Europa und USA: "Clash" der Kulturen?

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Warum die soziale Marktwirtschaft des "alten Europa" und die "neue Ökonomie" der USA keine Gegner, sondern Partner bei der Schaffung von Wachstum und Wohlstand sind.

Nicht nur in der islamischen Welt, sondern stellenweise auch in Europa hat die Angst vor "amerikanischen Verhältnissen" Konjunktur. Neben dem Bedrohungsbild einer kulturellen "McDonaldisierung" ist es vor allem die Befürchtung einer "Amerikanisierung" unserer Wirtschafts- und Arbeitswelt, die gesellschaftspolitisch interessierte Menschen bewegt. Die Schlagworte und Phrasen, mit denen die Konsequenzen der Amerikanisierung etikettiert werden, sind bekannt: "McJobs", "Flexibilitätsdiktat", "Sozialabbau" oder "Die Reichen werden immer reicher, die Armen immer ärmer."

Deregulierung als Chance

Es gibt aber nicht nur die Angst vor einem "Zuviel" an Amerika in Europa, sondern auch die - gleichwohl weniger populäre - Kritik an einem Zuwenig an Amerikanisierung. Sie wird vor allem von Ökonomen geäußert. Wenn Europa die Arbeitsmärkte so deregulieren würde und die Konkurrenz so massiv wäre wie in den USA, würde die Arbeitslosigkeit um rund 3,5 Prozentpunkte sinken. Die Lockerung der Beschäftigungsbestimmungen nach US-Muster brächte die Arbeitslosenquote in der Euro-Zone langfristig um 1,7 Prozent herunter. Positive Effekte hätte die Deregulierung am Arbeitsmarkt auch auf das Wirtschaftswachstum. Sie würde langfristig einen Wachstumsschub von zehn Prozent bringen, zeigt eine IWF-Studie. Das sind durchaus überzeugende Argumente, die für eine "Amerikanisierung" sprechen.

Sowohl die fundamentale Ablehnung wie auch die vorbehaltlose Übernahme "amerikanischer Verhältnisse" wäre jedoch - zumal aus christdemokratischer Perspektive - die falsche Strategie für Europa. Denn die unterschiedlichen Verhältnisse in der Wirtschafts- und Arbeitswelt sind Ausdruck unterschiedlicher Wirtschafts- und Sozialkulturen und unterschiedlicher Wertvorstellungen. Die Wirtschafts- und Sozialkultur der USA setzt seit jeher massiv auf ökonomische Freiheit und möglichst ungehinderten Wettbewerb. Der soziale Zusammenhalt und die gesellschaftliche Solidarität sind weitgehend "Privatsache", wobei das starke bürgergesellschaftliche Engagement und auch das soziale Engagement vieler Unternehmen in den USA nicht geringgeschätzt werden darf und durchaus Vorbildcharakter für Europa hat.

Hilfe für sozial Schwache

Im "alten" Europa dominiert hingegen - trotz unterschiedlicher nationalstaatlicher Ausprägungen - der Konsens, dass gesellschaftliche Solidarität und Hilfe für sozial Schwache staatlich sichergestellt sein muss: Der Einzelne darf nicht vom Wohlwollen und von der "Caritas" anderer Menschen abhängig sein, sondern er hat ein Anrecht auf Leistungen des Wohlfahrtsstaates. Die ökonomische Freiheit wurde weit weniger betont, sondern ihr wurden im Gegenzug enge Grenzen gesetzt - zu enge, wie sich gezeigt hat: Das europäische Wirtschaftswachstum, das für soziale Sicherheit und die Sicherung sozialstaatlicher Leistungen gerade in einer alternden Gesellschaft immer wichtiger wird, hinkte jenem der USA weit hinterher. In der EU sank seit Anfang der 80er Jahre die durchschnittliche Wachstumsrate ständig und das BIP/Kopf stagniert bei 70% des US-Wertes. Von 1995 bis 2001 haben die USA 60% der kumulativen Expansion des weltweiten BIP getragen, während die EU ihrerseits lediglich 10% beitrug. Während das reale BIP der EU im Jahr 2002 gegenüber dem Jahr 2001 um 0,9% gewachsen ist - Österreich liegt mit einem Anstieg des BIP um 1,0% knapp über dem EU-Durchschnitt -, konnte die US-amerikanische Wirtschaft im Jahr 2002 ein Wachstum von 2,4% verzeichnen.

Wachstum sichert Wohlfahrtsstaat

Diese Daten zeigen, dass Europa von den USA wirtschaftlich wachsen lernen muss, um sein Wirtschafts- und Sozialmodell auch in Zukunft fortschreiben zu können. Mit der Lissabon-Strategie der EU wurde angesichts der bemerkenswerten wirtschaftlichen Erfolgsstory der USA in den 90er Jahren ein "Nachhilfe-Programm" entwickelt, um mehr Wachstum erzielen und somit soziale Sicherheit in Europa auch künftig gewährleisten zu können. Ziel der EU ist es laut Lissabon-Strategie, bis 2010 "zum wettbewerbsfähigsten und dynamischsten wissensbasierten Wirtschaftsraum der Welt" zu werden, "einem Wirtschaftsraum, der fähig ist, ein dauerhaftes Wirtschaftswachstum mit mehr und besseren Arbeitsplätzen und einem größeren sozialen Zusammenhalt zu erzielen."

