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Vorschlag einer Notgemeinschaft

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Der Zentralrat für die österreichische Wissenschaft, eine auf breitester demokratischer Basis aufgebaute Arbeitsgemeinschaft zur Förderung der Forschung, in der die Spitzen der Wissenschaft mit den Studenten und Vertreter der Rektorenkonferenz mit denen der Volkhochsdrule vereint sind, hat bereits vor Monaten das Augenmerk auf die Notlage der Wissenschaft in Österreich gelenkt. Obwohl die Presse in zunehmendem Maße die Öffentlichkeit über die Gefahren aufklärt, die unserer Nation bei Fortsetzung der gegenwärtigen Kulturpolitik drohen, dauert die entwürdigende Lage unserer Wissenschaft an. Um das jüngste Beispiel von vielen zu nennen: Höchst bedeutsam Forschungsergebnisse im „Grabe der Königin“ bei Stockerau konnten nur geborgen werden, weil von Privatseite die notwendige Summe dafür erlegt wurde. Nicht allein, daß für die Grabungen, bei denen Idealisten selbst den Spaten führten, keine ausreichenden Mittel zur Verfügung standen — nein, Arbeiter haben das Geld für das Benzin gesammelt, damit die Funde aus dem Dorfwirtshaus nach Wien gebracht werden konntenl

Es sage niemand, daß für uns als armes Volk die Urgeschidite wohl eine schöne, aber keineswegs widitige Wissenschaft seil Es gibt gar keine unwichtigen Wissenschaften; denn keine Disziplin kann ohne die benachbarten auskommen. Die Wissenschaft gleicht einer Kette aus vielen Gliedern, die aber reißen muß, wenn nur eines davon zu schwach ist. Und solche Reihen lassen sich für fast alle Erscheinungen des täglichen Lebens aufstellen, dessen Standard mit dem der Wissenschaft steht und fällt.

Der Einwand, daß wir ein armes Volk sind, Ist gewiß richtig. Aber läßt sich damit entschuldigen, daß Österreich für seine Forschung relativ so wenig aufwendet wiekeine andere Kulturnation der Welt?

Das deutsche Volk hat nach seiner beispiellosen Katastrophe wahrhaftig Nöte durchzustehen, und dennoch haben nach dem ersten Bericht der erneuerten .Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft“ die elf Länder und der Rundfunk 2,7 Millionen DM (das sind 13 bis 15 Millionen Schilling) der Wissenschaft zur Verfügung gestellt und diesen Betrag sogar verdoppelt, nachdem Dr. Adenauer es als eine der „dringendsten Aufgaben der Bundesregierung“ bezeichnet hatte, .die Forschung großzügig zu fördern“.

Gewiß, man kann einwenden, daß Westdeutschland fast zehnmal so viel Einwohner wie Österreich zählt. Diese 2,7 Millionen DM aber machen nur 36 Prozent jener Summe aus, die beispielsweise unsere Staatsstellen durch Toto und direkte Zuwendungen des Bundes dem Sport im . Vorjahr zugeführt haben, von den beachtlichen Unterstützungen durch die Länder und den Einnahmen aus Sportveranstaltungen gar nicht zu reden! Töricht wäre es, etwas gegen den gesunden Sport zu sagen; doch in der äußersten Not kann man wohl ohne Fußball, nicht aber ohne Wissenschaft auskommen.

Mit der Aufteilung des Kulturgroschens wurden die gleichen bitteren Erfahrungen gemacht. Vergeblich bat der Zentralrat, ihn, wie etwa die Sportvereine beim Toto, dem Beirat zur Verteilung der Gelder hinzuzuziehen. Nur mit unbefriedigenden Erfolgen bittet der Notring der wissenschaftlichen Verbände immer wieder um Druckunterstützung für wissenschaftliche Werke aus dem Erlös des Kulturgroschens. Abgesehen davon, daß Niederösterreich annähernd ein Drittel seiner Einnahmen aus dem Kulturgroschen wissenschaftlichen Zwek-ken zuführt, fallen nur einige Brosamen ob. Es ist kein Geheimnis mehr, daß unsere Volksbildung, in eine Sackgasse geraten, einer neuen, von Parteieinflüssen befreiten Regelung bedarf, wenn man sie einer Blüte wie etwa in den norrühori Ländern zuführen will. Es ist auch kein Geheimnis, daß das arme Wien heute doppelt so viel Theater hat wie einst in seiner besten Zeit. Und doch werden hier wie dort Mittel aus dem Kulturgroschen in Fässer ohne Boden gefüllt, indes sich die Ergebnisse früherer Forschungen ungedruckt entwerten — von neuen Forschungen gar nicht zu reden! —. und nach den Feststellungen des Ressortministers selber, die sich schon nach der Decke strecken, auf den Hochschulen mindestens 80 Lehrstühle fehlen! Die Länder erklären, die Wissenschaft sei Bundessache, und der Bund wiederum hat bisher aus dem Kulturgroschen noch keinen Groschen für die Forschung gegeben. Einsichtsvoll hat der österreichische

Bundespräsident allen ins Gewissen geredet, daß die Wissenschaft Sache des ganzen Volkes sei und erhalten werden müsse, wenn das Volk seinen Lebensständard erhalten wolle. Es war vergeblich. Auf der letzten Generalversammlung des Notringes wurden an die wissenschaftlichen Gesellschaften als Druckunterstützung an die 70.000 Schilling verteilt, die durch Vertrieb eines Kalenders bei der Wirtschaft förmlich erbettelt worden waren. Anerkannte Gelehrte haben hier in bitteren und scharfen Worten gefordert, daß die neugeschaffene Organisation entschlossen gegen die Mißachtung der Wissenschaft kämpfe.

Das öffentliche Ärgernis, das die Behandlung der österreichischen Forschung von heute bietet, kann nur durch eine generelle gründliche Regelung beseitigt werden. Wir brauchen eine Notgemeinschaft für die österreichische Wissenschaft: Bund, Länder, Gemeinden und wirtschaftliche Körperschaften, unter denen die Vereinigung österreichischer Industrieller mit gutem Beispiel in der Wissenschaftshilfe vorangegangen ist, müßten eine Front bilden, um gemeinsam und planmäßig die Not der Wissenschaft in Österreich zu bekämpfen und dem unwürdigen und unökonomischen Zustand ein Ende zu setzen, daß die Forschung von heute, die den Export von morgen mitbestimmt, durch Bettelei gestützt werden muß.

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