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Österreichs Kirche in sowjetischer Sicht

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Vor kurzem erschien in Moskau die Studie von O. I. Welitschko. Die Soziallehre des Katholizismus und die Arbeiterklasse in Österreich. Auf über 170 Seiten erweist sich der Verfasser, ein Mitarbeiter des „Instituts der internationalen Arbeiterbewegung“ der Akademie der Wissenschaften der UdSSR, als mit der Lage des österreichischen Katholizismus und der katholischen Soziallehre mit

wenigen Ausnahmen bestens vertraut. Wie sieht ein sowjetischer Zeitgeschichtler die Lage der Kirche in Österreich nach 1945, ihr Verhältnis zur Politik und den politischen Parteien, überhaupt ihren öffentlichen Einfluß und die katholische Sozialdoktrin, wie sie von wichtigen Exponenten im Land vertreten wird (Auflage 1100, Preis 95 Kopeken). Um es gleich vorwegzunehmen: Die Darstellung ist um Objektivität bemüht, verwendet viele österreichische Quellen und Literatur

und ist im großen und ganzen wohlinformiert und zutreffend.

Der Autor attestiert der Kirche in Österreich schon im Vorwort wie auch an Hand des Datenmaterials im Buch, daß sie durch Anpassung an die Gegenwart im Geiste des ü. Vatikanischen Konzils eine „seriöse Komponente des gesellschaftlichen Lebens des Landes“ nicht nur weiter bleiben

möchte, sondern es faktisch geblieben ist. Als Ziel semer Studie gibt er an: Die Analyse der Soziallehre des Katholizismus, den er offenbar eng verbunden sieht mit der ÖVP. So behandelt er den Einfluß dieser Soziallehre auf die Leitlinien der Politik der ÖVP und von daher die Rolle dieser Lehre im Leben der gegenwärtigen österreichischen Gesellschaft. Als weitere Arbeitshypothese geht Welitschko von der Annahme aus, daß die politische Geschichte der Zweiten Republik klar die

Krisis des christlichen Konservativismus aufgedeckt habe. Daher hätten die letzten Jähre auch deutlich gezeigt, nur die Aufrechterhaltung des Erneuerungskurses im Weltkatholizismus biete seriöse Auswirkungen für die Kirche und den Sozialkatholizismus in Österreich.

Welitschko schildert das katholische und kirchliche Organisationswesen, die katholischen Schulen werden ebenso behandelt wie die Kathpreß, die Katholische Sozialakademie oder das Institut für Kirchliche Sozialforschung. Die Zahlen des Priesternachwuchses werden registriert wie sich KAJ und KAB wiederfinden mit Nennung der Namen ihrer Funktionäre. Ausführlich werden Reden und Publikationen von Kardinal König zitiert, aber auch etwa Bischof Rusch ist nicht vergessen. Prälat Simmerstätter und Prof. Ferdinand Holböck führen die Liste der Traditionalisten an. Nach der Behandlung der SOG wieder folgt die Würdigung der Linkskatholiken, zuerst August M. Knoll, dann Wilfried Dahn und auch die Theologen Adolf Holl und Friedrich Schupp werden erwähnt.

Einen gewissen Raum nehmen auch Kontakte zwischen Katholiken und Kommunisten ein, wobei dem an sich konservativen Katholizismus des

Landes ein gutes Zeugnis ausgestellt wird für seinen „Beitrag zur Sache der friedlichen Zusammenarbeit der europäischen Völker“. Betont wird sogleich, daß damit der ideologische Kampf im Dialog zwischen Katholiken und Kommunisten nicht aufgegeben werde, denn der Katholizismus gebe in den Augen der Kommunisten nicht die Hoffnung auf, seinen Einfluß auf die Massen der Werktätigen zu bewahren und weiter seine bürgerlichen und reformistischen Ideen dazu zu benützen, um eine Alternative zum realen Sozialismus zu konstruieren.

In diesem Zusammenhang gehört wohl die spätere Nennung des Treffens vom November 1971 im Rahmen der Friedensforschung der Wiener Katholisch-theologischen Fakultät von Katholiken und Marxisten zu Fragen der europäischen Sicherheit. Der Bericht über ein Dialoggespräch Dordett-Hol-litscher-Kowalskij-Weiler für das kommunistische Journal „Probleme des Friedens und des Sozialismus“ 1974 verbreitet sich dann über ein Dementi aus dem römischen Sekretariat für die Nichtglaubenden, die beiden Theologen unter den Gesprächspartnern hätten ohne Wissen und Auftrag des Sekretariats gehandelt (was sie gar nicht behauptet hatten!)

Erstaunlich gründlich und objektiv

ist die Darstellung der ideellen Entwicklung des österreichischen Katholizismus beginnend mit Bolzano über Vogelsang bis Kunschak. Für die gegenwärtige christliche Soziallehre wird auf mehreren Seiten das Opus von Johannes Messner referiert. Hier hegen echte Ansätze zu einem „Verständnis“ vor und zur Fortsetzung eines wissenschaftlichen Gesprächs über Sozialethik.

Im Schlußwort muß dann die objektive Untersuchung in ein Fortschrittschema auf Grund der vorausgesetzten Entwicklung der Basis einmünden, daß die konservativen Kräfte im Katholizismus Österreichs den progressiven weichen würden und sich die Einheit der Arbeiterklasse für die Zukunft sicher anbahnen würde.

Man sollte diese gründliche sowjetische Untersuchung dennoch zur Diskussion aufgreifen. Es ist sicher von Nutzen, zu sehen, was andere von Österreichs Katholizismus halten. Eine interessante Stimme, über die Katholizismus-Diskussion wohl hinaus, hegt hier vor. Schade, daß viele Personen und Organisationen zu dieser Publikation aus Sprachgründen keinen unmittelbaren Zugang finden können.

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