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Der Mensch als Weg der Kirche

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Man tut sich immer noch schwer, Papst Johannes Paul II. „einzuordnen". Während sich aber im innerkirchlichen Bereich sein Profil immer klarer abzuzeichnen beginnt, hält er sich in gesellschaftspolitischen und weltanschaulichen Fragen eher zurück.

Von manchen Seiten wurde das Gegenteil erwartet. Manche hatten gehofft, daß der Papst aus Polen gegen den Kommunismus als Weltanschauung eine härtere Linie einschlagen werde als sein Vorgänger. Das ist nicht geschehen..

Trotzdem läßt sich bereits heute eine gesellschaftspolitische Grundorientierung des neuen Papstes aufzeigen. Um diese in ihrem Zusammenhang zu verstehen, scheint es wichtig, auf drei Erfahrungen hinzuweisen, die Johannes Paul II. wesentlich geprägt haben. Die erste ist die persönliche Erfahrung der Brutalität, mit der Menschen von Menschen ausgebeutet, gefoltert und ausgerottet wurden. Er selber nennt das die Erfahrung der „Erniedrigung des Menschen bis in ungeahnte Abgründe".

Die zweite Erfahrung ist die Tatsache, daß dieser Papst aus einem Land kommt, wo die Kirche nur sehr begrenzt über eigene Institutionen verfügt und wo ihr direkter gesellschaftspolitischer Einfluß sehr gering ist. Trotzdem kam es in Polen zu keiner Trennung von Kirche und Volk und vor allem zu keiner Trennung zwischen Kirche und Arbeiterschaft.

Diese Tatsache gibt dem polnischen Katholizismus ein eigenes Selbstbewußtsein. Die Kirche kann auch ohne große Institutionen die Menschen religiös-sittlich prägen und diese so geformten Menschen leisten einen unabdingbaren Beitrag für das wirtschaftliche, soziale und kulturelle Leben des Landes.

Schließlich eine dritte Erfahrung: Es ist auffallend, daß sich Papst Johannes Paul II. in seinem bisherigen reichen Schrifttum wenig mit der Weltanschauung des Marxismus auseinandergesetzt hat. Als er im Juni 1979 in Polen war, sprach er sehr bewußt davon, daß die Seele des geeinten Europa auch in Zukunft das Christentum sein werde.

Dieser Papst kennt kein weltanschaulich geteiltes Europa: eines, das aus dem Christentum lebt und eines aus dem Marxismus. Er ist überzeugt, daß andere „Weltanschauungen" imstande sind, wirtschaftliche, soziale und politische Systeme zu erstellen und zu erhalten, daß es ihnen aber nicht gelingt, von den breiten Massen als Lebensbegründung und Sinndeutung angenommen zu werden.

Aus diesen drei Erfahrungen formt sich die gesellschaftspolitische Grundoption dieses Papstes: die Verantwortung für den Menschen oder, wie er es in seiner ersten Enzyklika formuliert: „Der Mensch ist der Weg der Kirche". Freilich ist das für ihn nicht der „verstümmelte" Mensch, d. h. der Mensch, der einzig von seinem materiellen Interesse bestimmt wird, sondern jener, der um seine geistig-religiöse Herkunft weiß und dort seine letzte Würde erfährt.

Die konkreten gesellschaftspolitischen Aussagen dieses Papstes kreisen immer wieder um diesen Zentralbegriff. Das läßt sich z. B. in seiner besonderen Sorge um Ehe und Familie aufzeigen. Dabei geht es ihm keineswegs um theoretische Aussagen, sondern um das konkrete Überleben der Familie in der Zerreißprobe der modernen Gesellschaft. Die gleiche Sorge um den Menschen zeigt sich in dem, was er als die „Zonen des Hungers, der Unterernährung, der Verelendung, der Unterdrückung" sieht.

Die Lösung dieser „gigantischen Aufgabe" ist nach seiner Meinung mit den gegenwärtigen „Mechanismen und Strukturen" nicht möglich. Es braucht dazu eine radikale Bekehrung in den Industrieländern, um sich von der Diktatur der materialistischen Mechanismen zu befreien. Die Sorge um den Menschen zeigt sich schließlich im unermüdlichen Eintreten dieses Papstes für die Menschenrechte. Papst Johannes Paul II. weiß nur zu gut, daß es zwischen dem toten Buchstaben und der konkreten Praxis groteske Unterschiede gibt. Eines ist für ihn klar: Wer vor den Rechten der Menschen nicht haltmacht, macht auch nicht halt vor den Rechten ganzer Völker.

Wir haben noch keine „Soziallehre" des Papstes Johannes Paul II. Dafür ist sein Pontifikat zu kurz. Eines aber läßt sich bereits sagen: Dieser Papst scheut sich nicht, zu den Fragen des gesellschaftlichen Lebens Stellung zu nehmen. Er tut es aber nicht in einer großen Theorie, sondern in der konkreten Sorge um den Menschen.

Kurzfassung des Referates von P. Johannes Schasching SJ, Universitätsprofessor für Soziologie an der Päpstlichen Universität, anläßlich der Kunschak-Preisverleihung am 15. März.

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