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Bischof Stecher: „Erravimus - wir haben geirrt"

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Zur Kirche im Dialog darf hin und wieder ruhig obiges Wort gehören.

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Zur Kirche im Dialog darf hin und wieder ruhig obiges Wort gehören.

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Es gibt sicher Fehlformen des Dialogs -wer kann das abstreiten - inner- und außerhalb der Kirche. Aber diese Fehlformen dürfen nicht davon abhalten, den echten Dialog innner- und außerhalb der Kirche zu suchen. In dieser unseren Welt reichen die Strukturen des Verordnens, Dekretierens und Regierens nicht mehr.

Die Zeit verlangt eine dialogfähige Kirche. Welche Kirche ist nun dialogfähig im besten Sinn des Wortes?

Eine tiefglaubende Kirche. Der wirklich tiefe Glaube ist nämlich von.seinem Wesen her ein dialogischer. Gabriel Marcel hat einmal gesagt, „Wenn man Gott nur in der dritten Person nennt, verfehlt man ihn ..."

Der christliche Glaube ist kein Glaube an ein bloßes „Es", an bestimmte Sätze oder Paragraphen, sondern ein Glaube zu einem „Du" hin. In der Psalmübersetzung Martin Bubers. der den Geist der hebräischen Sprache mit ihrer ganzen Unmittelbarkeit und persönlichen Intensität im Deutschen zum Ausdruck bringt, wird „Jahwe" sehr oft mit „Du", ja wiederholtem „Du" wiedergegeben. Wenn einer, der von Gott spricht, nicht dieses lebendige „Du" im Herzen trägt, bei dem wird das Wort Gott zu Kaugummi. Immer wieder genannt, ekelt es mit der Zeit den Hörer an ...

Eine tiefglaubende Kirche, der man ihre Verbundenheit mit Christus abnimmt, hat den archimedischen Punkt für den Dialog. Sie kann sich darauf einlassen, ohne den Weg der Wahrheit zu gefährden.

Sie ist dann eben eine vertrauende Kirche. Ich meine hier das Vertrauen in das Walten des Geistes, der die Welt durchweht, überall und unberechenbar.

Angst macht dialogunfähig

Die größte Schranke für den Dialog sind die Ängste. Eine angsterfüllte Kirche wird dialogunfähig. Eine Kirche, die nur Gefahren und Abgründe wittert - wie soll sie die Segel für den wehenden Geist setzen? Natürlich heißt es wachsam sein und unterscheiden, natürlich muß man bei voller Fahrt das Lot auswerfen und den Ausguck besetzen, damit man nicht auf Grund kommt oder das Ziel verliert. Aber der Geist ist uns doch verheißen, warum überlassen wir uns ihm nicht ein wenig mutiger? Selbstverständlich sind wir nicht vor allen Einseitigkeiten gefeit - aber wer hat schon einmal ein Segelschiff in voller Fahrt gesehen, das nicht ein bißchen Schlagseite hat?

Dialogfähig ist weiterhin nur eine gebildete Kirche. Zur Bildung gehört nicht, daß man alles weiß. Aber die Kirche braucht sehr viele Menschen, die die so hoch gepriesene Gabe der Unterscheidung haben. Die wissen, was für das Reich Gottes wesentlich und was unwesentlich ist, wo die Sache Gottes auf dem Spiel steht und wo nicht, wo es sich um ein göttliches Gebot oder einen göttlichen Auftrag handelt und wo Menschensatzung zur Debatte steht.

Ich wünsche mir in der Kirche von heute nichts sehnlicher als das. Dummheit in Grundfragen des Glaubens können wir uns wirklich nicht leisten. Mangelnde Horizonte machen auch ihrerseits wiederum Angst. Man ortet Gefahren, wo gar keine sind. Neulich habe ich einen Nebel- und Wolkenflug mit dem Hubschrauber durch Tirol gemacht. Der eingeschränkte Gesichtskreis macht automatisch vieles drohender, gefährlicher. Darum brauchen wir eine Kirche mit geistigem Niveau. Und dieses Niveau züchtet man nicht in Ghettos.

