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Marx und die Wahrheit

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IST DIE KATHOLISCHE SOZIALLEHRE ANTIKAPITALISTISCH? Beiträge tur Enzyklika „Populorum progressio“ und zur Offenburger Erklärung der Sozialausschüsse. Herausgeber Anton Rauscher. Verlag J. P. Bachem, Köln, 194 Seiten, brosch.

Das vorliegende Buch stellt eine Sammlung von Aufsätzen dar, die bereits an anderen Stellen publiziert worden’ sind, und beschäftigt sich mit zwei Fragenkomplexen, die keineswegs in einem eindeutigen Zusammenhang stehen.

Teil I bringt die Publikation von Stellungnahmen zur Enzyklika „Populorum progressio“, während Teil II die Offenburger Erklärung der Sozialausschüsse zum Gegenstand hat, also eine Proklamation, an der auch evangelische Mitglieder der CDU beteiligt gewesen sind, weshalb die Titelfrage nicht ganz zutreffend ist.

Die Diskussion um die Enzyklika leidet unter dem allmählich immer ‘deutlicher werdenden Sachverhalt, daß man weder in der Sozialwissenschaft noch in der (sogenannten) katholischen Soziallehre einen angemessenen Begriff für den Kapitalismus gefunden hat Da auch in der vorgelegten Arbeit keine Arbeitshypothese zugrunde gelegt wurde, kann die Titelfrage schwer beantwortet werden. Nicht unwesentlich ist auch, daß die katholische Soziallehre kein Katalog von Rezepten, sondern von offenen Sätzen (nach Wal raff) ist, von ewigen Wahrheiten, die jedoch mit der jeweiligen Situation konfrontiert wen? den müssen, so daß man nicht von der katholischen Soziallehre, sondern nur von sozial relevanten, ewigen christlichen Wahrheiten sprechen müßte.

Nell-Breuning ist der Ansicht, daß man die christliche Soziallehre von der Eigentumsproblematik her sehen müsse: Das Eigentum wird funktionalistisch, in seiner Bedeu-tung für das Humanum interpretiert und klassifiziert.

H. Helbling nimmt (in einem Aufsatz in den NZZ) von einem sozialkonservativen Standpunkt aus zur Enzyklika Stellung.

J. Messner weist darauf hin, daß die Enzyklika, wiewohl sie da und dort Termini aus dem Sprachkatalog des Marxismus verwendet, lediglich mit der Zielkonkurrenz von Einzel- und Gemeinwohl befaßt ist.

W. W. Weber untersucht unter anderem Fragen des Stils der Enzyklika ebenso wie der Übersetzung und hält fest, daß sich die Enzyklika ebenso wie die katholische Soziallehre an kein säkulares sozialökonomisches System bindet. Die scheinbare Einseitigkeit der Enzyklika hängt damit zusammen, daß sie sich an bestimmte Gruppen wendet.

Die im zweiten Teil des Buches publizierten Auseinandersetzungen um die Offenburger Erklärung werden zwischen Sozialkonservativen (Götz Briefs, Wilfried Schreiber unter anderem) auf der einen Seite und Heinz Budde von der KAB auf der anderen Seite mit einer beachtlichen Vehemenz geführt und können in Österreich nur verstanden werden, wenn man das Sozialklima der Bundesrepublik und die bisher weithin verschlossen gewesene Subgesellschaft des deutschen Katholizismus kennt Auch im zweiten Teil zeigt sich die Notwendigkeit, daß die Katholiken endlich einmal zu Arbeitshypothesen übergehen und versuchen, eine gemeinsame Sprache zu führen. Man kann nicht sozial romantische und wissenschaftlich» Gespräche auf der gleichen Eben führen. Überdies scheint die Sozialkontroverse im deutschen Katholizismus, die als durchaus befruchtend angesehen werden muß, auch ein Generationenproblem zu sein — wie seinerzeit in Österreich.

In einem sehr gehaltvollen und abgewogenen Schlußwort versucht der Herausgeber eine Begriffserklärung, die ihm vielfach gelungen ist, wenn er auch bis auf Pesch zurückgeht.

Der Text der umstrittenen und sozialreformatorisch kühnen Offenbürger Erklärung bildet den Abschluß des instruktiven Buches.

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