"Wissenschaft ist zum Randthema geworden"

19451960198020002020

Arnold Schmidt, Präsident des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) sieht mit gemischten Gefühlen der Zukunft entgegen. Sollte der größte österreichische Forschungsfonds nicht im Laufe des Jahres weitere Mittel von der Regierung bekommen, muss die Unterstützung von neuen Forschungsprojekten im Herbst gestoppt werden - eine "Katastrophe".

19451960198020002020

Arnold Schmidt, Präsident des Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) sieht mit gemischten Gefühlen der Zukunft entgegen. Sollte der größte österreichische Forschungsfonds nicht im Laufe des Jahres weitere Mittel von der Regierung bekommen, muss die Unterstützung von neuen Forschungsprojekten im Herbst gestoppt werden - eine "Katastrophe".

Werbung
Werbung
Werbung

Die Furche: Die Regierung hat Sparen angesagt, in welchem Ausmaß ist der FWF von Kürzungen betroffen?

Arnold Schmidt: Ganz klar ist das noch nicht. Aber wir wissen seit kurzem, dass wir vom regulärem Budget 610 Millionen Schilling bekommen. 1999 hatten wir ein Budget von 830 Millionen, das heißt, es fehlen 220 Millionen. Sollten wir keine zusätzlichen Mittel bekommen, wäre das eine Katastrophe.

Die Furche: Welche Auswirkungen hat das?

Schmidt: Wir müssten unsere Vergabepolitik ändern. Wir sind zwar absolut zahlungsfähig bei bestehenden Projekten, aber wir könnten ab Herbst keine neuen Projekte mehr bewilligen. Wir müssten die Vergabesitzungen schlicht und einfach streichen. Alles andere wäre ein zu großes Risiko für den FWF. Es gibt keinen Kompromiss bei einer so riesigen Differenz. Grundlagenforschung braucht Stabilität. Es ist kein Kunststück, eine Forschungsgruppe innerhalb eines Jahres zu halbieren, jedoch ein sehr großes, diese wieder aufzubauen. Denn die Forscher haben sich dann verlaufen. Offenkundig hat der Staat hier seine Politik geändert. Bisher war eine jährliche Budgetsteigerung von rund zehn Prozent vorgesehen - das wären heuer knapp 100 Millionen mehr.

Die Furche: Haben Sie noch Hoffnung, dass Sie zusätzlich Geld bekommen?

Schmidt: Sowohl der Minister, als auch der zuständige Sektionschef haben mir zugesagt, dass sie sich bemühen werden, diese Lücke aufzufüllen - Mitte des Jahres, wenn sie sich halbwegs über die Ausgabenentwicklung in ihren Ministerien klar sind. Die Lücke ist ja jedermann peinlich, weil diese Regierung gesagt hat, Forschung und Entwicklung seien ein hohes Ziel und die Forschungsausgaben sollen auf 2,5 Prozent des BIP ansteigen - ein internationaler Durchschnittswert. Wir liegen derzeit bei rund 1,7 Prozent. 2,5 Prozent wären für Österreich eine hohe Latte.

Die Furche: Um wieviel wäre das mehr?

Schmidt: Niemand weiß zwar genau, wieviel für Forschung und Entwicklung in dieser Republik ausgegeben wird, aber derzeit ist das nach Schätzungen ein Betrag von etwa 44 Milliarden Schilling. Er setzt sich rund zur Hälfte aus Steuermitteln und zur anderen Hälfte aus der Industrieforschung zusammen. Um die derzeitigen 1,7 Prozent bis 2005 nur zu halten, müssten die Ausgaben jährlich um rund zwei Milliarden steigen, da auch das BIP laufend steigt. Die Hälfte davon entfiele auf den Bund. Wenn der Bund heuer also nicht wenigstens eine Milliarde mehr als im Vorjahr ausgibt, dann fallen wir zurück. Der Finanzminister hat eine Dokumentation vorgelegt, die für heuer eine halbe Milliarde weniger für Forschung und Entwicklung vorsieht. Will man tatsächlich die Forschungsausgaben auf 2,5 Prozent erhöhen, würde das einen jährlichen Zuwachs in zweistelliger Milliardenhöhe bedeuten. Und das sind Summen, die aus dem Budget nicht aufzubringen sind. Das heißt, wenn ich das, was die Regierung sagt, ernst nehme - und warum sollte ich das nicht tun? - dann muss man sich fragen, aus welchen außerbudgetären Mitteln das kommen soll, also etwa aus Privatisierungserlösen.

