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Experiment der Berufung
Die „Vocations Exhibition“ — „Berufungsausstellung“ — der sechs Diözesen der West-minsterprovinz, die eine Woche lang in der Londoner Riesenhalle Olympia zur Schau stand, ist beendet. Den feierlichen Abschluß bildete die Weihe von dreißig Neupriestern der Missionsgesellschaft von Mill Hill, darunter Engländer, Holländer, Iren und Oesterreicher, durch Kardinal Griffin. •
Ausländische Besucher katholischer Kirchen in England spenden den englischen Katholiken immer wieder ein Lob für ihre Disziplin und Andächtigkeit in der Kirche. Bei der Priesterweihe am vergangenen Sonntag, den 12. Juli, der größten seit dem Kriege und der ersten, die je hier außerhalb einer Kirche gehalten wurde, war diese Andächtigkeit besonders bemerkbar. Etwa 20.000 Menschen standen dicht gedrängt drei Stunden lang und folgten dem Gottesdienst mit Hilfe einer von der „Ca-tholic Truth Society“ herausgegebenen Bro-
schüre. Der Radiopater von der BBC gab den Kommentar zu dem feierlichen Akt, der auch gefilmt und im Fernsehdienst übertragen wurde. '
Die Londoner Ausstellung hätte mit keinem dringlicheren Bekenntnis als dem zur Würde und Notwendigkeit der priesterlichen Berufung schließen können. Wegen des großen Andrangs mußte die individuelle Segenserteilung der Neupriester ausbleiben; statt dessen wandten sie sich nach ihrer gemeinsamen Messe dem Volke zu und erteilten ihren ersten Segen auf diese Weise.
Es gab und gibt Kritiker, die die Methodik einer derartigen religiösen Ausstellung als unpassendes Werbemittel für einen Beruf empfanden, aber die Zerstreuung der katholischen Kirche in England mag den Antrieb, den eine derartige Ausstellung zu geben vermag, notwendiger erscheinen lassen als anderswo. Religiöse Berufungen müssen in erster Linie, wie Papst Pius XII. dies in
einem Brief an Kardinal Griffin betont, einem göttlichen Ruf entsprechen, der von katholischen Eltern und Erziehern behutsam zu pflegen ist. Die Volkstümlichkeit der Londoner Ausstellung, die von 1 5 0.0 0 0 Personen besucht wurde, wies jedoch auf ein Interesse an den verschiedenen priesterlichen und religiösen Berufungen hin, das normalerweise unbefriedigt bleiben muß, da viele eine Scheu zeigen, sich direkt an einen Orden oder eine Kongregation zu wenden und die unverbindlichen Möglichkeiten einer solchen Ausstellung vorziehen.
Der Privatsekretär des Kardinal-Er.z-bischofs von Westminster gab bei der abschließenden Pressekonferenz bekannt, daß den 157 „Ausstellern“ ein Fragebogen vorgelegt wurde, der die „Resultate“ der Ausstellung zu erfassen sucht. Die drei Fragen lauteten: 1. Wie viele Personen haben während der Ausstellungswoche bei ihrem Orden um Aufnahme angesucht? 2. Wie viele Personen haben ein aufrichtiges Interesse bezeugt, das zu Aufnahmen innerhalb der nächsten Monate führen könnte? 3. Wie viele Fragesteller betrachten Sie als letzten Endes kandidatsfähig? — Die Antwort auf die erste Frage war: 372, auf die zweite: 388 und auf die dritte: 941. Derartige Statistiken sind natürlich mit größter Vorsicht zu behandeln. Viele Fragesteller mögen sich für bestimmte Kongregationen oder
Orden interessiert haben; bei anderen mag es sich um bloßen Wissensdurst handeln. Jedenfalls lassen solche Zahlen kein Urteil über den Wert oder Unwert der Ausstellung zu, bis sich eines Tages mehr zeigen wird als „echtes Interesse“.
Aber die sechs Bischöfe der südenglischcn Provinz Westminster machen sich keine Illusionen über den sofortigen Erfolg eines solchen neuartigen Propagandafeldzuges. Sie wollten nur Interesse erwecken und der katholischen Bevölkerung die Mannigfaltigkeit der Ziele und Werke der Orden' und Kongregationen vor Augen führen. Dieses Ziel ist zweifellos in Olympia erreicht worden.
Die Ausstellung wurde fast zu einer religiösen Mission, wie aus dem Massenzustrom zu den Beichtgelegenheiten hervorging. Es wurde die Rückkehr einer großen Zahl abgefallener Katholiken verzeichnet. Auch auf die anglikanische und nichtchristliche Umwelt hat die Ausstellung Eindruck gemacht. Der Beamte des Fundbüros in Olympia, dem Ausstellungen immer eine Menge zu tun geben, erklärte, daß diese, die aus dem Rahmen der dort üblichen „Idealen-Heims“-Ausstellungen fiel, ihn besonders beeindruckt habe, da ihm ein Kind eine Brieftasche mit acht Pfund überreicht und damit seinen Glauben an die Menschheit wiedergegeben hatte.
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