsministers in Brüssel entgegengesetzt sind. Niemand kann von dieser Verschiedenheit der Auffassungen absehen, wenn es sich um eine so eminent wichtige Frage wie Abrüstung oder weitere Aufrüstung handelt.

Als wesentlicher Zug der Entwicklung ist aber dennoch ein größeres Vertrauen in die Ehrlichkeit der deutschen Bemühungen, zu einer Entspannung in Europa zu kommen, zu vermerken. Die wirtschaftlichen Beziehungen zur Bundesrepublik sind stärker als je zuvor, die skandinavischen Länder gehören zu den besten und treuesten Kunden der BRD.

Der Handel mit dem Norden bringt Westdeutschland einen weit größeren Devisenüberschuß als der Handel mit Ländern, mit denen Bonn politisch weit enger verbündet ist. Doch man glaubt im Norden — und sicher gilt diese Feststellung auch für die anderen zwei neutralen EFTA-Staaten —, daß man diesen Umstand in Bonn mitunter zu wenig beachtet. Der Handel mit den drei neutralen EFTA-Staaten Schweden, Österreich und Schweiz ebenso wie der deutsche Handel mit den anderen nordischen Ländern, Dänemark, Norwegen und Finnland, ist hoch aktiv. Eine stärkere Beachtung dieses Verhältnisses durch Bonn würde das

Ansehen der Bundesrepublik im Norden noch weiter verbessern. Alle nordischen Länder, auch jene, die Mitglied der NATO sind, haben in der Frage der europäischen Sicherheit eine etwas andere Auffassung als Bonn, man kann sich des neu erworbenen Vertrauens freuen, doch man kann, rascher als man denkt, dieses Vertrauen auch wieder verlieren. Die deutsche Militärpolitik wird nun einmal weit schärfer beobachtet als die anderer Staaten.

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