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Nicht Demolierung und Demontage

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Wir nennen uns Christen, und unser Haus ist die Kirche. Was haben wir aus dieser Kirche gemacht? Wie sieht hier unsere Bilanz aus? Wir haben uns an ein großes „Gründlichmachen” gewagt. Gewiß, es war an der Zeit, und es haben jene unrecht, die meinen, in der Kirche dürfe überhaupt nichts verändert werden. Zum Leben gehört Veränderung. Die Kirche ist kein Karner und kein Museum. Der Weg des Konzils war der richtige Weg. Auch das, was wir mit den Synoden begonnen haben, hier in Österreich, war gut und notwendig. Es war gut und notwendig, weil wir nicht nur die Möglichkeiten, sondern auch die Grenzen des Veränderbaren erkannt haben. Nicht gilt und nicht notwendig, ja gefährlich und schädlich war das, was von mancher Seite in der Verhinderung, aber auch in der Übersteigerung der Reform versucht wurde. Das führte nicht zur Vertiefung, sondern eher zu einer Flucht aus dem Glauben. Und zur Flucht kann alles werden, wenn man in der Beschäftigung mit bloßen Äußerlichkeiten das Allheilmittel sieht. Mit kosmetischen Mitteln werden wir das Antlitz der Kirche nicht attraktiver machen.

Wir wollten das Tor der Kirche weit aufmachen und die Menschen eiňladen, wieder einzutreten. Wenn wir die Kirche aber radikal ab- und ausräumen, können wir uns dann wundern, wenn die Menschen mit ihrem Eintritt zögern? Wir haben die Vernunft bekommen, um sie zu gebrauchen. Wir sollen und wir können mit der Sonde der Vernunft unseren Glauben prüfen. Ein Sprengsatz aber an den Fundamenten des Glaubens ist keine Sonde der Vernunft. Wir -sollen entmythologisieren, wo es möglich und notwendig ist. Aber ein Glaube ohne Geheimnis, ohne unauslotbare Tiefen, ist kein Glaube. Wenn ich alles riiit der Vernunft erklären kann, bräuche ich nicht mehr zu glauben. Reform der Kirche heißt nicht Abbruch der Kirche, heißt nicht Demolierung und Demontierung der Kirche. Nicht nur eine blinde, bloß in die Vergangenheit schauende Reaktion ist der Feind jeder Erneuerung, auch die permanente Revolution ist eine tödliche Gefahr für jede sinnvolle Reform.

Zu jeder Reform, zu jeder Erneuerung gehört auch die freie Aussprache, die freie Kritik. Wir haben alles kritisiert, in der Kirche und an der Kirche. Wir wollten eine glaubwürdige Kirche und meinten, das Aufdecken aller Fehler und Schwächen, aller Runzeln und Geschwüre am Leib der Kirche würde ihre Glaubwürdigkeit erhöhen und auch unsere Glaubwürdigkeit, wenn wir etwa sagten: Seht her, so ist unsere Kirche: falsch, fehlerhaft, krank und häßlich.

Aber ist eine ausgeräumte, demontierte, zum Abbruch freigegebene Kirche eine glaubwürdige Kirche geworden? Ist bei der selbstaerstöre- rischen Suche nach Glaubwürdigkeit nicht der Glaube und die Würde der Kirche veriorengegangen? Ohne Glaube und ohne Würde gibt , es keine glaubwürdige Kirche, für uns nicht und nicht für die anderen.

Die Kirche ist nicht dazu da, einen neuen Humanismus zu predigen, sie ist nicht eine Schatzkammer menschlicher Kultur, kein Hort bürgerlicher Ordnung, und keine Anstalt zur Vorbereitung der sozialen Revolution.

Zu all dem braucht man die Kirche nicht; wenn man sie auch immer dazu mißbrauchen wollte. Die Kirche ist dazu da, den Glauben zu verkünden und weiterzutragen, einen Glauben, den wir nicht erfunden und konstruierten, nicht philosophisch ausgeklügelt haben, sondern einen Glauben, der uns geoffenbart wurde. Dieser Glaube ist kein sieghafter, kein triumphalistischer Glaube, er ist ein sehr hilfebedürftiger Glaube, wir müssen täglich um ihn ringen und um ihn beten.

Wir nennen uns Christen und haben uns gefragt, ob wir es sind. Aber als Christen sind wir auch immer Kinder unseres Volkes, Bürger unserer gesellschaftlichen und staatlichen Gemeinschaft, Bürger auch dieser Welt. Es gibt nicht nur eine Flucht aus dem Glauben, es gibt auch eine Flucht in den Glauben. Flucht in den Glauben wäre es, wenn wir so täten, als ob uns als Christen nur das ewige Heil, nicht aber das zeitliche Wohl unserer Umwelt etwas anginge. Unser Wohlstand, Brot und Verdienst, der Friede im Land, die Ordnung in unserem Staatswesen, kann und soll uns mit Freude und Dankbarkeit erfüllen. Aber wir leben auf keiner Insel. Was immer in dieser Welt geschieht, berührt uns auch, wenn nicht heute, so doch morgen.

Deshalb müssen wir unser eigenes Haus in Ordnung halten. Wir müssen wachsam bleiben. Gerade die Demokratie ist eine mühsame und immer bedrohte Gesellschaftsordnung. Wir müssen wachsam sein, daß die politischen Auseinandersetzungen — so notwendig sie in der Demokratie sind — nicht in Streit und Gezänk ausarten, daß die Auseinandersetzungen um das größte Stück vom gemeinsamen Kuchen nicht eines Tages unser tägliches Brot gefährden, daß jene ‘ nicht Zurückbleiben, die mit ihrer Arbeit unseren Tisch decken: unsere Bauern. — Auch eine Demokratie und gerade eine Demokratie müß stets auf der Hut sein. Hoffen wir, daß es nie dazu kommen wird, daß Unsere Demokratie sich gegen ihre Feinde verteidigen muß. Wenn es aber sein muß, dann muß sie auch die Kraft dazu haben.

Die Kirche braucht die Christen, die Demokratie braucht die Demokraten! Die Schwärmer sind für beide eine Gefahr. Der Ruf nach schrankenloser Freiheit wird oft nur zu einem Vorwand, hinter dem sich die Kräfte einer neuen Unfreiheit, einer neuen Intoleranz formieren.

Wir glauben als Christen und als Österreicher an einen Weg der Mitte in der Kirche und in unserem Land. Wir glauben, daß es diesen Weg der Mitte in der Kirche geben muß, gleich weit entfernt vom Extrem einer nur im Vergangenen verhafteten Reaktion und dem Extrem einer permanenten Revolution, die nur noch zerstören und nicht mehr erneuern kann. Wir glauben an diesen Weg der Mitte auch im Staat zwischen erstarrten demokratischen Formeln auf der einen und der Auflösung und Zersetzung aller gesellschaftlichen Strukturen .auf der anderen Seite. Wir glauben an diese Mitte, die aber immer vorne liegt, die nicht eine statische, sondern eine dynamische Mitte ist, dem Vergangenen verbunden, aber in die Zukunft ausschreitend. Das ist unser Glaube und unsere Hoffnung als Christen und als Österreicher.

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