Die Hoffnung stirbt zuletzt - oder nie

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Polens Präsident Duda erhebt sich bei der heftig umstrittenen Justizreform gegen sein eigenes nationalkonservatives Lager. Das ist auch ein Sieg der Proteste der vergangenen Tage - Polen feiert ein Wiederaufleben des Geistes einer alten polnischen Bewegung.

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Polens Präsident Duda erhebt sich bei der heftig umstrittenen Justizreform gegen sein eigenes nationalkonservatives Lager. Das ist auch ein Sieg der Proteste der vergangenen Tage - Polen feiert ein Wiederaufleben des Geistes einer alten polnischen Bewegung.

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Die Solidarnosc lebt. Sie ist wieder auf den Plätzen Polens zu finden, auf ganz vielen. Ob es nun polenweit 70.000 oder auch 150.000 Menschen sind, die dieser Tage protestieren, scheint an diesem Sonntagabend zweitrangig. "Wir sind jetzt alle eine große Vereinigung", ruft Agata Otrebska den rund 2000 Menschen zu, die sich gegen Sonnenuntergang vor dem Kommunalgericht im südpolnischen Kattowitz versammelt haben. Das Gericht gehört zu jenen, die unter der Obhut des Obersten Gerichtes (SN) stehen, das unter die Räder einer neuen Gesetzgebung zu geraten droht.

Während Otrebska spricht, projiziert einer ihrer Mitstreiter per Beamer einschlägige Artikel der polnischen Verfassung an die Gerichtsfassade. "Richter sind unkündbar", heißt es in Art. 180. Genau dieser bedeutende Artikel der Verfassung steht dieser Tage in Polen zur Disposition. Denn drei Gesetze sollten der Regierungpartei Recht und Gerechtigkeit (PiS) genau dieses ermöglichen. Die Gesetze lagen über das Wochenende auf dem Tisch des Staatspräsidenten.

Die drei Tage des Präsidenten

21 Tage hätte der 45-jährige Duda, ein Ziehsohn Kaczy´nskis, Zeit gehabt, um zu entscheiden, ob er eine der wohl radikalsten und demokratiefeindlichsten Reformen in der Zeit seit dem Systemwandel von 1989 signieren würde. Er brauchte nur drei Tage. Am Montag verkündet Duda, er werde zwei der drei Initiativen nicht annehmen: "Wir haben in Polen keine Rechtstradition, in der der Generalstaatsanwalt in die Arbeit des Obersten Gerichtes als Institution eingreifen sollte, von den Richtern ganz zu schweigen. Und ich stimme mit all denen überein, die sagen, dass man es nicht zulassen darf." Und ja, auch die Proteste auf den Straßen hätten auf ihn Eindruck gemacht, sagt Duda.

Immer stärker war in den letzten Tagen zu sehen, dass die Protestler ein breites Spektrum der Gesellschaft repräsentierten, inklusive vieler junger Menschen. Pawel Kabat gehört zu dieser Generation. "Wir müssen unserer Elterngeneration gegenüber eine Schuld begleichen", sagt der frischgebackene Jura-Absolvent während des Protestes in Kattowitz. Konkret? "Dass wir erhalten müssen, wofür sie einst gekämpft haben", sagt er nach kurzem Überlegen. Auch an der Uni und in seinem Fachbereich seien die meisten gegen die Reformen - einschließlich des Lehrpersonals.

Doch die Tatsache, dass sich so gut wie alle Juristen-,Anwaltsoder Richtervereinigungen im Inund Ausland gegen die Pläne der Regierung aussprachen, spielt für die PiS keinerlei Rolle - ganz im Gegenteil. Ganz gleich, welcher Akteur seine Kritik vorträgt, er ist in der Darstellung der PiS-Politiker Teil eines diffusen Netzwerkes, das gegen Polen arbeite. Folgerichtig sagt etwa Außenminister Witold Waszczykowski am Montag in einem TV-Interview. "Wir haben es mit Versuchen zu tun, die Regierung zu stürzen, die Frage der Gerichte ist nur Vorwand. Dahinter stehen das große Geld und Einfluss, das sind Medienkonzerne, Banken und internationale Konzerne. Das sind mächtige Kräfte, die derzeit in Polen eingreifen", so Waszczykowski.