So brauchen wir für den Dialog eine lernbereite Kirche. Man redet immer nur von der lehrenden Kirche - die hat natürlich eine große Bedeutung. Aber damit sie gut lehren kann, muß sie lernbereit und eine hörende Kirche sein. Sie muß wirklich nach dem Grundsatz der Schrift leben: „Prüft alles, das Gute behaltet..."

Wir müssen ja immer wieder neu lernen, weil niemand in der Kirche, kein Lehramt und keine Theologie, je die Wahrheit Christi ausschöpfen kann, weil die weißen Flecken auf der Landkarte unseres Verstehens und Wissens nie aufhören.

„Kirchengeschichtliche Demut"

Und so widersprüchlich das in den Ohren mancher Katholiken klingen mag: die Kirche muß auch von außerhalb lernen. Denn manchmal erlaubt es der Herr, daß außerhalb der Kirche manche Wahrheiten erkannt werden, die in der Kirche bis dorthin verborgen geblieben sind. Ich erinnere in diesem Zusammenhang nur an die Geschichte der Menschenrechte.

Darum glaube ich auch, daß zum Dialog nur eine demütige Kirche fähig ist. Ich meine damit eine Art „kirchengeschichtliche Demut", eine Demut, die einfach aus der nüchternen Erkenntnis entspringt, daß der Weg der Kirche durch die Zeit ein streckenweiser sehr mühsamer und keineswegs triumphaler war. Eine Kirche, die da als stereotype Formel wiederholt „Die Kirche hat immer schon ..." wird nicht leicht dialogfähig sein.

Gewiß hat die Kirche immer schon die Führung des Geistes gehabt. Gewiß ist in der Kirche immer schon der Herr präsent geblieben. Gewiß war in der Kirche immer schon die heilende Botschaft und das Walten der Gnade, der Segen der Sakramente und das Streben zu Gott. Aber es war auch anderes in ihr: Schatten und Abgründe, beschämende Engführungen und versäumte Chancen.

Wer das verdrängt oder gar der Meinung ist, das dürfe man um der Wahrung der Autorität willen nicht zugeben, der verliert die Fähigkeit zum Dialog, weil er die Glaubwürdigkeit verliert. Zur Sprache der Kirche darf hie und da ruhig das Wort gehören: „Erravimus - wir haben geirrt". Und dieses Wort vermisse ich in der Kirchensprache ...

Keine Türen zuschlagen!

Der Dialog verlangt natürlich zutiefst eine weltzugewandte Kirche. Diese Weltzuwendung ist ja mit dem Liebesgebot dem Christentum aufgegeben, es ist auch immer wieder sein Problem und seine Versuchung. Die Geschichte mancher Orden zeigt, wie sehr eine großartige Weltzuwendung und Kulturleistung auch zur Verweltlichung und zum inneren Abstieg führen kann. Sicher verlangt die gesunde Weltzuwendung auch den am Anfang genannten Punkt, den tiefen Glauben und mit ihm eine dazugehörige Distanz von allen Dingen.

Aber wir müssen Gottes Liebe hineintragen in die Welt, verkünden, sprechen, Hemmnisse aufdecken, Barrikaden geduldig beiseite räumen, gefährliche Minen entschärfen, Schwierigkeiten verstehen, Positionen auf ihr Anliegen überprüfen, um Wahrheit ringen, argumentieren, ohne zu indoktrinieren, Überzeugungen darlegen, ohne zu vergewaltigen. Wir müssen eine Kirche haben, die hellhörig auf die Signale der Zeit hört, auf neue Erkenntnisse in vielen Bereichen. Die Kirche von heute muß sich vor einem hüten: Türen zuschlagen...

Der Autor ist Diözesanbischof von Innsbruck.

Der Beitrag dokumentiert (gekürzt) seine Rede am 4. Oktober 1991 anläßlich des 25-Jahr-Jubiläums des „Hauses der Begegnung" in Innsbruck.

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