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Magna Charta des freien Wortes

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„Der Heilige Vater benützt stets gerne die sich ihm bietenden Gelegenheiten, um den Vertretern der Presse die Achtung auszudrücken, die er ihrem wichtigen und schwierigen Beruf entgegenbringt. Doch erweisen sich wenige Umstände in dieser Hinsicht so günstig wie die periodisch von der Internationalen Union der Katholischen Presse veranstalteten Kongresse. Nach Rom und Paris wird nun die nächste Tagung in der altehrwürdigen und berühmten Hauptstadt Oesterreichs abgehalten, und die zeitliche Nähe dieses Weltkongresses zu dem des Laienapostolats, wird ihm heuer zweifellos eine Teilnahme auf erweiterter internationaler Grundlage sichern.“

Mit diesen Sätzen beginnt eine Kundgebung Pius' XII. an den Wiener Kongreß 1957, übermittelt durch den päpstlichen Substitut Dell' Acqua. Es ist ein großer Unterschied, ob Männer eines Berufes und Verbandes sich über ihre Aufgaben und Schwierigkeiten Gedanken machen oder ob eine höchste Autorität diese ihre Versammlung zum Anlaß nimmt, um die Weltöffentlichkeit auf etwas aufme r k- sam zu machen.

In einem überaus kritischen Moment der Weltpolitik, in dem sehr viel davon abhängt, ob es gelingt, einer gefährlichen Verwirrung der Geister zu entrinnen und klar in die Zukunft zu sehen und zu gehen, ergreift Pius XII. das Wort, um, nach Wien hin und über Wien hin, die Weltöffentlichkeit anzusprechen.

Nach Wien hin: Pius XII. stellt „die altehrwürdige und berühmte Hauptstadt Oesterreichs“ in direkte Beziehung zu Rom, zur Mutterstadt der katholischen Christenheit, und zu Paris, das seit dem Mittelalter so oft sich als Mutterstadt der katholischen Theologie und Wissen-, schäft erwiesen hat.

Wien, hart an den Grenzen einer Welt, in der eine andere „öffentliche Meinung" „gemacht“ wird, als im Westen: Wien, die Stadt, in der sich soeben die Atombehörden der UNO einzurichten beginnen, während in Ost und West die Atomwaffenversuche in gesteigertem Maße weitergehen — und, Tag und Nacht, ein atomares Feuerwerk von „Nachrichten", „Meldungen“, „Berichten“ und „Kommentaren“ über die Menschheit niedergehen, welche die Sonne der Wahrheit verdunkeln, mehr als die Schwärme der Heuschrecken das Aegypten der Pharaonen.

Eben hier nimmt Pius XII., einer der wenigenwahrenVäterderMensch- heit heute, das Wort. Und er spricht (unter Hinweis auf seine Rede vom 15. April dieses Jahres) von dem „Entsetze n“, das „der Strom der heute von der Technik der Nachrichtenübertragung verbreiteten Irrtümer und falschen. sittlichen Grundsätze erregt".

Der Vergiftung der Menschheit durch radioaktive Strahlen und deren Einwirkungen auf Erde, Lebensmittel, Körper von Mensch und Tier, von Luft, Wasser. Land und Ströme entspricht genau die Vergiftung der Menschheit durch die weitverbreitete, wahrhaft globale Verfälschung der Wahrheit durch die Mittel der Publizität im Dienste der Mächte.

Pius XII. betont: „daß es v i e 1 e r I e i W e i- sen gibt, eine Meldung zu verfälschen". „Leichtfertigkeit“, „mangelnde Objektivität , „mangelnde Redlichkeit bei denen, die ein Kommunique, eine Agenturmeldung bis zur Entstellung verstümmeln oder nur Nachrichten aufnehmen, die ihren eigenen Auffassungen entsprechen und die übrigen Nachrichten mit einer wahren Verschwörung des Schweigens umgeben ..

Der Heilige Vater könnte hier selbst als Betroffener ein Lied der Klage und Anklage anstimmen: wie oft zitieren auch katholische Organe aus seinen Reden und Kundmachungen nur das, was ihnen politisch und interessenmäßig gerade passend erscheint. Mit vollem Nachdruck erklärt hier nun Pius XII.: Die öffentliche Meinung „will aufgeklärt werden, doch weder gezwungen, noch verführt und betrogen“; Hier hat gerade auch die katholische Presse die Aufgabe, „unpharisäisch nachzuforschen, ob sie nicht selbst mitunter die Fehler einer Zeit beging, in der die Versuchung so naheliegt, eine allzu leicht beeinflußbare Oeffentlichkeit irrezuführen“.

Diese Sätze bilden einen Angelpunkt dieses päpstlichen Schreibens, dieser Magna Charta des freien Wortes, der freien Presse — deren Aufgaben heute ungeheuer gestiegen sind, da die Massen überall dazu neigen, sich verführen zu lassen: durch Nachrichten und Berichte, die ihnen „angenehm“ sind, die ihren vorgefaßten Meinungen „entgegenkommen".