Die Furche: Ist das realistisch?

Schmidt: Das ist eine Frage des politischen Willens und keine Frage des Geldes. Ich kultiviere eine Hoffnung ...

Die Furche: Die Kompetenzverteilung wurde neu geregelt. Die Universitäten sind jetzt im Bildungsministerium, die Forschung im Infrastrukturministerium. Ist das eine gute Lösung?

Schmidt: Die jetzige Kompetenzverteilung folgt keinen rationalen Gesichtspunkten, sie ist einfach Folge eines "lack of leadership". Die Regierung ist davon ausgegangen, Kompetenzen zusammenzulegen. Nun ist die Kompetenzverteilung so schlecht wie nie zuvor. Wissenschaft und Forschungspolitik sind zum Randthema geworden.

Die Furche: Warum sehen Sie das so?

Schmidt: Es wäre sinnvoll ein einheitliches Ministerium für Fachhochschulen, Universitäten, Wissenschaft, wissenschaftliche, angewandte und technologische Forschung und Entwicklung zu bilden. Bei der Kompetenzverteilung sind meines Erachtens zwei große Denkfehler passiert. Wenn man Schulen und Universitäten, die kaum gemeinsame Schnittstellen haben, zusammenlegt, dann muss man irgendwo in der Kette zwischen Universität und technologieorientierter Forschung einen Schnitt machen. Denn sonst wird die Bildungsministerin gleichzeitig auch Technologieministerin. Das geht ja dann wohl doch nicht. Aber jeder Schnitt, den man macht, ist schlecht. Und jetzt ist die Schnittstelle an einer Stelle passiert, die besonders katastrophal ist, denn die Universitäten sind jetzt bei der Frau Ministerin Gehrer, und die Forschung ist im Infrastrukturministerium. De facto passiert aber der größte Teil der Forschung an den Universitäten. Der zweite Denkfehler ist, in einem Infrastrukturministerium materielle und geistige Infrastruktur zusammenzulegen. Die Infrastruktur Eisenbahn und Autobahn ist eine Sache, alles was Forschung und Technologie ausmacht, eine völlig andere. Die zwei Sachen haben überhaupt nichts miteinander zu tun. Darüber hinaus sind die EU-Programme der Frau Gehrer zugeteilt worden. Diese sind aber vorwiegend Technologieprogramme, das heißt, inhaltlich würden sie ins Infrastrukturministerium gehören. Man kann sich natürlich alles untereinander ausmachen. Aber diese Regierung hat es geschafft, eine der unzweckmäßigsten Verteilungen überhaupt zu treffen. Da entsteht unendlich viel Schaden.

Die Furche: Zum Beispiel?

Schmidt: Im Ministerrat sitzen jetzt zwei Verantwortliche und es wird vermutlich oft nicht klar sein, wer welche Anliegen vertritt. Das ist jetzt permanent eine Frage der Koordination. Keine normale Firma würde Zuständigkeiten in dieser Weise verteilen. Das Problem ist, dass man mit den Themen Forschung und Entwicklung keine Wahlen gewinnen kann. "Mehr Mittel für Forschung", also das ist kein Knüller. Wir haben im Bereich Forschung und Entwicklung in den letzten 20 Jahren eine kontinuierliche Aufwärtsbewegung verzeichnet. Nicht zuletzt deshalb, weil es ein Wissenschaftsministerium gegeben hat, das kann man dokumentieren.

