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„Unschweizerisches“ Anhängsel

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In Feldkirch wurde im Jahre 1856 das „Collegium ac Convictum Feldkirchense“ des Jesuitenordens gegründet, das gemäß dem besonderen Schutz der Muttergottes, unter welches dieses wie viele andere Jesuitenkollegien gestellt wurde, den Namen „Stella Matutina“ (Morgenstern) aus der Lauretanischen Litanei erhielt. Zuvor war nach der Wiederherstellung des Jesuitenordens am 7. August 1814 für die deutschsprachigen Gebiete außer Österreich, das eine eigene Ordensprovinz bildete, eine einheitliche deutsche Ordensprovinz errichtet worden, die auch in der Schweiz rasch zu großer Blüte gelangte.

1847/48 setzte in der Schweiz nach dem Sonderbundskrieg eine Hetze sondergleichen gegen die Jesuiten ein, und schließlich kam es zum berüchtigten Jesuiten- und Klösterartikel der Eidgenössischen Verfassung, durch welchen der Jesuitenorden in der ganzen Schweiz verboten wurde. In dieser Situation wurde versucht, den Schweizer Ordensangehörigen eine neue Heimstätte außerhalb der Schweiz zu schaffen, vor allem aber ein Kolleg für die Heranbildung junger Menschen zu christlichen Männern in Politik, Wirtschaft und vor allem auch Wissenschaft Zunächst dachte man an ein Kolleg in Bayern, doch schlug der König der Bayern, der dem Zeitgeist gemäß gegen die Jesuiten eingestellt war, dies vollkommen ab. Bemühungen um ein Kolleg der deutschen Provinz in Frankreich oder Belgien scheiterten, worauf der Provinzial P. Clemens Faller, ein Elsässer, sich in Österreich umsah. Sowohl der Kaiser wie der Wiener Kardinal-Erzbischof Schwarzenberg und auch Unterrichtsminister Graf Thun waren sehr dafür eingenommen und schlugen verschiedene Orte vor, so Schlackenwerth in Böhmen, Troppau, Bregenz und Feldkirch. Schließlich fiel die Wahl auf Feldkirch, wo eine von der Stadtgemeinde neu erbaute Kaserne (sie wurde erst vor wenigen Jahren abgebrochen und diente bis 1965 noch als Teil des Kollegskomplexes) an der III zur Verfügung gestellt wurde. 1856 konnte bereits mit dem Unterricht begonnen werden.

Da die Innsbrucker Jesuiten für dieses Kolleg nichts übrig hatten, blieb es von vorneherein personell vorwiegend auf deutsche und schweizerische Patres gestützt. Die Gründungsurkunde, von Kaiser Franz Joseph am 21. Mai 1856 unterschrieben, ermächtigte den Vorsteher der deutschen Ordensprovinz P. Faller zur Führung von Gymnasium und Kolleg, was besagte, daß die deutsche Ordensprovinz in Österreich, wo es bereits das Jesuitenkolleg Kalksburg gab, diese's führen würde. Obwohl diese Tatsache manche Friktionen mit sich brachte, wirkte sie sich letztlich, besonders nach dem Beginn von Bismarcks Kulturkampf, der im Zweiten Deutschen Kaiserreich eine Erziehung durch Jesuiten ohnehin ausschloß, äußerst segensreich aus. Die deutschen Jesuiten, die nun in Feldkirch lehrten, und zwar in zwei getrennten Gymnasien, einem österreichischen und einem nach deutschen Lehrplänen (die Professoren, ausnahmslos, bis auf einen Turnlehrer, alles Jesuiten, besaßen die österreichische und die deutsche Lehrbefähigung) geführten humanistischen Gymnasium, waren an Gediegenheit des Wissens und an Strenge der Erziehung den österreichischen Jesuiten ebenso überlegen wie etwa den französischen oder italienischen, so daß die Stella Matutina alsbald zu einer Eliteanstalt im katholischen Bereich wurde, in der nicht nur Österreicher, Schweizer und Deutsche erzogen wurden, sondern auch Eltern aus Frankreich, Osteuropa und Übersee ihre Söhne erziehen ließen.