Diese Aussage ist typisch für das Denken, dass die PiS ihrem Wahlvolk als Begründung für den stetigen Gegenwind serviert, dem fast jedes ihrer Projekte begegnet. Der Präsident nun wagte - als ehemaliger PiS-Mann - den wohl bislang wichtigsten Ausbruch.

Auch wenn Duda eine der drei Novellen unterschreiben wird - es ist ein politisch nüchtern kalkulierter Schritt, vor der eigenen Wählerschaft nicht vollends als Vollstrecker der Forderungen der Opposition und der Straßen dazustehen, die nach wie vor "Dreimal Veto" fordern.

Zahnloses Gesetz

So kann die Regierung einen Teil ihrer Vorhaben umsetzen, darunter den Austausch von Gerichtspräsidenten ordentlicher Gerichte durch Justizminister Zbigniew Ziobro.

Weil aber die ordentliche Gerichtsbarkeit dem Obersten Gericht (SN) als höchster Instanz untersteht, ist das Veto des Präsidenten gegenüber den beiden anderen Novellen bedeutender. Es nimmt dem von Duda genehmigten Gesetz die absolute Schärfe.

"Wir drücken unseren Unmut darüber aus", sagt PiS-Fraktionschef Ryszard Terlecki in einer ersten Stellungnahme, "dass die Seilschaft, die sich so hysterisch verteidigt, für den Moment und in Form der Entscheidung des Präsidenten im Vorteil ist, aber ich denke, dass wir das hinkriegen."

Dass die Richter eine "besondere Kaste" seien, deren Zeit nun ablaufen sollte, sagt auch Justizminister Ziobro immer wieder. Der geschmeidig wirkende und staatsmännisch auftretende Ziobro ist es auch, der durch die neuen Gesetze, wären da nicht die Vetos, zum mächtigsten Justizminister zumindest innerhalb der EU-Staaten mutiert wäre. Dass Kaczynski die umstrittenen Justizgesetze just auf den einst als "Sheriff" bezeichneten Ziobro zuschneiden ließ und ihm bei der Neuverteilung der Richter-Posten alle Asse in die Hand legte, ist ein deutlicher Hinweise darauf, dass er ihn als potenziellen Nachfolger betrachtet.

Nationaler Widerstand

Wegen dieser geplanten, einzigartigen Ermächtigung eines Ministers - der zugleich Generalstaatsanwalt ist - war die Situation im Land vor Dudas Entscheidung derart angespannt wie seit dem PiS-Regierungsantritt vor knapp zwei Jahren nicht, das Wort "Majdan" tauchte immer häufiger auf.

Als die Kattowitzer Protestkundgebung am Sonntag zu Ende geht, dankt Mitorganisatorin und Chefmoderatorin Katarzyna Majchrzak der Polizei - für die Sicherheit, die diese mit ihrer Anwesenheit geleistet hätten. Die Teilnehmenden klatschen laut; doch kurz macht sich ein Gefühl breit, dass dies ein vorsorgliches Klatschen sein könnte, die Polizei für den Fall der Fälle auf der eigenen Seite zu haben.

Dann ist es Zeit für die Hymne. Sie klingt authentisch und vielstimmig, in ihrer ganzen kämpferisch-trotzigen Sehnsucht. "Ich schätze diesen Geist, der hier herrscht", sagt Protestteilnehmer Daniel Rolnik. "Die Menschen wollen zusammen sein, das ist so eine gute Solidarität", sagt der 41-Jährige.

Tatsächlich hat der Geist der Solidarnosc dieser Tage sein Potenzial entfaltet - und zumindest einen Teilsieg errungen. Als der Präsident am Montag mit fester, entschiedener Stimme seine beiden Vetos begründet, schlägt er indirekt einen Bogen zu jener Solidarnosc-Tradition des Widerstands von vor 37 Jahren.

Denn ein Gespräch der letzten Tage habe ihn ganz besonders bewegt, jenes mit seiner Beraterin Zofia Romaszewska, einer Ikone der Widerstandsbewegung, die bereits in den 1970er-Jahren an der Keimzelle der späteren Solidarnosc-Bewegung mitwirkte, später mit dem höchsten Verdienstorden des Landes ausgezeichnet wurde - und zugleich PiS-Anhängerin ist. "Frau Romaszewska sagte mir Worte, die mich am stärksten bewegt haben: "Herr Präsident, ich habe bereits in einem Land gelebt, in dem der Generalstaatsanwalt eine unglaublich starke Position hatte und faktisch alles durfte. Ich will nicht erneut in so einem Land leben."

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