Von den USA lernen

Wo Europa von den USA lernen muss, wird an folgenden exemplarischen Handlungsfeldern deutlich, die für Wachstum und Wohlstand entscheidend sind:

" Produktivität: Der Vergleich der für 2003 prognostizierten Arbeitsproduktivitäten (BIP in Kaufkraftstandards je Beschäftigten) zeigt einen deutlichen Vorsprung der USA gegenüber der EU (120,1 versus 100). Dies ist vor allem der New Economy zu verdanken. In den USA wurden 2001 5,3% des BIP, in der EU hingegen nur 4,1 % (Österreich: 3,78%) für Informationstechnologien ausgegeben.

" Innovation: Die Bruttoausgaben für Forschung & Entwicklung - gemessen in Prozent des BIP - betrugen in den USA für das Jahr 2000 2,7 %. Mit 1,93 % lagen die Ausgaben für F & E in der EU deutlich darunter. In Österreich sind diese Zukunftsinvestitionen im Jahr 2002 dank der Aktivitäten der Bundesregierung auf 1,95 %. angestiegen. Ein weiteres Indiz für den europäischen Nachholbedarf in Sachen Innovation: Im Jahr 2000 wurden beim US Patent and Trademark Office je 1 Mio. Einwohner 315.083 Patentzulassungen gewährt. Am Europäischen Patentamt waren es je 1 Mio. Unionsbürger lediglich 73.953 Patentzulassungen.

" Risikokultur: Die US-Amerikaner sind im Schnitt nicht nur stärker bereit, unternehmerisches Risiko auf sich zu nehmen als die EU-Bürger, es gibt auch ausreichend Risikokapital. In den USA steht für die Anschubphase (USA: 0,111 %, EU: 0,045 %) bzw. für Expansion und Erneuerung (USA: 0,346 %, EU: 0,099 % jeweils in BIP) deutlich mehr Risikokapital zur Verfügung als in der EU.

" Liberalisierung: Sehr wesentlich für die Entwicklung der Wirtschaft bzw. für die Wettbewerbsfähigkeit eines Landes ist der Grad an Liberalität. Das gilt auch für die Gütermärkte: Einkaufen ist in den USA im Normalfall rund um die Uhr an sieben Tagen der Woche möglich. Mit der Liberalisierung der Öffnungszeiten in Österreich haben wir eine Wachstumsbremse unter Wahrung kultureller Traditionen gelöst: Sonn- und Feiertagsruhe werden grundsätzlich beibehalten.

Diese Beispiele zeigen, dass wir gerade wegen der wünschenswerten Wahrung und Weiterentwicklung unserer Sozial- und Wirtschaftskultur gut beraten sind, erfolgversprechende Strategien und Maßnahmen der USA für mehr Wachstum und Wohlstand auch in Europa zu nützen.

Wachstumspartnerschaft mit USA

Wie in vielen anderen Fragen liegt auch in wirtschaftlicher Hinsicht die Zukunft von Europa und den USA in einer Wachstumspartnerschaft. Die Unternehmen beiderseits des Atlantik haben diese Chance schon lange erkannt: Allein von 1993 bis 2002 stiegen die Exporte der EU in die USA von 106.060 Mio. USD auf 226.620 Mio. USD. Im selben Zeitraum erfolgte eine Steigerung der Importe in die EU aus den USA von 109.872 Mio. USD auf 167.950 Mio. USD. Der Zusammenarbeit von EU und USA auf multilateraler Ebene, etwa im Rahmen der Welthandelsorganisation (WTO), kommt angesichts dieses Ausmaßes an wirtschaftlicher Verflechtung große Bedeutung zu. Ein erfolgreicher Abschluss der WTO-Verhandlungsrunde mit weiterer Handelsliberalisierung ist in beiderseitigem Interesse und würde wichtige Impulse für die derzeit noch schwache Weltwirtschaft bringen.

Unterschiedliche Positionen

Natürlich ist das Verhältnis zwischen den USA und der EU nicht in jedem Punkt eitel Wonne: Der Subventionsabbau im Landwirtschaftssektor der EU oder die Stahlpolitik der USA und die europäischen Gegenmaßnahmen sorgen für Auseinandersetzungen. Auch in der Debatte über die künftigen Eigenmittelvorschriften für Banken - Basel II - gibt es aufgrund der unterschiedlichen Finanzierungskulturen unterschiedliche Positionen. Doch diese Unterschiede können nicht darüber hinwegtäuschen, dass die EU und USA ein gemeinsames Interesse an Wachstum und Wohlstand im Interesse der Bürgerinnen und Bürger eint. Von der Kooperation, vom Wettbewerb und vom gegenseitigen Lernen profitieren beide Seiten.

Gerade hinsichtlich der Liberalisierung der Märkte, der Stärkung des Unternehmergeistes und der entsprechenden Rahmenbedingungen, der Erhöhung der Flexibilität am Arbeitsmarkt und vor allem hinsichtlich der Stärkung der Innovationskraft müssen wir von den USA lernen, wenn wir unser Wirtschafts- und Sozialmodell der sozialen Marktwirtschaft bewahren und weiterentwickeln wollen. Denn nur ein starker und wettbewerbsfähiger Wirtschaftsstandort kann auch ein erfolgreicher Sozialstandort sein. Lernen wir nicht, dann könnte den europäischen Gesellschaften mangels Wachstum und Wohlstand ein sozialer "Clash" drohen.

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