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An den Rand geshriehen

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ZEITUNG UND SCHNAPS. „Die österreichischen Verleger müssen es als symptomatisch für die Auffassung vom Wesen der Presse, die in manchen Kreisen herrscht, betrachten, daß die Lücken im Budget durch eine Belastung des Schnapskonsums und der Zeitungen gleichermaßen geschlossen werden sollen.” Dieser harte Satz steht im Brief des Verbandes österreichischer Zeifungsheraus- geber, den dieser den österreichischen Abgeordneten zum Nationalrat übermittelt hat. „Manche Kreise”: damit sind offenbar die politischen Kreise, oder deutlicher, „Kreise, die den beiden Koalitionsparteien nahestehen", gemeint. Die im Budgetentwurf 1964 vorgesehene Erhöhung der Zeitungsposttarife um 67 Prozent ist geeignet, einen Großteil der österreichischen Zeitungen, vor allem die wirtschaftlich schwächeren, sehr erheblich, ja möglicherweise tödlich zu treffen. Welche Zeitungen müssen da das Feld vor den Stärkeren, den Be- ziehungs- oder Kapitalreicheren räumen? Diejenigen, die in der „Provinz", in der kleinen Gemeinschaft, den Menschen und den „Verhältnissen” auf den Zahn fühlen, die für „manche Kreise” am unangenehmsten sein können, weil sie sich an Ort und Stelle auskennen. Hier herrscht offenbar ein Mißverhältnis und ein Mißverständnis vor. Die Bahn wird frei etwa für die großen Boulevardblätter, die am Tag, an dem diese Zeilen geschrieben werden, „zufällig” mif dem gleichen intimen Skandal des Londoner Mannequins „aufmachten” Zeitung und Schnaps: haben die Parteien am

Ende recht? Gehören die Zeitungen in die Schranken gewiesen, mif pro- hibitiven Steuern und Tarifen belastet, bis sie nicht mehr weiter können und es aufgeben? Es steht schlecht um eine Presse, die Zusehen muß, wie der fragwürdige „Aufmacher” alle guten Vorsätze und Argumente übertrumpft, und es steht schlecht um eine Demokratie, die der Presse zuwenig ernste Aufmerksamkeit widmet.

SCHUTZENGEL ODER BUDDHA1 —

„Ich habe in meinem Gepäck eine kleine Buddhafigur mitgeführt. Vielleicht war die Statue mein Talisman", sagte Minister Kreisky nach seiner Ankunft in Schwechat. „Wir haben wirklich einen Schutzengel gehabt!” Das waren die ersten Worte des Staatssekre’ärs Dr. Steiner, als er aus dem Flugzeug stieg. Beide österreichischen Regierungsmilglieder sind bei der versuchten Landung der indischen Maschine in Schwechat zusammen mit den 62 übrigen Passagieren knapp dem Tod entronnen. Die Blätter unserer Koalitionsparteien verlieren aber auch angesichts solcher „letzter Dinge” nicht ihre Geistesgegenwart. Sie sehen und hören nach wie vor nur, was „ihr Mann” sagt oder tut. Für die Leser der „AZ” war Kreisky in Indien. Staatssekretär Steiner — wer ist das? Wer es wissen will, muß schon die ÖVP-Bläffer studieren. Unser friedlicher Koalifions- alltag erinnert einen immer mehr an das Spiel „Vater, leih’ mir die Scher’ ”. Da sitzen Klaus und Pittermann mit freundlicher Miene beisammen und beschließen, ihren Gedankenaustausch in regelmäßigen Abständen fortzusefzen. Alles ist also vergessen und begraben, der Rechtsextremist, die finstere Reaktion, der Vorbote der Volksdemokratie. Aber halt! In Niederösferreich erklären gleichzeitig 24 wackere SP-Bürger- meister den „schwarzen" Bezirkshauptmann — er heißt bezeichnenderweise Mohr und ist noch dazu auch Hofrat — zur Unperson. Er ist für sie nicht da, nie dagewesen, wie einst der selige Trotzki für die Sowjetenzyklopädie. Dort mußten die braven Sowiefbürger die entsprechenden Blätter mit den ominösen Namen nach jedem Schauprozeß aus dem Lexikon herausreißen und der Redaktion einsenden. Vielleicht sind wir auch bald soweit. Welche Möglichkeiten für unsere Politiker, in ihren Reden dann, unbeschwert von den lästigen Details, die Zusammenarbeit wirklich beschwingt in rhetorischem Höhenflug zu preisen!

WENN JEMAND EINE REISE MACHT.

