"Wer den Ernst der Stunde nicht erkennt, dem ist nicht zu helfen“

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Oberösterreichs Landeshauptmann Josef Pühringer fordert, die VP müsse sich mehr als bisher der Verteilungsgerechtigkeit, dem Mittelstand und den kinderreichen Familien widmen.

* Das Gespräch führte Oliver Tanzer

Josef Pühringer ist seit 1995 Landeshauptmann von Oberösterreich. Er gilt als einer der mächtigsten Männer in der ÖVP. Im FURCHE-Interview stellt er sich einerseits hinter den neuen Obmann Spindelegger, fordert aber gleichzeitig eine grundlegende Diskussion über die Parteiziele ein.

Die Furche: Michael Spindelegger wurde in der Öffentlichkeit nicht mit einer Begeisterung empfangen, die man bei jemandem erwarten könnte, der die ÖVP auf Erfolgskurs bringen soll. Verfügt er über die dazu notwendigen Eigenschaften?

Josef Pühringer: Der Empfang passt zur Karwoche. Zwischen dem Hosianna und dem Crucifige - kreuzigt ihn! - liegt nur eine Woche. In der Politik verhält es sich ähnlich. Es geht sehr rasch von einem Extrem ins andere. Mir ist lieber: weniger Triumphgeschrei am Anfang und dafür ein konstanter Aufschwung. Das traue ich Spindelegger auch zu. Seine erste ganz entscheidende Aufgabe wird es sein, das Vertrauen, das durch das Fehlverhalten einiger weniger Mandatare auf europäischer Ebene verloren ging, wiederzugewinnen. Vertrauen ist rasch verloren und nur schwer wieder aufzubauen. Das ist eine Riesenaufgabe für die ÖVP. Wir müssen unsere Zehntausenden ehrenamtlichen Mitarbeiter wieder motivieren. Da ist ein solider Mann wie Spindelegger genau richtig.

Die Furche: Abseits von den Skandalen gibt es aber auch langfristige Probleme. Der Mittelstand, die Kernwählerschicht hat das Gefühl, allein gelassen zu werden oder abzurutschen und gleichzeitig die Gewissheit, steuerlich am stärksten belastet zu werden. Wo ist die Antwort der ÖVP darauf? Wie will sie diese Kernwählerschicht wiedergewinnen?

Pühringer: Wir haben heute eine unglaublich mobile Wählerschaft. Das zeigen die stark unterschiedlichen Wahlergebnisse zwischen Landtags und Nationalratswahl im städtischen Bereich. Wir hatten Gemeinden, da lagen wir bei der Nationalratswahl zwischen zehn und 15 Prozent und bei der Landtagswahl über 40. Diese Entwicklung ist Gefahr und Chance zugleich. Das Entscheidende ist: Was die Menschen bewegt, sollte auch die Politik bewegen. Darüber werden wir diskutieren müssen.

Die Furche: Zum Beispiel?

Pühringer: Zum Beispiel Verteilungsgerechtigkeit. Gegen Armut muss man immer ankämpfen. Aber das muss auch mit einer Leistungsgerechtigkeit verbunden sein. Dass ich die Leistungsträger im Blick behalte. Dass ich auf den Mittelstand schaue. Dass wir in der Energie- und in der Familienpolitik Antworten geben können. Familien mit mehreren Kindern sind noch immer die Lastesel der Gesellschaft. Da muss man die ÖVP deutlich erkennbar machen.

Die Furche: Das hieße eine Steuerreform der Steuerreform?

Pühringer: Ich würde das nicht nur an der Steuerreform aufhängen. Eine Reform wird sich jetzt nach der Krise keiner leisten können. Es geht da auch um gesellschaftliche Wertschätzung. Das sollte man nicht unterbewerten und dann um Transferleistungen und Steuergerechtigkeit.

Die Furche: Aber irgendwann muss die Politik auch finanziell bei den Wählern ankommen. Wie will man den Koalitionspartner davon überzeugen? Auch Josef Pröll hat das ja versucht und ist gescheitert.

Pühringer: Ich mache Josef Pröll nicht den geringsten Vorwurf. Er genießt meine höchste Wertschätzung. Die Fragen von denen ich spreche, hätten sich unabhängig davon gestellt, ob der Parteiobmann Spindelegger oder Pröll heißt. Aber ich will es so beschreiben: Hermann Hesse hat einmal gesagt, allem Neuen wohnt ein Zauber inne. Diesen Vorteil darf man nicht verzaubern, sondern den muss man nutzen.

Die Furche: Geht das auch mit der Struktur der ÖVP?

Pühringer: Natürlich. Erstens: Wer den Ernst der Stunde nicht erkennt, dem ist nicht zu helfen, der meint es auch nicht gut mit der ÖVP. Zweitens: Wir spüren das ja nicht nur selbst, sondern auch von unserer Basis, von unseren Wählern und von den Menschen draußen. Die Struktur der Partei ist eigentlich eine sehr gute, weil die Bünde und Länder eine sehr gute Interessenvertretung ermöglichen. Die Teilorganisationen sollten aber immer im Gedächtnis behalten, dass sie Teil des Ganzen sind und sich auch so verhalten müssen. Das Ganze geht vor den Teilen.

Die Furche: Die Realität sieht anders aus. Denken Sie nur an Gewerkschafter wie etwa Neugebauer.

Pühringer: Ich kann nur sagen: Wir wünschen uns starke Teilorganisationen. Das Gegenteil wäre eine Katastrophe. Aber man muss in entscheidenden Stunden immer wissen, dass man Teil eines Ganzen ist und Verantwortung trägt.

Die Furche: Sie sind derzeit auch Vorsitzender der Landeshauptleutekonferenz. Wie sieht die Solidarität der Länder mit dem Bund aus?

Pühringer: Dem Bund muss eines klar sein: Er ist aufgrund der föderalistischen Bundesverfassung nicht unser Chef. Den Ländern muss ihre Gesamtverantwortung für die Republik klar sein. Aber wir haben zuletzt gemeinsam sowohl mit der Neuordnung der Pflegefinanzierung als auch beim Stabilitätspakt Essenzielles weitergebracht. Leider ist das medial untergegangen. Das sind aber eigentlich die großen Dinge. Die Länder haben bewiesen, dass sie zu ordentlichen gemeinsamen Leistungen bereit sind. Das kann auch in anderen Bereichen funktionieren.

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