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Rerum novarum- noch heute

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Papst Pius XII. an die Arbeiter Roms zum 62. Jahrestag der Enzyklika „Rerum novarum“ am Feste Christi Himmelfahrt, 14. Mai 1953

Geliebte Söhne, liebe Arbeiter! Der heutige Tag ist in diesem Jahr besonders geeignet als Gedenktag der Enzyklika „Rerum Novarum“. Es ist der Beachtung wert, daß die Gedanken, die das heutige Fest anregt, bis zu einem gewissen Grad mit den Lehren der denkwürdigen Enzyklika Leos Xlll. zusammenfallen. Sie sind der Grundgedanke der Kirche in der Arbeiterfrage.

Aber — mag einer fragen — hat er denn damals nicht die Blicke der Gläubigen, aller guten Menschen, nicht eigentlich zum Himmel, sondern auf das gegenwärtige Leben gerichtet, auf den traurigen Zustand der Lohnarbeiter jener Zeit, mitten in einem Industrialismus, der noch sehr ungeordnet und zügellos war? Hat er denn nicht entschieden im Namen Christi die Reform, die Verbesserung von irdischen Bedingungen und Einrichtungen gefordert? Hat er nicht an die Eigentümer der Produktionsmittel und an die Betriebsführer die Ermahnung gerichtet, die auch heute noch wert ist, daß man sie hört:

„daß weder göttliches noch menschliches Gesetz erlauben, um eigener Vorteile willen die Armen und Bedürftigen zu unterdrücken, und mit fremdem Elend Handel zu treiben?“

Ja, so ist es. Als Leo XIII. seine Stimme für Wahrheit und Gerechtigkeit in der Arbeiterfrage erhob, wollte er, daß die Menschen, und zumal die Arbeiter, mit beiden Füßen auf der Erde stünden. Hier unten sollten sie sich als Christen um die rechte Ordnung kümmern. Jedoch kann der Mensch, den Gott erschaffen und erlöst hat, nicht beide Füße auf der Erde haben, ohne den Blick zu Gott zu erheben. Eine wirkliche Ordnung kann hier auf Erden nicht erreicht und auch nicht der Verwirklichung nahegebracht werden, wenn sie sich nicht auf das Jenseits bezieht. Das ist ein wesentlicher Gedanke von „Rerum Novarum“: „Es ist unmöglich (liest man da), die irdische Pflicht zu betrachten und in gebührende Erwägung zu ziehen, wenn sich der Geist nicht zur Betrachtung eines anderen Lebens, nämlich des ewigen, erhebt, ohne daß der Begriff des sittlich Guten verschwindet und das ganze Weltall ein unerklärliches Geheimnis wird.“

Dennoch ist in ,,Rerum Novarum“ nicht nur die Wiederherstellung der sozialen Ordnung In der Welt auf das innigste mit dem überirdischen Ziel des Menschen verknüpft, sondern auch die Erneuerung der gegenseitigen Beziehungen zwischen denen, die in der Wirtschaft tälig sind, die Pflege der alltäglichen, konkreten menschlichen Beziehungen zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern, zwischen Betriebsleitern und Angestellten. Unmittelbar vor den zitierten Textstellen und in engem Zusammenhang mit ihnen lehrt die Enzyklika, daß die Kirche nicht nur eine gerechte Wirtschaftsordnung anstrebt, sondern „noch höhere Ziele hat; daß sie darnach trachtet, die beiden Klassen möglichst einander nahezubringen und ein freundschaftliches Verhältnis zwischen beiden herzustellen“. Werden die wahre Menschenwürde und das überirdische Ziel von allen Menschen Tag für Tag wirklich gelebt, so wird auch der Betrieb zu jener Arbeitsgemeinschaft, wie sie die Enzyklika wünscht. Dann werden die einen die anderen in Wort und Tat mit Hochachtung begegnen, ihre Arbeit erleichtern und, sei sie noch so bescheiden, anerkennen; ihnen jene Stelle zuweisen, die am besten ihrer Fähigkeit und dem Verantwortungsbewußtsein eines jeden entspricht. So ergibt sich, daß schon früher Leo XIII. und die Kirche darauf hingewiesen haben, wie hochbedeutsam es sei, diemenschlichen Beziehungen im Betrieb zu pflegen.

Heute vollziehen sich die Produktion und der Verbauch der Wirtschaftsgüter in einer Gesellschaft, die dem Fortschritt weder Maß noch Harmonie noch Dauerhaftigkeit zu geben weiß. Hier ist die Quelle, aus der — vielleicht noch mehr als aus den äußeren Bedingungen unserer Zeit — jenes Gefühl der Unsicherheit, jenes Fehlen von Sicherheit hervorströmt, das man in der modernen Wirtschaft feststellt; eine Unsicherheit, die nicht einmal die Hoffnungen auf die Zukunft erträglicher machen können. Wenn — wie man ein verheißungsvolles Bild malt — die Maschine dazu bestimmt wäre, die Zeit der Arbeit und Anstrengung immer mehr, sozusagen bis zum äußersten zu verringern, so müßte auch die Freizeit zwangsläufig ihren natürlichen Sinn als Zeitspanne der Erholung zwischen zwei Augenblicken der Tätigkeit verlieren. Sie würde das Vorherrschende im Leben werden und zum Anlaß neuer und oft kostspieliger Bedürfnisse, wie auch anderseits eine Erwerbsquelle für diejenigen, die sie befriedigen. Das echte Verhältnis des wirklichen und normalen Bedarfes und der künstlich erweckten Bedürfnisse wäre somit gestört. Die Einkommen würden notwendigerweise steigen, wären aber sehr bald nicht mehr hinreichend. Der Mangel an Sicherheit bliebe bestehen, da die Volkswirtschaft von einer Menschheit hervorgebracht würde, und eine Menschheit voraussetzte, die vom geraden und rechten Maßstab ihres Wesens abgewichen ist. Leo XIII. jedoch hat in „Rerum Novarum“ den gesunden Menschen vor Augen, der ein den christlichen Grundsätzen gemäßes Leben führt. Deshalb legt er in seiner Enzyklika besonderen Nachdruck auf die Einhaltung der Festtage. Für ihn ist dies ein Zeichen, das erkennen läßt, ob und inwieweit es den gesunden Menschen und die wahre Harmonie des Fortschrittes in der menschlichen Gesellschaft noch gibt. Wenn er die Arbeiterfrage mit der Festtagsruhe und Sonntagsheiligung in Verbindung bringt, so sieht er klar und tief: man kann das äußere Wohl, zumal das des Arbeiters, nicht von einer Produktionsweise ervjarten, die vom Arbeiter und seiner Familie verlangt, regelmäßig den Sonntag zu opfern. Dies kann noch weniger aus einer Lage der Dinge erwachsen, in welcher der Sonntag nicht, wie ihn Gott gewollt, ein Tag der Ruhe und Erholung in einer Atmosphäre echter Frömmigkeit ist. Die Technik, die Wirtschaft und die Gesellschaft offenbaren den Grad ihrer sittlichen Gesundheit an der Art. und Weise, die Sonntagsheiligung zu begünstigen oder zu behindern.

So besteht kein Zweite!, daß die Behauptung über die transzendente Bestimmung des Menschen das Herzstück der 'Lehre Leos XIII. über die Arbeiterfrage darstellt An euch ist es, geliebte Söhne, in den einzelnen Fällen immer wieder standhaft die praktischen Anwendungen zu machen, von denen Wir nur andeutungsweise haben sprechen können. (Auszugsweise.)

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