Die Furche: Sehen Sie nun diese Aufwärtsbewegung gefährdet?

Schmidt: Sie könnte dadurch deutlich verlangsamt werden.

Die Furche: Es ist immer wieder zu hören, die Wirtschaft sollte mehr Geld für Forschung und Entwicklung ausgeben. Ist diese Forderung berechtigt?

Schmidt: Man behauptet, die Wirtschaft gebe zu wenig Geld für die Forschung aus. Das ist nicht richtig. Ich möchte hier die Wirtschaft verteidigen. Ein intelligentes und lebensfähiges Unternehmen gibt genau so viel für Forschung aus, wie es nötig ist. Und wieviel das ist, hängt sehr stark von der Branche ab. Ein pharmazeutischer Betrieb muss sehr viel mehr für Forschung und Entwicklung ausgeben als etwa ein Ziegelwerk. Einem Ziegelwerk zu sagen, sie sollten mehr Geld in die Forschung investieren, kommt dem Vorschlag gleich, Konkurs anzumelden. Unsere Forschungsquote ist eine Reflexion unserer Industriestruktur. Wir haben keine großen Pharma- und Hightech-Konzerne, sondern eine mittelständige Industrie, die sehr dynamisch ist und dieses Land ganz offensichtlich wunderbar ernährt. Daraus folgt aber: Will man langfristige Forschung finanzieren, und die braucht jedes Land, dann muss der Staat dafür zahlen und sonst niemand. Auf der anderen Seite sind die Universitäten primär nicht dazu da, praktische Forschungsarbeit zu leisten. Es ist nicht schlecht, wenn sie das gelegentlich machen, aber das ist nicht ihre Hauptaufgabe. Sie müssen erstklassige Grundlagenforschung betreiben und junge Menschen, so gut es geht, ausbilden.

Die Furche: Wie haben sich die EU-Sanktionen auf Ihre Arbeit im FWF ausgewirkt?

Schmidt: Wir waren anfangs extrem besorgt, denn wir arbeiten jährlich mit 2.500 ausländischen Gutachtern zusammen. Wenn es zu einem nennenswerten Boykott gekommen wäre - die ausländischen Wissenschafter arbeiten für uns umsonst - dann hätte das unsere Arbeitstechnik vielleicht sogar in Frage gestellt. Ich habe daher einen offenen Brief an unsere ausländischen Kolleginnen und Kollegen geschrieben und sie gebeten, dass sie mit der Wissenschaft solidarisch sein sollen. Wir haben Absagen bekommen, aber in verschwindend kleinem Ausmaß. Innerhalb der internationalen Forschergemeinschaft sehe ich keine nennenswerten Probleme durch die EU-Sanktionen, es sei denn, einige heimische Politiker zeichnen sich wieder durch besondere Wortmeldungen aus.

Das Gespräch führte Monika Kunit ZUR PERSON Physiker im Dienste der Wissenschaft Universitätsprofessor Arnold Schmidt, Jahrgang 1938, setzt sich seit langem für die Förderung der Wissenschaft ein. 1994 wurde er zum Präsidenten des FWF gewählt. Sein Ziel ist klar: "Wir stehen dafür, dass die österreichische Forschung möglichst hochqualitativ ist", meint Schmidt selbstbewusst. Jedes eingereichte Projekt wird an internationalen Maßstäben gemessen. "Gute Wissenschafter sollen ausreichend finanziert werden, weniger gute geringere Mittel bekommen. Von zweit- und drittklassiger Forschung hat niemand etwas", so Schmidt.

Arnold Schmidt half 1962 nach seinem Physikstudium beim Aufbau des Ludwig-Boltzmann-Instituts für Festkörperphysik. Nach knapp zehnjährigem Aufenthalt in England und in den USA leitete er von 1989 bis 1993 das Institut für allgemeine Elektrotechnik und Elektronik an der TU-Wien.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung