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Wieder „Handelskriege“?

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Als die Folgen des arabischen Erdöl-Embargos und später der exorbitanten Erhöhung des ölpreises auf die internationalen Handelsbeziehungen im allgemeinen und die Zahlungsbilanzen der Industriestaaten dim besonderen immer deutlicher wurden, meinte Frangois-Xavier Ortoli, Präsident der Kommission der Europäischen Gemeinschaft, in einem bitteren Statement: „Von außen wird auf die EG ein brutaler Druck ausgeübt. Die Folgen dieses Drucks sind nicht für alle Mitgliedstaaten die gleichen. Und daher ist es erklärlich, daß die Partneristaaten unterschiedlich reagieren. Aber wenn sich die Europäer heute auseinanderdividie-ren lassen, dann werfen sie alles über Bord, was sie in den letzten 20 Jahren erreicht haben.“

Diese und andere Warnungen sind in den Wind geschlagen worden: Italien als vorläufig erstes Land der Europäischen Gemeinschaft hat eine radikale Importbeschränkung durch die Einführung eines Bardepots verfügt.

Tatsächlich ist die Situation der italienischen Wirtschaft besorgniserregend: 1973 stieg wohl auch wegen eines Preisstopps der Verbraucherpreisindex um 12 Prozent, die Geldmenge wuchs um 21(!) Prozent. In diesem Jahr rechnet man in Italien mit einem Defizit der Zahlungsbilanz in Höhe von rund 150 Mrd. Schilling und mit einer Inflationsrate von annähernd 15 Prozent. Italien tappt von einer Regierungskrise in die andere, die Parteien haben abgewirtschaftet, Streiks lösen einander ab. Darüber hinaus hat Italien fast alle internationalen Kreditmöglichkeiten ausgeschöpft: Anfang März bekam es vom Internationalen Währungsfonds einen Kredit in Höhe von 20 Mrd. Schilling, Anfang Mai erhielt es einen kurzfristigen EG-Beistandskredit in Höhe von rund 30 Mrd. Schilling.

Um die Tragweite des italienischen Schrittes voll zu erfassen, ist es notwendig, sich an den Kern des EWG-Vertrages (Artikel 9) zu erinnern. Dort heißt es, daß „die Grundlage der Gemeinschaft eine Zollunion ist, die sich auf den gesamten Warenabtausch erstreckt“.

Die italienische Regierung berief sich bei der Bekanntgabe ihrer drakonischen Maßnahmen auf den Artikel 109 des EWG-Vertrages, wo es heißt, daß es den EG-Staaten erlaubt ist, bei einer plötzlichen Zahlungsbilanzkrise „vorsorglich die erforderlichen Schutzmaßnahmen zu treffen.“ Da Frankreich nach den Maiunruhen im Jahre 1968 zur Vermeidung einer Franc-Abwertung ebenfalls — doch kurzfristig — Importbeschränkungen verfügte, sah sich Außenminister Jo-bert veranlaßt, dien italienischen Schritt zu verteidigen. Angesichts der auch in Frankreich im Jahresdurchschnitt um 15 Prozent steigenden Preise und eines rasch wachsenden Zahlungsbilanzdefizits dürfte das Akzept des französischen Außen-minüisters als Präventivmaßnahme zu verstehen sein.

Italiens tiefer Eingriff in den Gemeinsamen Markt war zu erwarten, ein ähnlicher Schritt Frankreichs (aus wirtschaftlichen Gründen) und Großbritanniens (aus politischen Gründen) steht noch aus, ein Zusammenbruch der Europäischen Gemeinschaft ist zu befürchten. Analysiert man die Ursachen dieser Entwicklung, dann wird man, trotz der Verteuerung des arabischen Erdöls als zentralem Faktor, das fntegrations-deflzit und die fehlende Koopera-tiornsbereitschaft der diversen EWGStaaten auf wirtschaftspolitischem Gebiet nennen müssen. Daneben waren und sind schwache Regierungen, die sich auf keine breite parlamentarische Basis stützen können, als zentrale Ursache eines Inflationssturmes zu nennen, der nicht nur in der Europäischen Gemeinschaft auf die leichte Schulter genommen wurde und noch immer wird. Das alles zusammen machte das Fundament der Europäischen Gemeinschaft brüchig. Wenn dieses Fundament nun in sich zusammenzubrechen droht, dann kann das auch für Österreich als de facto assoziierten Staat nicht ohne Folgen bleiben.

Italien war durch lange Jahre nach dem Zweiten Weltkrieg der zweitgrößte Abnehmer österreichischer Waren. Im vergangenen Jahr überrundete die Schweiz unser südliches Nachbarland. Für dieses Jahr rechnete man damit, daß auf Italien rund 9 Prozent aller österreichischen Exporte Sn einer Größenordnung von rund 12 Mrd. Schilling entfallen würden. Da mehr als die Hälfte der österreichischen Exporte nach Italien auf Holz und Rinder entfallen, dürfte die heimische Landwirtschaft der hauptbetroffene Zweig der heimischen Wirtschaft werden. Unter Berücksichtigung der äußerst nachlässigen Behandlung der Landwirtschaft durch die sozialistische Alleinregierung sollte der zusätzliche Schaden sehr ernst genommen werden. Die Präsidentenkonferenz der Landwirtschaft hat in einer ersten Stellungnahme die Minister Weihs und Stari-bacher gebeten, unter Umständen geeignete Vergeltungsmaßnahmen (insbesondere bei Obst, Gemüse und Wein) gegen Italien vorzubereiten. Damit ist freilich nichts getan, da sieh in der Regel „Handelskriege“ gegen alle Beteiligten auswirken.

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