Pius XII. greift hier gleich einen der heikelsten Punkte katholischer und jeder universalen Berichterstattung auf: das Verschweigen von „unangenehmen", in die eigene Position nicht passenden Nachrichten, und er tut es in einem Zusammenhang, der an sich allein Aufsehen erregen sollte: „ es gibt gewichtige Fragen, die andere Kontinente bewegen als den unseren Wozu warten, um darüber zu sprechen, daß irgendein aufsehenerregendes Ereignis den Blick auf diese Fragen lenke? Weshalb, vor allem, eine schwankende öffentliche Meinung unnötigen Erschütterungen aussetzen, nur weil man es unterlassen hat, ihr rechtzeitig die passenden Informationen zu erteilen, die zu erhalten sie das Recht hatte?"

Verängstigt und verengt blicken heute Christen und Nichtchristen in unseren freien Ländern in die Eine Welt, sehen immer neue schreckenerregende Entwicklungen und Tatsachen — und werden irre und verwirrt, mutlos und hilflos, weil sie nicht vorbereitet, nicht aufgeklärt wurden über das, was hier zugrunde liegt und sich oft in Generationen vorbereitet hat

Hier hat der katholische Publizist, dessen Berufserfordernisse, wie Pius XII. anerkennt, „fast übermäßig“ sind, eine Funktion zu erfüllen, die unersetzbar ist: er hat. „einem lebenspendenden Blute gleich, die genauen und ausführlichen Nachrichten in Umlauf (zu) bringen, die den Gläubigen den Sinn für Katholizität vermitteln“, und hat in diesem Sinne den Leser „heranzubilden“, durch eine Presse, „die herzlich gern auf die leeren Vorteile eines niedrigen Beweggründen entspringenden Interesses oder einer üblen Volkstümlichkeit“ verzichtet und es versteht, „sich mit energischer und stolzer Würde zu behaupten,

unzugänglich allen unmittelbaren oder mittelbaren Korruptionsversuchen “

Der katholische Publizist, der so seine Funktion in der mit Lügen, Phrasen, Täuschungen und Selbsttäuschungen überschütteten Welt übernimmt, „wird damit zum Sprecher einer freien und h e r a n g e r e i f t e n öffentlichen Meinung. Er legt das Nachdenken nahe, ohne das Urteil zu erzwingen, er reißt zur Tat hin, ohne dem Entschluß Gewalt anzutun; er weckt Begeisterung für große Sachen, ohne die Leidenschaft der Menge aufzupeitschen“.

Pius XII. stellt hier in klaren Worten die Aufgabe einer wirklich freien Presse im Zeitalter des tausendfachen kalten und heißen Krieges heraus. Diese wirklich freie Presse hat zu führen, nicht zu verführen. Auch nicht zu verfüh

ren zu dem, was sie selbst, befangen in engen Positionen, für „wahr“ und richtig hält.

Es gibt, angesichts, der Vielfältigkeit und Größe der heute zur Debatte stehenden Lebensfragen, im Konkreten sehr verschiedene Ansichten. Der Heilige Vater ermahnt eben deshalb die Männer der katholischen Presse, daß sie, gerade in Ausübung ihres „Apostolats der Feder“, „untereinander gerechtfertigte Meinungsunterschiede dulden“. — Vielleicht ist, im Laufe der letzten einhundert Jahre, die christliche Oeffent- lichkeit durch nichts so sehr verengt und verdüstert worden wie durch den Unwillen und die Unfähigkeit ihrer Presse, sachlich bedingte Auseinandersetzungen über die Wege in die Zukunft, in die Freiheit, in die Katholizität der eben erst beginnenden Neuzeit, in guter, die Oeffentlichkeit bildender, nicht verführender Form auszutragen.

Ziel und Krönung aller Pressearbeit ist, so

erklärt Pius XII. unter Hinweis auf eine Rede von 1 9 4 6 (als die freie Welt eben begann, sich ąus den Bränden des Hasses zu lösen!), die Liebe.

Die Liebe Gottes, die Liebe des Nächsten, die rechte Liebe zum eigenen Beruf: zur Berufung, sich selbst und den Mitmenschen so weit zu bilden, zu erziehen, daß wir alle immer mehr Wahrheit „vertragen“, aufnehmen können.

Diese Papstbotschaft vom Herbst 1 9 5 7 nach Wien und über Wien an die öffentliche Meinung der Welt, r uf t den Mu t a n. Den Mut aller Menschen, die ein freies, gesundes, besseres Leben suchen und immer mehr erkennen, daß sie es nur durch die Wahrheit finden werden. — Durch die ganze Wahrheit.

Ihrer Selbstfindung zu dienen, ist unser aller schweres, hartes und schönes Geschäft.

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