Eine beträchtliche Zahl von Österreichern besuchte während des vergangenen Wochenendes unsere östlichen Nachbarländer. Die Zahl der Reisenden war so groß, daß die visaerteilenden Stellen zunächst dem Ansturm gar nicht gewachsen waren. Die traditionellen Bindungen an den Nachbarn sind also auch heute noch tief genug, um einen Anlaß zum Besuch zu bieten. Freilich mag auch noch etwas anderes dahinterstecken: Die Neugierde. Ob diese wohlbekannte wienerische Charaktereigenschaft da richtig am Platz ist? Neugierde, qemischt mit milder Herablassung — das ist ganz und gar kein gutes Rezept. Unsere wirklichen Freunde hinter dem Eisernen Vorhang erwarten von uns etwas ganz anderes. Sie erwarten einen Freund, einen Verwandten, der ihnen erzählt, wie es hierzulande bestellt ist. Längst entfremdet jedoch ist ein großer Teil der Besucher jener Welt, welche einst, einen Katzensprung von Wien entfernt, ganz im Bannkreis der Bundeshauptstadt gestanden ist. Das Auto, die Hclienreise, der Heurige — in diesen Kategorien denkt ein Großteil der sensationslüsternen „Hinter- den-Eisernen-Vorhang-Schauer”. Und das ist ein gefährliches Symptom. Die getrennten Familien, die zerrissenen Freundschaften — die wenigen Jahre der Trennung haben eine Kluft geöffnet, die bald nicht mehr zu überbrücken sein wird. Denken wir daran, am nächsten Wochenende, in Brünn, in Preßburg, in Budapest

MORO WIEDER IM RAMPENLICHT.

Der Sekretär der italienischen christlichen Demokraten steht auf der politischen Bühne des Landes wieder ganz im Vordergrund. Interne Kämpfe in der Partei hinderten ihn jedoch zunächst noch, sich mit der Bildung einer neuen Regierung zu befassen, einer Regierung, in der Italiens Sozialdemokraten, die Christ- lich-Demokrafen, die Republikaner und die Nenni-Sozialisten vertreten sein sollen. Für Moro geht es nun vor allem darum, ob er seine Stellung als Parteisekretär zurücklegen soll. Moros Gegner in den eigenen Reihen erhoben die Forderunq, die Stellung des Sekretärs ihrem Repräsentanten Mariano Rumer zu geben, der als Gegner der „Öffnung nach links” gilt. Moros Anhänger dagegen fürchten, daß er im Falle eines Schei- terns der Regierungsbildung dann gänzlich entmachtet sein würde. Sie verlangen also, daß Moro wenigstens bis zum nächsten Parteitag im Amf bleiben soll. Zur Stärkung von Moros Position trugen auch regionale Wahlen bei, die ein merkbares Anwachsen der Stimmen zugunsten der christlichen Demokraten zeigte. Immerhin kann Moro jetzt mit einer gewissen Rückendeckung an die Koali- fionsverhandlungen heranaehen.

Italiens brennende Wirtschaftsprobleme verlangen bereits sehr dringend nach einer arbeitsfähigen Regierung.

NEUER ZUG — ALTE NAMEN.

Papandreous Kabinettsliste enthält eine Reihe von alten Politikernamen, die man noch aus der Zwischenkriegszeit kennt. Aber der Umschwung nach dem Wahlsieg der Zentrumsunion am vorletzten Sonntag wird wohl bald zu spüren sein. Der König hat sich sehr beeilt, eine Regierung zu installieren, obwohl sich diese ja auf keine Parlamentsmehrheit stützen kann. Dafür hat aber der neue Chef schlauerweise einige Regierungsposfen noch unbesetzt gelassen, um zu den Verhandlungen mit der „Nationalradikalen Union" nicht mit leeren Taschen kommen zu müssen Trotzdem erwartet man von der neuen Regierung einige neue Ideen und einen demokratischeren Kurs, nach den anderslautenden Erfahrungen der letzten Jahre.

DER SCHARFE WIND VON DER AUTOBAHN HER. Die jüngsten Vorgänge auf der Berliner Autobahn gaben den Verantwortlichen der amerikanischen Politik einige Rätsel auf. Sind es die gegen die Moskauer Politik rebellierenden Militärs, die da auflrumpfen, oder will Chruschtschow Peking oder seinen eigenen „Chinesen" zeigen, daß er noch immer der alte sei? Einige Klarheit brachten die Reden und Trinksprüche der diesjährigen Moskauer Revolutionsfeier. Der Wind weht schärfer gegen Westen, das Lob der friedlichen Koexistenz hört man auffallend seltener. Und wie das schon bei einem System ist, wo der kleine Funktionär seine Reden aus den Floskeln der Trinksprüche der „Großen" zusammenbaut, merkt man da und dort, wie die Pilze nach dem Regen, die kleinen Verbeugungen vor Peking in den Redewendungen und das Erscheinen von kleinen Glossen in den Blättern, die vielleicht als alter Sfehsatz vorrätig waren.

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