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Bloß keine Dekoration!
Fast stereotyp kommt seitens JLaer polnischen Regierung immer ein Nein auf Versuche gesellschaftlicher Gruppen, Personenkomitees und Einzelinitiativen, mit der Regierung zur Lösung der seit langem anstehenden wirtschaftlichen Probleme Polens ins Gespräch zu kommen. Ein „Konsultationsorgan beim Staatsrat“ ist das äußerste Angebot an die diversen gesellschaftlichen Kräfte. Mit wem man zu sprechen bereit ist, das zu entscheiden will sich die Regierung selbst vorbehalten.
Lech Walesa und seinem „Provisorischen Rat von Solidarnosc“ hat man längst eine Absage erteilt ( FURCHE 43/1986).
Der aufsehenerregenden Erklärung von neun prominenten Persönlichkeiten des kulturellen Lebens, der katholischen Publizistik und der verbotenen Gewerkschaft Solidarnosc — unlängst im Krakauer „Tygodnik Powszechny“ veröffentlicht ( FURCHE 46/ 1986) — konnten staatliche Stellen in Polen nur wenig abgewinnen. Obwohl die Wirtschaft Polens nur mehr mit Auslandshilfe saniert werden kann — in dem Appell werden vor allem die USA zu geeigneten Maßnahmen und zur Aufhebung der wirtschaftlichen Sanktionen gegen Polen aufgefordert — sieht die polnische Regierung in der „Tygodnik“-Erklä-rung nur eine Schützenhilfe für die amerikanische Polenpolitik.
Dem jüngsten Versuch des Sprechers der Polnischen Bischof skonferenz, Alojzy Orszulik, das Recht auf freie Vereinigungen als Mindestvoraussetzung für einen wirklichen Dialog zwischen staatlicher Macht und Gesellschaft zur öffentlichen Diskussion zu stellen, wurde sogleich eine Abfuhr erteilt. Zunächst schritt die Zensur ein. Ein Artikel Orszu-liks durfte nicht im „Tygodnik Powszechny“ erscheinen. Der FURCHE liegt jetzt der Beitrag des Sprechers der Polnischen Bischofskonferenz exklusiv im Wortlaut vor (Auszüge siehe oben).
Auch Regierungssprecher Jerzy Urban fuhr dem Sprecher der Bischofskonferenz über den Mund: Orszulik habe eine bloß „klerika-listische Sicht“, die dazu führe, daß die Kirche ihr eigentliches „religiöses Feld“ verlasse. Eine
Argumentation, mit der die Behörden seit langem gegen „extremistische Priester“ vorgehen.
Die polnische Regierung setzt also auf den „Konsultativrat beim Staatsrat“. „Eine bloße Dekoration für Wojciech Jaruzelski“, meinen dazu der Chefredakteur von „Znaki Czasu“ (Zeichen der Zeit) und „Tygodnik Powszech-ny“-Redakteur Andrzej Micew-ski gegenüber der FURCHE. Der Historiker bewertet die Amnestie für politische Gefangene in Polen zwar als ersten Schritt zu einem
Durchbruch in den polnisch-amerikanischen Beziehungen, weist aber gleichzeitig darauf hin, daß die Regierung in Polen „in Kategorien der Alleinherrschaft“ denke. Niemand habe überlegt, was mit den Freigelassenen - „engagierte, charakterfeste Leute“ (Mi-cewski) — geschehen soll.
Die Kirche, meint Micewski, verstehe die Situation nur rein politisch und distanziere sich daher „von diesem Geschäft“. Der Artikel des Sprechers des polnischen Episkopats sei von den Bischöfen nur deswegen erlaubt worden, um für die Gläubigen „eine gute Richtung“ anzugeben.
In der Solidarnosc-Bewegung gibt es nach Meinung Micewskis „ernste Meinungsverschiedenheiten“: Viele gehen erneut in den Untergrund, manche sehen im Dialog mit der Regierung die jetzt wichtigste Aufgabe.
Die Regierung selbst taktiere und möchte „dekorative Institutionen“ schaffen. In der polnischen Gesellschaft besteht gegenüber dem „Konsultationsrat“ -wie Micewski es unterspielend ausdrückt - „viel Skepsis“.
Micewski selbst plädiert für eine „gesellschaftlich verbreiterte. Kommission“, die nicht beim Staatsrat, sondern beim Ministerpräsidenten angesiedelt sein soll. Dieses Gremium müßte sich vor allem durch Wirtschaftskompetenz auszeichnen. „Nicht Humanisten und Intellektuelle, sondern Wirtschaftsfachleute sollten in dieser Kommission zusammenarbeiten, um von Polen die wirtschaftliche Katastrophe abzuwenden“, betont Micewski. Er hebt in diesem Zusammenhang auch die Notwendigkeit hervor, die Vorschläge dieser Kommission zur wirtschaftlichen Sanierung zu publizieren und öffentlich zu diskutieren.
„Natürlich gibt es für die polnischen Probleme nur dann eine vollständige Lösung, wenn freie Gewerkschaften anerkannt werden“ — so Micewski wörtlich — „aber wir müssen jetzt mit kleinen Schritten zu dieser Lösung vorstoßen.“ Die Betriebsräte könnten beispielsweise vorläufig verschiedene Aktivitäten von Solidarnosc übernehmen. Desgleichen seien neue organisatorische Einrichtungen, Clubs — „nicht nur der katholischen Intelligenz“ — und neue Zeitschriften zur allgemeinen Belebung des gesellschaftlichen Lebens in Polen notwendig.
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