Unter den Professoren waren nicht wenige, die weltbekannte Persönlichkeiten waren oder wurden, wie der große Geograph und Ptolemaeus-Forscher P. Josef Fischer, Clemens Reichsfreiherr v. Bourscheidt, Alfred des Enfants d'AVernas, der Ameisenforscher P. Wasmann, der Verfasser vieler pädagogischer Schriften P. Ferdinand Theissen, P. Theodor Fritz, der Gründer der Akademischen Vereinigung „Logos“ in Wien P. Friedrich Streicher, die Blutzeugen des Dritten Reiches P. Grimm und P. Delp. Vor allem aber ist die Stella Matutina Erziehungsstätte von Persönlichkeiten gewesen, wie Fürst von und zu Löwenstein (Präsident der Deutschen Katholikentage), Kardinal Bischof Bernhard v. Galen (Münster), einer ganzen Generationenfolge derer von Mallinckrodt, Jon Svesson (Island), Prof. Anton Dörrer, Bundeskanzler Otto Ender, Bundeskanzler Kurt Schuschnigg, Außenminister Guido Schmidt, Fürst Heinrich v. Waldburg-Zeil, Bischof Franziskus von Streng (Basel und Lugano, Sitz Solothurn), Dr. v. Guggenberg (Brixen), Kardinal Franz Ehrle, Kardinal B. Bea, P. Heinrich Pesch (großer Sozialreformer), P. Neil v. Breuning, P. Erich Przywara, Professor Ferdinand Graf v. Degenfeld.

Dennoch: heute muß man um ihren Fortbestand besorgt sein und, so scheint es, nur noch das Gebet kann die Stella Matutina vor dem Untergang retten, nachdem der Pro-vinzialkonsult in Zürich der schweizerischen Ordensprovinz nach vorherigem, nur mehrheitlich gefaßtem Beschluß des Hauskonsults in Feldkirch im Juni 1975 beschlossen hat, dem Ordensgeneral in Rom die Aufhebung und Schließung des Kollegs vorzuschlagen.

Vielfach wird behauptet, daß die Stella Matutina, die irreale, überdimensionierte Pläne für einen Neubau auf ihren Grundstücken am Blasenberg in Feldkirch-Tisis in steilem Felsgelände, unmittelbar an der liechtensteinischen Grenze, hatte (Kosten 250 Millionen Schilling), wegen finanzieller Schwierigkeiten kapitulieren müsse. Das ist ein Irrtum, denn das Land Vorarlberg (Landeshauptmann Herbert Kessler, selbst Altstellaner, und Landes-finanzreferent Rudolf Mandl) erklärten sich und erklären sich auch heute noch bereit, für die Erhaltung der Stella Matutina jedes, aber auch wirklich jedes finanzielle Opfer zu bringen, da es hier um die Erhaltung eines weltberühmten Instituts mit gefestigter katholischer Weltanschauung geht, ein leztes Bollwerk sozusagen gegen die Schulpolitik eines gezielten Antikonservati-vismus. Die Schwierigkeit wird im Mangel an Jesuiten gesehen. Man meint, zu den heute noch voll einsatzfähigen Ordensangehörigen unter den Professoren in Feldkirch (fünf an Zahl) müsse man noch mindestens drei weitere haben. Würde die schweizerische Provinz, die sehr viele Ordensangehörige in den letzten Jahren aus Feldkirch in die Schweiz abgezogen hat, einige wieder nach Feldkirch zurückentsenden, wäre die Schwierigkeit behoben. Aber die schweizerische Ordensprovinz betrachtet' heute Feldkirch, da im Ausland gelegen, nur noch als Anhängsel und „unschweizerisch“, obwohl, wie Landeshauptmann Kessler kürzlich sagte, Vorarlberg durch hundert Jahre Ersatzheimat für die Schweizer Jesuiten gewesen ist

Das als nahezu besiegelt anzusehende Schicksal der Stella Matutina, deren jetziger Rektor P. Eugen Frei einen geradezu heroischen Kampf für die Erhaltung (nebst anderen, durchwegs schweizerischen Jesuiten) kämpft, kann nur noch abgewendet werden, wenn der Ordensgeneral P. Arrupe sich für die Fortführung ausspricht. Die Entscheidung soll im Februar 1976 fallen. Dilettantische Aktionen von lokalen Altstellaner-Vereinigungen — die sehr aktive Wiener ließ man nicht zu — haben hiebei eher geschadet als genützt, denn Altschülervereinigungen sind ihrer Struktur nach eher nostalgischgesellschaftlicher Art. Eher wird eine Aktion der weltlichen Professoren der Anstalt Gewicht haben. Es ist auch an eine (wirtschaftlich-organisatorische) Trägerinstitution gedacht, doch ist 3s die Voraussetzung, daß das Kolleg unter Leitung mindestens eines absolut entscheidungsbefugten Jesuiten bleibt und also ein Jesuitenkolleg. Das kann nicht schwer sein, denn die Schweizerische Ordensprovinz verfügt über ausgezeichnete Persönlichkeiten. Warum also die Flinte ins Korn werfen?

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